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Bonbons und Brathähnchen Wie Nawalnys Hungerstreik in Haft gebrochen werden soll: "Primitivität des Vorgehens ist überraschend"

Alexej Nawalny vor einem Moskauer Gericht. In Haft hat sich der Gesundheitszustand von Putins Erzfeind rapide verschlechtert. 
Alexej Nawalny vor einem Moskauer Gericht. In Haft hat sich der Gesundheitszustand von Putins Erzfeind rapide verschlechtert. 
© Kirill Kudryavtev / AFP
Seit einer Woche befindet sich Alexej Nawalny im Hungerstreik. Damit will er erreichen, dass Ärzte zu ihm vorgelassen werden und er medizinische Hilfe bekommt. Um ihn von seinem Protest abzubringen, setzt die Leitung der Haftanstalt offenbar auf profane Mittel. 

Seit dem 31. März befindet sich Alexej Nawalny im Hungerstreik. In den sozialen Netzwerken ist nun ein Beitrag in seinem Namen veröffentlicht worden, in dem der Politiker berichtet, wie die Verwaltung des Straflagers, in dem er inhaftiert ist, versucht, seinen Hungerstreik zu "diskreditieren".

"Wisst ihr, was sich in der ersten Phase des Hungerstreiks als das Wichtigste erwiesen hat? Die Kontrolle der eignen Taschen", beginnt Nawalny seine Botschaft, die er wohl über seine Anwälte übermitteln konnte. Die Mitarbeiter der Haftanstalt würden ihm Bonbons unterjubeln. "Der erste wurde bei einer Kontrolle gefunden und sofort hieß es mit spöttischem Grinsen: 'Was haben Sie denn da, Alexej Anatoljewich? Süßigkeiten?' Seitdem kontrolliere ich alle Kleidungsstücke, die nicht beaufsichtigt waren, bevor ich sie anziehe und hole die Bonbons heraus." 

Er habe gewusst, dass die Behörden versuchen würden, seinen Hungerstreik zu diskreditieren und lächerlich zu machen. "Aber die Primitivität des Vorgehens ist überraschend", so der Erzfeind Waldimir Putins. 

Brathähnchen oder Ideale? 

Außer Süßigkeiten soll der Duft von Brathähnchen Nawalny in Versuchung führen. Wenige Tage nach Beginn des Hungerstreiks sei in der Küche seiner Abteilung plötzlich ein Kochfeld aufgetaucht, berichtet der Oppositionspolitiker. Zuvor seien dort nur ein Wasserkocher zu finden und Kochaktivitäten komplett untersagt gewesen. Nun werde dort jeden Tag Hähnchen gebraten. Und das obwohl Huhn in dem Straflager verboten ist. Das Fleisch steht weder auf dem Speiseplan, ist weder im Gefägnisladen zu kaufen noch dürfen Angehörige es den Insassen mitbringen. "Alle Regeln und Vorschriften gelten nicht mehr. Festessen und Liberalisierung!", kommentiert Nawalny dieses Vorgehen sarkastisch. 

Dabei habe er noch gelacht, als sein Anwalt ihm kurz zuvor erzählt habe, dass das Grillen von Hühnchen zur gängigen Praxis in russischen Gefängnissen gehört, wenn einer der Insassen den Hungerstreik erklärt. "Ich habe geschmunzelt und gedacht, dass es dementsprechende Anweisungen geben muss. Und dann dachte ich noch einmal nach und erkannte: Nein, genau das ist es, woran sie wirklich glauben. Das ist das Wesen dieses Regimes." Niemand werde noch für seine Prinzipien einstehen und für seine Rechte kämpfen, wenn vor ihm ein köstliches Brathähnchen steht. Von Putin über seine Minister bis zu den Beamten ganz unten im System – niemand aus dieser "Diebesbande" könne glauben, dass jemand sich für Ideale entscheidet, wenn er die Wahl zwischen Hähnchen und Idealen hat, so Nawalny. 

Alexej Nawalnys Zustand verschlechtert sich weiter 

Der Gesundheitszustand des größten innenpolitischen Widersachers Putins hat sich unterdessen nach Angaben seiner Anwälte weiter verschlechtert. Der 44-Jährige klagte demnach über Taubheit in den Händen. "Er sieht schlecht aus, er fühlt sich nicht gut", sagte seine Anwältin Olga Michailowa am vergangenen Mittwoch.

Zuvor hatte Nawalny bereits über starke Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen in einem Bein sowie Husten und Fieber geklagt. Bei einer MRT-Untersuchung seien zudem zwei Hernien diagnostiziert worden, also ein sogenannter Bauchwandbruch. "Er ist natürlich erschöpft, weil er seinen Hungerstreik fortsetzt und nur Wasser trinkt", sagte Michailowa. Sein Fieber sei aber gesunken – von 39 Grad am Montag auf nun 37,2 Grad. Nawalnys zweiter Anwalt Wadim Kobsew schrieb auf Twitter: "Alexej geht allein, hat Schmerzen beim Gehen." Er verliere jeden Tag ein Kilogramm seines Körpergewichts. "Was die Verwaltung des Straflagers derzeit macht, ist lediglich, ihn vom Hungerstreik abzubringen."

Russische Ärzte hatten am vergangenen Dienstag beim Straflager in Pokrow Zugang zu Nawalny gefordert. Vergeblich. Die Mediziner der unabhängigen Ärztegewerkschaft Allianz der Ärzte fordern nun erneut ein Ende der Folter und die Freilassung Nawalnys, der im Sommer nur knapp einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte. Er war im Februar in einem viel kritisierten Prozess zu einer mehrjährigen Straflager-Haft verurteilt worden.

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