Wladimir Putin hatte den Feldzug noch gar nicht befohlen, im Januar war der russische Angriffskrieg noch ein ungreifbarer Gedanke, da nannte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bereits das entscheidende Kampfgerät im westlichen Arsenal gegen den Aggressor: "Unsere stärkste Waffe ist und bleibt unsere Einigkeit."
Das ist nun eine Zeitenwende her. Der Krieg geht in den 64. Tag, die Angriffe auf die Ukraine reißen nicht ab. Doch die stärkste Waffe im Kampf gegen das Kriegstreiben des Kremlherrschers bleibt die Einigkeit.
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Seit der russischen Invasion haben die Partner der Ukraine jedenfalls keine Gelegenheit ausgelassen, das zu demonstrieren und zu betonen.
- "Die Nato steht so geschlossen wie nie zuvor da", versicherte US-Präsident Joe Biden.
- "Wir haben der russischen Aggression ein klares Zeichen entgegengesetzt, nämlich der europäischen und transantlantischen Geschlossenheit", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz.
- "Unsere stärkste Waffe gegen Putin ist unsere Geschlossenheit", bekräftigte zuletzt Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht. "Er hatte geglaubt, die westlichen Alliierten würden sich zerstreiten und auseinanderfallen, wenn er den Krieg befiehlt. Das ist nicht passiert."
Aber das hält Putin offenkundig nicht davon ab, es noch einmal zu versuchen.
Moskau hat Polen und Bulgarien nun den Gashahn abgedreht, droht Unterstützern der Ukraine mit "blitzschnellen" Gegenschlägen und der Welt mit einem Dritten Weltkrieg. Das alles dürfte einem Ziel folgen: Putin will die viel beschworene Geschlossenheit auf die Probe stellen, Angst schüren und Entschlossenheit schmälern – um dem westlichen Bündnis seine stärkste Waffe aus der Hand zu schlagen.

Druckmittel mit Halbwertszeit
Denn diese Waffe hat sich bisher als treffsicher erwiesen: Geschlossen und geschwind belegten die Partner der Ukraine Russland mit Wirtschafts- und Finanzsanktionen (und setzen weitere ins Werk). Sie schickten Waffen und Geld zur Unterstützung in die Ukraine, wollen das Land nun "langfristig" hochrüsten. Unlängst wird auch schweres Geschütz geliefert, sogar von Deutschland.
Dem gegenüber steht ein russischer Präsident, der sich bei seinem Angriff auf die Ukraine verkalkuliert hat. Allein der Ausblick auf eine mögliche Schmach auf dem Schlachtfeld und damit einhergehenden Gesichtsverlust lässt Putin die Kampfhandlungen brutalisieren und intensivieren. Der Druck auf den Kriegstreiber nimmt zu – auch das zeigen die jüngsten Manöver aus Moskau.
Der russische Präsident nutzt nun seinen Rohstoff als Waffe, solange sie noch scharf ist. Die EU will sich langfristig vom russischen Erdgas lösen. Putin ist das bewusst. Auch, dass es bis dahin noch dauern wird – und er somit noch ein Druckmittel hat.
An Polen und Bulgarien soll dabei offenbar ein Exempel statuiert werden. Putin setzt den Keil an den östlichen Frontstaaten an, die direkt an die überfallene Ukraine grenzen. Sie bekommen kein Gas mehr, während andere EU-Länder weiter versorgt werden und komfortabel ihre Industrien weiter betreiben können. Was macht das mit der Geschlossenheit der Europäer? Darum dürfte es Putin gehen.
Der jetzige Lieferstopp kostet Russland wenig. Und das gut vorbereitete Polen erwartet keine großen Auswirkungen durch das Embargo. Anders sieht das zwar beim kleinen Bulgarien aus, das empfindlich viel russisches Gas abnimmt. Doch versicherte Ministerpräsident Kiril Petkow, dass die Bürger beruhigt sein könnten. "Es gibt einen klaren Plan", sagte er nach einem Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. "Die europäische Antwort wird eine gemeinsame sein." Da ist sie wieder, die Geschlossenheit.
Spiel mit der Ungewissheit
Aber wann oder wo bröckelt die Einheitsfront? Das will Putin offenkundig austesten, womöglich bis zur Schmerzgrenze. Unlängst drohte Russland anderen Ländern mit ähnlichen Schritten, sollten die Zahlungen für das Gas beim Staatskonzern Gazprom nicht in Rubel eingehen. So lautet Moskaus offizielle Begründung für den Lieferstopp an Polen und Bulgarien. Beide Länder betonen, ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllt zu haben.
Insofern soll der Lieferstopp auch Ungewissheit aufkommen lassen. Die ersten beiden Länder hat es getroffen, der Gashahn ist zugedreht: Wen trifft es als nächstes? Russland schürt die Sorge, dass auch andere Staaten noch ins Visier geraten könnten. Und versucht zu spalten: Obwohl andere Länder das Gas offenbar auf ähnliche Art bezahlen wie Polen und Bulgarien, müssen nur Polen und Bulgaren eine kalte Heizung fürchten.

Das will EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen nicht zulassen. Sie warf Moskau umgehend einen "weiteren Versuch" vor, "uns mit Gas zu erpressen". Die EU sei auf dieses Szenario aber vorbereitet und werde eine "abgestimmte Antwort geben". Und: "Die Europäer können darauf vertrauen, dass wir geschlossen und solidarisch mit den betroffenen Mitgliedsstaaten sind."
Putin zwingt die EU zur Geschlossenheit. Die Frage ist nun, was das Staatenbündnis daraus macht. Von der Leyen will die wichtigste Waffe jedenfalls nicht strecken.