Bundestagswahl "Ein Sprachrohr für junge Menschen": Was steckt hinter "Unmute Now"?

Ein Teil des "Unmute Now"-Teams auf dem Weg quer durch Deutschland
Ein Teil des "Unmute Now"-Teams auf dem Weg quer durch Deutschland
© Alex Kleis / ProjectTogether
Das Klima geht den Bach runter. Corona hat die Unis dicht gemacht. Und Rente kriegen wir eh alle nicht mehr. Kurz vor der Bundestagswahl fühlen sich viele junge Menschen von der Politik im Stich gelassen. Eine Bustour quer durch Deutschland soll ihnen Gehör verschaffen.

"Wo ist unsere Zukunft?" Die brennende Frage einer Generation flackert in Großbuchstaben über die Backsteinmauern der Elbphilharmonie in Hamburg. Schwarz-Weiß-Fotos von jungen Menschen blinken auf. Sie alle gucken ernst, manche haben das Gesicht zu einem Schrei verzogen. Dazwischen leuchtet immer wieder die eine Frage – und der Hashtag #UnmuteNow.

Das Problem: fast niemand guckt zu. Außer der Gruppe junger Leute zwischen 20 und 30, die selbst für die Fassadenprojektion verantwortlich ist, haben sich an dem kühlen Augustabend nur eine Handvoll Tourist:innen auf den Platz der Deutschen Einheit verirrt. Fünf Minuten dauert die Projektion, dann bereitet die Security der Elphi dem Spuk ein Ende. Für Samuel Grösch, Mitglied der Organisation "ProjectTogether", war die selbsternannte Guerilla-Aktion trotzdem ein Erfolg. "Oft schauen die Menschen erstmal irritiert, aber dann kommen wir ins Gespräch." Und genau darum geht es bei "Unmute Now".

"Unmute Now": Junge Stimmen laut machen

"Junge Menschen müssen stärker gehört werden", sagt Grösch und verweist auf das Ergebnis der Vodafone-Studie 2020, wonach sich 73 Prozent der jungen Menschen in Deutschland nicht ausreichend von der Politik repräsentiert fühlen. Hinzu käme, dass Erstwähler:innen im Durchschnitt eine zehn Prozent geringere Wahlbeteiligung haben.

Für den 22-Jährigen liegt der Haken nicht in der eigenen Generation, sondern bei den etablierten Parteien. "Mittel- und langfristig ist das ein Problem für die Demokratie, wenn die Stimmen der zukünftig auf dem Planeten lebenden Menschen nicht gehört werden und sie das Vertrauen in das demokratische System verlieren." Deswegen will die gemeinnützige Organisation mit der "Unmute Now"-Kampagne die Wahlbeteiligung und die demokratische Teilhabe junger Menschen stärken.

"Groß zu denken" ist das Ziel von "ProjectTogether"-Geschäftsführerin Henrike Schlottmann, 29. "Wir wollen jetzt bei dieser Jahrhundertwahl laut werden, aber auch langfristig die Strukturen ändern und neue Lösungsansätze schaffen." Konkret werden dafür 30 Initiativen fünf Monate lang gemeinsam mit der Alfred Landecker Foundation finanziell gefördert. Mit dabei sind +me, eine Chat-App, über die man Fragen an Parteien stellen kann, "Brand New Bundestag", die sich für ein diverseres Parlament einsetzt und die nach dem Hanau-Attentat gegründete Bildungsinitiative "Ferhat Unver".

Mit dem Bus quer durch Deutschland

Für Schlottmann ist dabei wichtig, raus aus der Berliner Blase zu kommen. "Um besser zu verstehen, was junge Leute von Mannheim bis Rostock antreibt", ist ihr Team zwei Wochen mit einem schwarzen Sprinter-Bus quer durch Deutschland unterwegs. Neben größeren Städten geht es auch nach Belitz, Eisenach und Torgau.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Wir wollen wirklich auf die Straße gehen, auch in die Randbezirke und Industriegebiete", erklärt Felice Maltzahn, 30, die Hauptorganisatorin der Tour bei dem Kick-Off-Event in der Hauptstadt. "Unser Ziel ist es mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, die wir sonst gar nicht treffen würden. Für die wollen wir ein Sprachrohr sein." Dazu sollen die gesammelten Statements sowohl in den sozialen Medien als auch auf analogen Werbeflächen sichtbar gemacht werden.

Zudem will die Organisation mit der Tour auch den geförderten Initiativen selbst eine Bühne geben – verstärkt durch die Präsenz von reichweitenstarken Influencer:innen und Künstler:innen. "Es heißt immer, da ist ein Problem und wir finden keine Lösung dafür. Wir wollen zeigen, was es da draußen schon für tolle konstruktive Ansätze gibt."

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Dialog auch mit der Politik suchen

Dass die sogenannte "Generation Merkel" unpolitischer als vorherige Generationen ist, glaubt Geschäftsführerin Henrike Schlottmann nicht. Vielmehr seien die Jungen geprägt durch die Merkel-Jahre, in denen viel verpasst worden sei. "Wir in Deutschland haben ja keine Vision, wo wir eigentlich hinwollen", kritisiert Schlottmann. Daher soll es auch bei der Kampagne weniger um Probleme, als viel mehr um Visionen gehen.

Viele junge Menschen würden sich selbst als unpolitisch bezeichnen, seien aber aktiv bei den Themen, für die sie brennen: von Tierschutz über soziale Gerechtigkeit, Klima bis zur Drogenpolitik. Das haben auch Fokusgruppen gezeigt, die "ProjectTogether" nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz mit jungen Nichtwähler:innen gemacht hat. Das Problem sei, dass sich viele gar nicht als Teil des politischen Systems verstehen und deswegen auch nicht wählen würden. Das lasse sich natürlich nicht mehr bis zur Wahl lösen, sagt Schlottmann. "Aber wir haben jetzt nach Merkel ein unglaubliches Gestaltungspotential, das wir nutzen müssen."

Ihre Augen glänzen vor Tatendrang, als sie verrät, was nach der Wahl geplant ist: "Die Stimmen der jungen Menschen gezielt zu den wichtigsten Themen in die Koalitionsverhandlungen reinzutragen."

Es hat also auch Vorteile in der Berliner Blase zu leben.

Hinweis: Im Rahmen der "Unmute Now"-Bustour stellen externe Moderator:innen jungen Menschen die wichtigsten Fragen rund um die Bundestagswahl 2021. Der stern veröffentlicht die Interview-Serie.