Eines Tages wird sie SPD-Vorsitzende werden. Prophezeien viele der Genossin Andrea Nahles. Oder ist sie es vielleicht heute schon, obwohl sie laut Parteistatut nur stellvertretende Vorsitzende ist, überdies eine von dreien?
Kanzlerin Angela Merkel jedenfalls scheint diese Frage zuweilen zu bejahen. In Sorge ums arg gestörte innere Klima der Großen Koalition stöhnte sie jetzt auf der CDU/CSU-Fraktionssitzung: "Manchmal weiß man gar nicht mehr, wen man morgens anrufen soll. Am besten gleich Frau Nahles?" Aus der Sicht der Nahles-Bewunderer ein verständlicher Seufzer. Gilt sie doch für ihre Fans als der "letzte Mann der Sozialdemokratie" - wie dies die Partei-Ikone August Bebel einst über die Genossin Rosa Luxemburg gesagt hat.
Mannhaft war jetzt wieder ihr Auftritt, als die SPD-Führung darum stritt, ob die Partei noch einmal einen ausdrücklichen Beschluss gegen eine Koalition mit der Linkspartei formulieren müsse. "Wir haben schon einen Beschluss. Das muss reichen," erklärte sie forsch. Das war eine klare Kampfansage an Franz Müntefering, der vom amtierenden Vorsitzenden Kurt Beck genau dies verlangt und mit einer gezielten Bosheit gegen Beck propagiert hatte. "Die politische Führung unseres Landes ist weitgehend vakant."
Als "Königsmörderin" beschimpft
Dass die 38-Jährige so massiv Front machte gegen den früheren SPD-Chef Müntefering, ist kein Zufall. Sie war es, die sich im Oktober 2005 im Parteivorstand per Kampfabstimmung eine Mehrheit fürs Amt der Generalsekretärin holte. "Münte" hatte seinen langjährigen Strippenzieher Kajo Wasserhövel für den Job vorgesehen. Wütend warf er daraufhin den Parteivorsitz hin.
Ausgerechnet jene Frau hatte Müntefering vorgeführt, die er zu ihren Zeiten als Juso-Vorsitzende einst selbst gefördert hatte. Damals galt sie als brillantes Nachwuchstalent der SPD und er unterstützte sie sogar gegen den Willen Gerhard Schröders, der wenig von ihr hielt. "Königsmörderin" schimpften die Müntefering-Anhänger nun 2005 und waren erst recht wütend, als Nahles anschließend auf die Kandidatur als Generalin verzichtete.
Auf ihre Loyalität kann sich keiner in der SPD rundum verlassen. Das musste vor einem Jahrzehnt Oskar Lafontaine erfahren, den Nahles erst als "Gottesgeschenk" für die SPD schier angebetet hatte, dann aber als Parteischande beschimpfte. Die Erfahrung, dass sie machttaktisch schwer berechenbar ist, bleibt auch Beck nicht erspart. Er hatte Nahles vergangenes Jahr als führende Parteilinke auf den Platz einer stellvertretenden SPD-Chefin gehievt. Das allerdings hinderte sie nicht, klammheimlich gegen Becks ursprünglichen Willen Gesinde Schwan systematisch auf die Position der SPD-Kandidatin fürs Amt des Bundesvorsitzenden zu manövrieren.
Beck dürfte die Aktion eigentlich nicht überrascht haben. Lange genug kennt er schließlich Andrea Nahles, die politisch schon in Rheinland-Pfalz immer wieder Front gegen ihn gemacht hat. Erst seit er ihr vor der Bundestagswahl 2005 einen sicheren Listenplatz besorgt hatte, besserte sich die Beziehung. So war es Nahles, die sich mit aller Kraft und ihren SPD-Linken hinter Beck stellte, als der zum Unwillen der restlichen Parteispitze eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer durchsetzte. Das passte in ihre Linie. Von Anfang an hatte sie Gerhard Schröders "Agenda 2010" als parteischädigendes Projekt bezeichnet.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
"Wir alle sind Menschen"
Selbst die Männer an der Spitze der SPD haben es also nicht leicht mit Nahles. Als Müntefering den Parteivorsitz hinwarf, bedauerte sie zwar seinen Rückzug aus der ersten Reihe der SPD. Aber sie sagte damals einen Satz, der auch die Kriterien ihrer eigenen politischen Karriere beschreiben dürfte: "Wir alle sind Menschen und kommen manchmal an eine Weggabelung, an der wir entscheiden müssen, was das Wichtigste im Leben ist."
In ihrem politischen Leben steht inzwischen sehr wohl die Kooperation mit der Linkspartei auf dem Fahrplan ihres weiteren politischen Lebens. Natürlich bei der Bundespräsidentenwahl im nächsten Jahr. Noch nicht am Tag der Bundestagswahl 2009, aber spätestens am Tag danach. Dann wird sie auch wieder mit dem Politiker reden, über den sie einmal gesagt hat: "Diesem Mann würde ich nie mehr folgen." Gemeint war Oskar Lafontaine, von dem sie sich einmal brüsk abgewendet hat, aber sich heute nicht mehr schriftlich festlegen möchte.
Er könnte ja aus ihrer Sicht wieder zum "Gottesgeschenk" für die SPD werden. Zumindest dann, wenn er bei der Rückgewinnung der Macht durch eine rot-rote-grüne Koalition behilflich sein könnte. Wenn ihr dafür dann "Umfallen" vorgeworfen würde, sie nähme es hin. Denn nur ein Vorwurf, so hat sie einmal eingestanden, würde sie wirklich treffen: "Dass es mir nicht um den Erfolg der SPD geht. Denn darum geht es mir eigentlich immer." Und das könnte auch die Garantie für einen weiteren politischen Aufstieg sein.