Pressestimmen zum Merkel-Orden "Gegen eine vorzeitige Heiligsprechung spricht vor allem die beharrliche Verweigerung jeglicher Selbstkritik"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ex-Kanzlerin Angela Merkel bei der Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ex-Kanzlerin Angela Merkel bei der Verleihung des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung im Schloss Bellevue
© Sean Gallup / Getty Images
Verdient oder nicht? An der Auszeichnung von Angela Merkel mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland scheiden sich die Geister – auch in den Kommentarspalten deutscher Zeitungen. Die Presseschau.

Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Angela Merkel. Als dritte Person überhaupt hat die Ex-Kanzlerin am Montag die höchstmögliche Stufe des Bundesverdienstkreuzes (Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in besonderer Ausführung) verliehen bekommen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die frühere Regierungschefin in seiner Rede als "beispiellose Politikerin", die Deutschland erfolgreich durch viele Krisen gesteuert habe.

Eine Huldigung, die im politischen Berlin unter anderem mit Blick auf Merkels Russlandpolitik nicht alle teilen – und auch in den Kommentarspalten deutscher Medien wird die Ehrung für Angela Merkel nicht nur positiv gesehen. Die Presseschau:

Pressestimmen zum Verdienstorden für Angela Merkel

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Frank-Walter Steinmeier, der den allerhöchsten deutschen Orden als Bundespräsident qua Amt erhält, versuchte bei der Auszeichnung Angela Merkels den Eindruck der Exklusivität zu vermitteln. (…) Heute, da die Schwächen bei aller bleibenden Bewunderung für den Knochenjob von 16 Jahren im Kanzleramt offen zutage liegen, belässt (er) es dabei, 'neues Nachdenken' angesichts des russischen Angriffskriegs zu fordern. (...) Auch der Umgang mit der Flüchtlingskrise, die sich dann doch nicht wiederholen sollte, aber nun im Gegenteil andauert und anschwillt, ist alles andere als ein Ruhmesblatt. … Das irritierende Beharren Angela Merkels darauf, im Grunde alles richtig gemacht zu haben, hat Steinmeier nun noch einmal geadelt. Er hat seinen Orden schon sicher. Aber die Politik, an der auch er beteiligt war, hat keinen verdient."

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Sie hat Deutschland in der Flüchtlingskrise ein freundliches Gesicht verliehen und durch viele Krisen navigiert. Am Ende ihrer Amtszeit steht kein perfektes, aber ein starkes Land. Das anzuerkennen bedeutet nicht, mit ihrem Kurs, ihren Entscheidungen unkritisch umzugehen. Aber so zu tun, als hätte sie Nord Stream alleine gebaut, wird der Historie nicht gerecht. Wie werden dieselben Kritiker, die nun ex post alles besser gewusst haben wollen, in zehn Jahren mit der Chinapolitik von Olaf Scholz ins Gericht gehen? In ihrer unaufgeregten Art hat die erste Kanzlerin zudem gezeigt, wie man sich im wichtigsten Staatsamt ohne Dominanzgebaren und Ego-Trips behaupten kann."

"Stuttgarter Zeitung": "Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist nicht gerade ein Geschöpf Merkels, verdankt sein Amt aber sehr wohl ihrer Unterstützung – was die Auszeichnung aus seiner Hand nicht besser macht. Nun wäre es kleingeistig und unhistorisch, den Rückblick auf deren Kanzlerschaft allein auf Schattenseiten zu verengen. Gegen eine vorzeitige Heiligsprechung durch das jetzt verliehene Großkreuz des Verdienstordens spricht vor allem die beharrliche Verweigerung jeglicher Selbstkritik. Das lässt am historischen Format zumindest zweifeln."

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Durch Kontinuität, Verlässlichkeit, Geduld, Uneitelkeit, eiserne Härte gegen sich selbst, aber immer auch mit Neugier und Lust auf Macht hat Merkel Deutschland über vier Legislaturperioden in relativer Ruhe regiert und als internationale Führungsmacht ausgebaut. Nun bekommt sie dafür das Großkreuz des Verdienstordens in besonderer Ausfertigung. Wer, wenn nicht sie?"

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Nürnberger Nachrichten": "Politiker stehen im Rampenlicht, müssen ab einer gewissen Verantwortungsebene immer verfügbar sein und verzichten auf einen Teil des Privatlebens. Und trotzdem gilt: Orden von Politkern für Politiker passen nicht ins 21. Jahrhundert, sie stammen aus einer längst vergangenen Zeit. Die eigentliche Ordensverleihung für Politiker findet regelmäßig bei Wahlen statt, weiterer Auszeichnungen bedarf es nicht."

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): "Noch vor 18 Monaten erschien vielen eine Bundesrepublik ohne sie gar nicht möglich. Weit über die Grenzen Deutschlands hinaus war ihr Ruf als Krisenmanagerin legendär. Und nicht von ungefähr zählte sie viele Jahre zu den einflussreichsten Politikern der Welt. (…) Russlands Zivilisationsbruch, der Angriff auf die Ukraine, hat aber auch die Sicht auf Merkel verändert. Dabei steht sie völlig zu Recht ebenso wie ihr Vorgänger Gerhard Schröder in der Kritik für eine ganz und gar verfehlte deutsche Russlandpolitik, die den Kriegstreiber Wladimir Putin erst stark gemacht hat."

"Reutlinger General-Anzeiger": "Zweifellos hat sich Merkel, wie die anderen Ordensträger auch, große Verdienste erworben und sich für Deutschland eingesetzt – aber das war ihre Aufgabe. Dafür wurden sie gewählt und wiedergewählt. Sie haben einen Eid abgelegt, genau dies zu tun. Und dafür wurden sie vom Steuerzahler entlohnt. Ordentlich – aber nicht fürstlich. Zum Vergleich: Was Merkel als Kanzlerin im Jahr verdient hat, verdient Fußballstar Toni Kroos bei Real Madrid in etwa in einer Woche."

16 Jahre lang war Angela Merkel Bundeskanzlerin. Die erste. Ende 2021 räumte sie ihren Posten, jetzt ist ein Mann im Amt. Was bleibt von ihr? Wie war sie, die Kanzlerin? Wie ist sie als Chefin, als Freundin, als Feministin? 16 Jahre lang wurde die Geschichte der Angela Merkel meist von Männern erzählt. stern-Chefredakteurin Anna-Beeke Gretemeier trifft sich mit Wegbegleiterinnen der Alt-Bundeskanzlerin – ja, nur mit Frauen. Die Gespräche zeigen neue Perspektiven und zeichnen damit ein sehr persönliches Audio-Porträt. Hören Sie hier alle Folgen des stern-Podcasts "ÜberMerkel – Vertraute erzählen":

"Die Glocke" (Oelde): "Die Ehrung ist aber unabhängig von einzelnen Entscheidungen: Unermüdlicher Einsatz und diplomatisches Geschick besonders auf internationaler Ebene, Kompromissfähigkeit, Pragmatismus, absolute Skandalfreiheit – Merkel hat den Menschen in schwierigen Zeiten Vertrauen gegeben, Zuversicht vermittelt, den Glauben an Demokratie und Politik gestärkt. Das ist den Orden allemal wert."

"Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung": "Durch eine in der jüngeren Vergangenheit beispiellose Dichte an Krisenlagen hat Angela Merkel Deutschland weitgehend stabil und mit einer enormen Disziplin geführt. Das wird in der aktuellen Lage, wo uns wieder ganz andere Herausforderungen wie etwa der Ukraine-Krieg beschäftigen, gerne unterschlagen. Sie hat zweifellos nicht alles richtig gemacht. Der Atomausstieg oder ihre Russlandpolitik könnten sich als Hypothek erweisen. Man kann dazu stehen, wie man will – sie hat das Land geprägt. Das wird bleiben und dafür erhält sie den Verdienstorden."

"Frankenpost" (Hof): "Steinmeier zeichnet eine Person aus, die sich auf einer ungewöhnlich langen Distanz mit vielen – erschreckend üblich gewordenen – internationalen Herausforderungen in den Dienst des Landes gestellt hat. Skandalfrei, uneitel, selbstlos. Schmerzhaft prinzipientreu. Wenngleich nicht ohne politische Fehleinschätzungen größeren Ausmaßes."

DPA
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