Angela Merkel hat die 5000 vollgemacht. Respekt! 5000 Tage im Kanzleramt – das ist ein Brett.
Zeit also für einen Rückblick auf die Merkel-Langstrecke. Aus Platzgründen, das werden Sie verstehen, gerafft in 1000er-Schritten. Fußstapfen einer Ära, die am 22. November 2005 begann, dem Tag, an dem sie gewählt und vereidigt wurde im Deutschen Bundestag als erste Kanzlerin in der Geschichte der Republik. Als "starkes Signal für viele Frauen und manche Männer sicherlich auch", wie es der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert lakonisch formulierte. Es war übrigens ein holpriger Start seinerzeit. Nur 397 von 448 Abgeordneten der Koalition aus Union und SPD wollten sich für sie entscheiden.
Der stern hat noch mal nachgeschaut: Was hat sie gemacht für ihr Land an ihren Jubiläumstagen, die ja nichts anderes sind als kalendarische Zufälle im ewigen Mahlstrom der politischen Zeitläufe?
Sie hat Deutschland gedient, das war, das ist ihre Devise. Sie hat sich verändert und ihr Land gleich mit. Kann man das erkennen? Man kann.
17. August 2008, der 1000. Tag
Der 17. August 2008 ist ein Sonntag. Sie ist in Tiflis, Georgiens Hauptstadt, die sie Tbilissi nennt. Merkel kommt zum Sondieren, zum Schlichten. Als Weltstaatsfrau in ihrer frühen Findungsphase. Ein heute fast vergessener Blitzkrieg hat wenige Tage zuvor stattgefunden, russische Truppen sind auf georgischem Gebiet. Es ist die bis dahin größte außenpolitische Krise ihrer Amtszeit. Hält die Welt den Atem an? Das nicht. Es ist aber eines dieser ungezählten Feuer auf der Erde, die besser zügig ausgetreten sein wollen. Und sei es mit Trippelschritten. Die Spannungen sind zum Greifen. Merkel macht Pendeldiplomatie. Georgien will in die Nato.
Sie hat in diesem Konflikt mit Wladimir Putin zu tun, natürlich, der wird eine der ganz wenigen personellen Konstanten der Merkel-Ära bleiben. Um sie herum wird vieles wegbrechen in den kommenden Jahren. Innen und außen. In den USA regiert noch George W. Bush. In Frankreich Nicolas Sarkozy. Der hibbelige Franzose hält sie, die unterkühlte Uckermärkerin, außenpolitisch für zu unerfahren. Ganz unrecht hat er nicht, im August 2008. Es sind ja erst 1000 Tage.

Und doch sind schon elementare Wesenszüge Merkel’scher Politik an diesem Sonntag im Kaukasus zu erkennen. Der fast unerschütterliche Stoizismus, mit dem sie dem fahrig wirkenden georgischen Präsidenten Saakaschwili begegnet. Die protestantische Einsicht in das oft groteske Missverhältnis von Aufwand und Ertrag in der Politik. Sieben Stunden Flug, zwei Stunden Aufenthalt, ein Pressestatement, eine Botschaft. Politik als zäher Prozess. Als ewiges "weiter, immer weiter". Oft auch nur als schlichte Aneinanderreihung von Wortblasen, von Banalitäten. Damit kein Vakuum entsteht.
In Tiflis sagt sie den Satz: "Georgien wird, wenn es das will, und das will es ja, Mitglied der Nato sein." Für diese Haltung wird sie von Gerhard Schröder kritisiert, dem Mann, der ihr Vorgänger war, der Saakaschwili für einen "Hasardeur" hält und nun für Gazprom arbeitet. Noch so eine Konstante.
War sie guter Dinge damals? Optimistisch? Gewillt, die Welt zu verbessern oder zumindest im Gleichgewicht zu halten? Noch unverbraucht, noch nicht bereit, den täglich wachsenden Erfahrungsschatz zur eigenen Desillusionierung zu verwenden? Die Bilder von damals geben keine hinreichende Auskunft. Sie zeigen sie lächelnd, konzentriert. Merkel-Bilder. Dutzendware. Der 17. August 2008 ist kein Tag, den sie sich merken muss. Da gibt es viele, die wichtiger waren. Wichtiger werden.
Exakt acht Wochen noch, dann hat sie ihren ersten Kanzler überholt, Kurt-Georg Kiesinger, der die Große Koalition angeführt hat. Nur 1055 Tage war er im Amt. Man vergisst so etwas ja manchmal – wie kurz eine Kanzlerschaft sein kann. All die Ziele, Ambitionen. Zack. Und schon wieder vorbei. Ludwig Erhard (1142 Tage), den nächsten in der Reihe, hat sie am 6. Januar 2009 eingeholt. Nichts, was sie sich im Kalender angestrichen hätte. So wie den Besuch tags zuvor. Die Sternsinger waren im Kanzleramt. Merkel singt so gern.
Ihr Sommer 2008 ist der letzte Sommer der Unbeschwertheit, wenn man das in diesem Amt überhaupt sagen kann. Die großen Krisen werden kommen. Schon bald. Sieben Wochen nach Tiflis, wieder ein Sonntag, da steht sie mit ihrem Finanzminister Peer Steinbrück auf den Stufen des Kanzleramts und verkündet der sparenden Nation: "Ihre Einlagen sind sicher." Kurz zuvor ist klar geworden: Das Bankenwesen droht zu kollabieren.
Ihr Auftritt ist eine Geste. Ein Versprechen gegen die Angst, die zur Massenpanik werden kann. Sie absolviert ihn ohne Netz und doppelten Boden, von unverdrossener Drögheit durchwalkt, Merkel-Style, so, als ob sie der Nation eine Gebrauchsanweisung zum kollektiven Anlageverhalten vorlesen würde: "Ich will noch einmal hervorheben, dass ich mich sehr gefreut habe, dass wir die Bilanzierungsregeln innerhalb des nächsten Monats verändern werden und damit auch ein Stück Sicherheit für die Banken gegeben sein wird." Das nimmt man ihr ab. Die Freude. Über die Bilanzierungsregeln. Die sich verändern werden. Innerhalb des nächsten Monats.
Die ersten 1000 Tage also. Gute Tage? Stabile. In ihrem Kabinett hat sie Frank-Walter Steinmeier an ihrer Seite. Wolfgang Schäuble ist Innenminister, Horst Seehofer nur eine Randfigur, für die Landwirtschaft zuständig. Deutschland hat ein Sommermärchen hinter sich und die Kanzlerin in neuer Pose kennengelernt, vom Sitz gerissen, die Fäuste jubelnd in die Höhe bei Oliver Neuvilles 1:0 gegen die Polen in der Nachspielzeit. Ihr 204. Tag im Amt war das. Mehr spontaner Jubel wird nicht mehr sein.
14. Mai 2011, der 2000. Tag
Der 14. Mai 2011 ist ein Samstag. Der BVB ist Deutscher Meister. Doch das interessiert Merkel nur mäßig. Fußball ist für sie, anders als für ihren Vorgänger Schröder, nur eine Frage der nationalen Identität, nicht der Vereinsmeierei. Sie regiert bereits länger als Willy Brandt, ohne dessen Ostpolitik sie nie hätte Kanzlerin werden können. Nach 1659 Tagen war es für ihn vorbei.
Samstag ist Podcast-Tag. Ihre wöchentliche Video-botschaft ans Volk. Merkel, wie sie die Welt sieht – und wie sie die Welt gern sehen würde. Gut drei Minuten knochentrockener Vortrag. Seit Juni 2006 macht sie das schon. Seitdem gibt es 565 Videobotschaften, insgesamt mehr als 28 Stunden. Es geht um Nachrichtenstoff, um Themensetzung. An diesem Samstag, ihrem 2000. Tag, geht es um viel: um die Zukunft des Industriestandorts Deutschland, um das Anschlusshalten an globale Entwicklungen. Merkel sagt: "Übermorgen wird mir die Nationale Plattform Elektromobilität ihren zweiten Erfahrungsbericht übergeben."
Dann nennt sie Ziele: "dass bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen im Einsatz sind“. Bis 2030 sogar sechs Millionen. Und sie benennt die Herausforderungen: Parkplätze, die mit Ladestationen für Batterien verbunden sind, zum Beispiel. Oder Extrafahrspuren für Elektroautos; "die dafür notwendigen rechtlichen Grundlagen müssen geschaffen werden“.
Extrafahrspuren für Elektroautos? Das ist auch so eine Erkenntnis aus 5000 Tagen im Kanzleramt – nicht alles ist stringent. Ständig gibt es Widerstände und Widersprüche. Und manchmal macht man sich Gedanken, die schlicht unnötig sind. Und was die Ziele angeht – da ist oft eine Kluft, wenn man am Zieldatum angelangt ist. Demnächst ist es so weit. Es sieht nicht gut aus. In Deutschland fahren etwa 114.000 Elektroautos.
Dieser Samstag im Mai 2011 ist übrigens ihr einziger Jubiläumstag, an dem sie mit ihrem vermeintlichen Wunschpartner regieren kann. 1000 Tage zuvor hatte es für Schwarz-Gelb nicht gereicht, 1000 Tage später werden die Liberalen ganz tief in der Versenkung verschwunden sein. Aber – es passt nicht zwischen Union und FDP. Der Anfang ist schwach. Es wird nicht mehr besser. Wer wollte, der hätte an diesem 2000. Tag den Riss entsprechend deuten können. Das Umfrageinstitut Forsa sieht in der "Sonntagsfrage" die FDP bei vier Prozent, die Union hängt bei mäßigen 31 fest.
Die Grünen sind da bei (heute nicht mehr) sensationellen 26 Prozent. Das hat einen Grund: Zwei Monate zuvor ist der Reaktor in Fukushima havariert. Die Nuklearkatastrophe im Hochtechnologieland Japan führt zur radikalsten Wende, die Merkel je auf einem Politikfeld vollzieht. Wenige Tage nach dem Unfall kippt das Kabinett die erst ein knappes halbes Jahr zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Merkel, die Physikerin, ist jetzt Atomkraftgegnerin. Aus Kalkül. Sie beginnt, den Markenkern der Union zu schreddern. Nicht alle sind überzeugt. Manche ballen die Faust in der Tasche.
Man kann sagen: Die Metamorphose der Angela Merkel hat begonnen – und die Partei muss mitmachen. Nicht oft geschieht das mit Aplomb. Es ist: ein Prozess. Sie steuert ihn. Es ist auch eine kontinuierliche, eine unaufhaltsame Absetzbewegung von der Partei des Helmut Kohl.
Sie ist jetzt nur noch selten im Schatten des Alten. Am Montagabend nach ihrem Jubiläumstag aber, dem 2002. Tag, bleibt ihr nichts anderes übrig. Da steht sie im Zelt der American Academy am Berliner Wannsee, Bill Clinton ist auch da, und sie muss die Lobreden auf Kohl mit einem Grußwort garnieren.
Kohl, der Geehrte, erwähnt sie an diesem Abend mit keinem Wort.
7. Februar 2014, der 3000. Tag
Der 7. Februar 2014 ist ein Freitag. In Sotschi eröffnet Putin die Olympischen Winterspiele, in Berlin präsentiert Angela Merkel im Kanzleramt die neue Zwei-Euro-Sondermünze. Das Geldstück – Auflage 30 Millionen – zeigt die Michaeliskirche in Hildesheim. Seit 2006 gibt es alljährlich eine Münze mit einem Motiv aus einem der 16 Bundesländer, die Kanzlerin hat inzwischen Routine bei der Präsentation, und trotzdem enthält ihre knapp dreiminütige Ansprache zwei klassische Merkel-Sätze von funkelnder Schlichtheit.
"Diese Münzen spiegeln auf eine wunderschöne Art und Weise den kulturellen Reichtum unseres Landes wider", lautet der erste dieser Sätze. Und der zweite: "In diesem Jahr ist es also die neunte – wir haben noch einige vor uns, bevor alle Bundesländer durch sind."
Merkel sagt solche Tante-Erna-Sätze frei von jeder Ironie. Dann staunt sie für einen Moment die Münze an, als handele es sich um die Blaue Mauritius, mindestens. Als "unglaublich neugierig" beschreibt Merkel sich selbst. Sie entfaltet selbst bei solchen C-Terminen eine Ernsthaftigkeit, als gäbe es gerade nichts Wichtigeres auf der Welt, als wäre nicht eben – lange vor Donald Trump – die US-Diplomatin Victoria Nuland mit einem "Fuck the EU“ auf Europa losgegangen, als hätte nicht tags zuvor Helmut Linssen als CDU-Schatzmeister zurücktreten müssen, nachdem der stern über seine Briefkastenfirmen auf den Bahamas berichtet hatte.
Merkel haftet eine fast unzerstörbar scheinende Unerschütterlichkeit an. Im neunten Kanzlerinnenjahr angelangt und von "Time“ als mächtige "Frau Europa" geadelt, hat sie sich, man darf das so sagen, eingewohnt in ihrem Amt, das sie mit fröhlich-pragmatischer Routine und einer gewissen stagnativen Emsigkeit ausfüllt. Weiter, immer weiter, auch wenn es mal nicht recht vorangeht.
Zu wenig Muße, zu wenig Schlaf. Zu viele Flugmeilen, zu viel Druck. Und abends gern noch ein Glas Roten. Mit robuster Psyche und Physis gesegnet, steckt sie das alles anscheinend locker weg. Sie wird 60 Jahre in diesem Juli, und sie hat sich – darf man das so sagen? – auch äußerlich recht gut gehalten in dem Amt, das Joschka Fischer mal mit einem Achttausender verglichen hat. Dünne Luft. Extrem kräftezehrend. Hoher Verschleiß. 2583 Tage hat ihr Vorgänger regiert, und am Ende sah man jeden einzelnen davon in Schröders Gesicht gekerbt. Merkel braucht noch 61 Tage, bis sie amtszeitmäßig auch einen weiteren SPD-Kanzler überholt, Helmut Schmidt, mit dem sie ein Schicksal teilen wird: Auch mit ihm haderte die eigene Partei umso mehr, je länger er regierte. Aber das kann Merkel an diesem Tag, im Jahr vor dem Flüchtlingssommer, nicht ahnen.
An diesem Freitagmorgen sind die neuesten Umfragezahlen gemeldet worden. Die CDU liegt stabil bei 41 Prozent. Mit Merkel und ihrer Arbeit sind 69 Prozent zufrieden. Noch bilden Partei und Kanzlerin eine Profitgemeinschaft. Merkel hat sich im Weihnachtsurlaub bei einem Sturz in der Loipe das Becken gebrochen. Aber noch denkt kaum jemand daran, die schwarzen Ossenberg-Krücken, auf denen sie seit Wochen durch die politische Landschaft humpelt, als Menetekel zu deuten.
Am Abend lässt sie sich nach Erfurt fahren. Klausur des CDU-Vorstands. Merkel geht für ihre Verhältnisse früh zu Bett, um 23.15 Uhr. Sie hat immer noch Schmerzen. Ansonsten ist fast alles wie immer. Die CDU schreibt ein 77-seitiges Papier, setzt Kommissionen ein, und Merkel versucht, alles Ungemach ruhig wegzumoderieren, auch den Zwist mit der CSU. Noch geht es dabei nicht um Flüchtlinge, sondern um Stromtrassen, die die Bayern nicht wollen. Aber der Dreischritt der kommenden 2000 Tage ist bereits angelegt für Merkel. Erst kommen die Sternsinger, dann kommt die Sondermünze – und danach der erste Streit mit Seehofer.
Sie ist auf dem Gipfel. Besser wird es nicht mehr.
3. November 2016, der 4000. Tag
Der 3. November 2016 ist ein Donnerstag. Sie verbringt auch diesen Tausendertag abends wieder in Erfurt, diesmal immerhin ohne Gehhilfe. Auf dem Bundestag des Deutschen Fußball-Bundes hält sie die Laudatio auf den neuen DFB-Ehrenspielführer Jürgen Klinsmann. Es ist auch eine Reminiszenz an das Sommermärchen 2006, an ihren ersten Kanzlerinnensommer, als Deutschland sich endgültig als Nation gefunden und mit sich versöhnt zu haben schien. Man muss das so zweifelnd schreiben, weil es zehn Jahre und einen Flüchtlingssommer später gar nicht mehr danach aussieht.
Klinsmann hat als Bundestrainer das gemacht, was Merkel auch gern gemacht hätte, sich aber nach ihrer knappen Wahl 2005 nicht getraut hatte: Er hat den Laden richtig umgekrempelt. Das hätte ihn kurz vor der WM fast den Job gekostet. Solche Risiken scheut sie.
Man darf vermuten, dass Merkel dieser Abend mehr Vergnügen bereitet als die CDU-Klausur 1000 Tage zuvor – und dass sie ihre warmen Worte für Klinsmann ehrlich meint. Es fallen einem andererseits auch nur wenige Unionspolitiker ein, die Merkel in der Schlusskurve dieses Jahres 2016 derart preisen würden wie der frühere Mittelstürmer: "Ich würde sie am liebsten mitnehmen, und sie wird neue US-Präsidentin", sagt Klinsmann abends in Erfurt. Zum neuen US-Präsidenten wird dann fünf Tage später aber doch Donald Trump gewählt. Wir kommen gleich noch darauf zurück.
Merkel kann eine nette Abwechslung gut gebrauchen in diesen Tagen, Betonung auf nett. Sie läuft im permanenten Katastrophenmodus. Außen wie innen. Außen: Die Briten plagen sich gerade sehr mit dem Brexit, Recep Tayyip Erdoan hat Anfang der Woche angekündigt, die Todesstrafe wieder einzuführen, fast überall in Europa sind rechte und populistische Kräfte im Aufwind. Innen: Findet sie keinen eigenen Kandidaten für das Präsidentenamt. Hakt es mit dem Klimaschutzplan. Vor allem aber kriegt sie die CSU nicht gebändigt mit ihrem Drängen nach einer Obergrenze für Flüchtlinge.
Sie macht keine glückliche Figur. Es ist auch nicht viel übrig geblieben von den 41,5 Prozent bei ihrem grandiosen Wahlsieg vor drei Jahren. 33 Prozent sind es noch in der aktuellsten Umfrage. Die zur Anti-Flüchtlingspartei radikalisierte AfD steht bei 13 Prozent. Merkel hat zu Beginn des 4000. Tages die Zahlen in der Morgenlage, der täglichen Besprechung mit den engsten Mitarbeitern im Kanzleramt, noch einmal vorgetragen bekommen. Dann hat sie sich mit Vertretern von Organisationen getroffen, die sich um Flüchtlinge kümmern. Es geht – "Guten Tag allerseits!" – um Unterkünfte, Integration und Sicherheit. Merkel fordert ihre Gäste auf, Probleme zu schildern – "natürlich immer mit dem Ziel, sie auch zu lösen“. Auch so eine klassische Merkel-Sentenz.
Wir schaffen das? Sie hält die Deutschen im Prinzip für zu bräsig, zu ängstlich, zu erfolgsverwöhnt. Wegen ihrer Veränderungsresistenz nicht besonders überlebensfähig in einer globalisierten, digitalisierten Zukunft. Sie klagt immer wieder darüber, seit Jahren. Dabei hat sie dieses Land, wie auch nicht?, durchaus verändert in ihren nunmehr elf Jahren als Kanzlerin. Selten klinsmannesk draufgängerisch, meist in ihren Trippelschritten merkelig unmerklich.
Sie glaubte über die Deutschen und sich: Sie kennen mich – ich kenne sie. Sie täuschte sich. Mit ihrer Entscheidung im Jahr zuvor, Hunderttausende Flüchtlinge ins Land zu lassen, hat sie einen Teil der Deutschen doch stärker überfordert, als sie dachte.
Plötzlich spaltet die einstige Konsensfrau die Nation. 52 Prozent finden ihre Arbeit gut – 48 Prozent nicht.
Angela Merkels Fanbasis
Noch hat sie sich nicht entschieden, ob sie bei der Wahl im kommenden Jahr noch einmal antreten wird, um auch – aber in diesen Kategorien denkt sie allenfalls in sehr schwachen Momenten – noch die 5000 vollzumachen. Es gibt nicht wenige in der Union, die heilfroh wären, wenn die Kanzlerin, ganz profan gesagt, allmählich die Schnauze voll hätte von der Fron und dem ganzen Rest. Von Seehofer zum Beispiel, der sie zum ersten Mal nicht zum CSU-Parteitag eingeladen hat an diesem Wochenende. Das wäre "ein grober politischer Fehler" gewesen, ihren Dissens auf offener Bühne auszutragen, wird Seehofer in seiner Rede sagen. Im Jahr zuvor hatte er die Kanzlerin eine halbe Ewigkeit neben sich ausharren lassen wie eine ausrangierte Stehlampe.
Sie hätte genug Gründe, es gut sein zu lassen. Trotzdem kündigt sie wenige Tage nach der US-Wahl an, im nächsten Jahr wieder zu kandidieren. Sie glaubt, sie werde noch gebraucht mit all ihrer Erfahrung – die Welt könne nicht den Trumps überlassen werden.
Das glauben, verkehrte Welt, längst vor allem ihre politischen Gegner. In ihrer Pressemappe findet Merkel an ihrem 4000. Tag im Amt einen Satz, den Winfried Kretschmann am Abend zuvor über sie gesagt hat: "Ich wüsste auch niemand, der diesen Job besser machen könnte als sie."
Der Kicker Klinsmann und der Grüne Kretschmann – das ist Merkels verlässlichste Fan-Basis. Das Beste ist längst vorbei, das Schlimmste noch nicht. Das kommt erst nach der Wahl im September 2017. Hängen und Würgen, bis die Regierung steht – und danach erst recht. Um Kanzlerin bleiben zu können, gibt Merkel am Ende den CDU-Vorsitz ab. Bergsteiger wissen das: Der Abstieg vom Achttausender ist oft schwieriger als der Aufstieg.
PS
Am Mittwoch letzter Woche war ihr 5000. Tag. Sie ist im Urlaub, aber erreichbar, "wenn was ist". Das war sie immer, jeden verdammten Tag, von ganz wenigen Stunden in den Bergen Südtirols mal abgesehen.
Sie hat das Land verändert, sie hat sich verändert. Die Macht, der Stress, die Verantwortung, das Alleinsein ganz oben, das alles hat dann doch Spuren hinterlassen, in letzter Zeit bisweilen so, dass man sich Sorgen um ihre Gesundheit machen muss, auch wenn sie selbst sagt, ihr gehe es gut. Sie sagt es in ihren Worten – es sei "wichtig, dass ich mich zu der Verantwortung bekenne, handlungsfähig zu sein".
Das ist sie geblieben. Nicht immer in der Koalition, die sie sich gewünscht hat. Die Grünen haben noch gefehlt in ihrer Sammlung, sie hätte auch Jamaika genommen. Es sollte nicht sein.
Sie ist jetzt im Klub der 5000er. Ein überschaubarer Kreis. Noch 143 Tage, dann hat sie Adenauer eingeholt, drei Tage vor Heiligabend. Das wird ihr keiner mehr nehmen können. Nicht einmal die SPD.