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Geplante "Anker"-Zentren Abschiebelager in Deutschland? Wie die Bundespolizei gegen ihren Dienstherrn Seehofer rebelliert

Horst Seehofer beginnt seine Amtszeit als Bundesinnenminister mit viel Abschiebe-Rhetorik. Doch die von ihm geplanten "Ankerzentren" sind sehr umstritten - auch bei der Bundespolizei, deren Dienstherr Seehofer ist.
Horst Seehofer beginnt seine Amtszeit als Bundesinnenminister mit viel Abschiebe-Rhetorik. Doch die von ihm geplanten "Ankerzentren" sind sehr umstritten - auch bei der Bundespolizei, deren Dienstherr Seehofer ist.
© Stefan Puchner; , Sean Gallup / DPA / Getty Images
Innenminister Horst Seehofer will sie unbedingt und bald: Asyl- und Abschiebezentren für Flüchtlinge in ganz Deutschland.  Wo sind die Standorte? Völlig offen. Und wer soll sie bewachen? Die Bundespolizei rebelliert.

In Deutschland soll es - böse formuliert - noch in diesem Jahr Lager geben: zentrale Orte, an denen Asylbewerber festgehalten werden, bis geklärt ist, ob sie in Deutschland bleiben können oder nicht. So jedenfalls der Plan von Horst Seehofer. Der Bundesinnenminister macht rhetorisch mächtig Druck für sein Vorhaben.

Wer die jüngsten Meldungen zu diesen in der Seehofer-Sprache "Anker"-Zentren genannten Einrichtungen liest, könnte meinen: Es geht flott voran. So sollen die ersten Asyl- und Abschiebezentren nach dem Willen des CSU-Politikers in vier bis fünf Monaten ihre Arbeit aufnehmen. "Ich will, dass wir sie im August, September in Betrieb nehmen", sagte Seehofer am Mittwoch bei einem Kongress der Unionsfraktion mit dem Titel "Pakt für den Rechtsstaat - zur Stärkung von Justiz und Polizei". Das wäre noch vor der Landtagswahl in Bayern, die am 14. Oktober stattfindet.

Die Landtagswahl in Bayern also. Dieser Termin ist in der ganzen Debatte um die "Anker"-Zentren einer der konkreteren Fakten. Ach ja, und der Name will erklärt werden: "Anker" steht für "Ankunft, Entscheidung, Rückführung“. In diesen bis zu 40 Einrichtungen in ganz Deutschland sollen Flüchtlinge nach den Plänen der Bundesregierung künftig von ihrer Ankunft in Deutschland  bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag und gegebenenfalls bis zur Rückführung in ihr Herkunftsland untergebracht werden. Verschiedene Behörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Jugendämter oder Ausländerbehörden sollen Seite an Seite arbeiten. Die Große Koalition erhofft sich dadurch eine Beschleunigung der Asylverfahren und Abschiebungen.

Horst Seehofer müsste sich ein bisschen beeilen

A propos Beschleunigung: Bis Spätsommer oder Herbst ist es nicht mehr lange hin. Da müsste man schon mal  mit der Arbeit anfangen, wenn die ersten dieser doch recht komplexen Einrichtungen pünktlich mit der Arbeit beginnen sollen.

Bislang ist aber unklar, wo diese Pilot-Einrichtungen aufgebaut werden sollen. In der Presse wird über Bamberg spekuliert oder  Manching, ein Nachbarort von Seehofers Heimatstadt Ingolstadt – beides Standorte in Bayern. Auch das hessische Gießen wird in der Diskussion immer wieder genannt. Aus dem Innenministerium in Wiesbaden heißt es dazu auf eine Anfrage des stern: "Pläne über die Einrichtung eines solchen Zentrums in Hessen sind uns nicht bekannt. Dort will man gar nicht erst tiefer in das Thema der Seehofer-Lager einsteigen: "Da zu den angesprochenen sogenannten Ankerzentren bislang keine konkreten Pläne vorliegen, können diese derzeit auch nicht bewertet werden." Und Mannheims Bürgermeister ließ vor ein paar Tagen die Öffentlichkeit wissen: Ein "Anker"-Zentrum werde es in der SPD-regierten Stadt in Rheinland-Pfalz nicht geben.

Nicht einmal Seehofers Behörde selbst kann den Widerspruch zwischen der Terminankündigung des Ministers und den offenbaren Planungsschwierigkeiten aufklären. Aus dem Bundesinnenministerium heißt es auf eine Anfrage des stern: "Erste Gespräche mit den Ländern laufen". Fragen nach einem konkreten Zeitpunkt für erste Inbetriebnahmen könnten noch nicht beantwortet werden. Auch zu möglichen Standorten gebe es noch keine Entscheidungen. Dennoch: "Die Arbeiten sind aufgenommen und laufen mit Hochdruck."

Bundespolizei empört über die Pläne des Innenministers

Ein Grund, warum es mit der Planung offenbar nicht so richtig vorangehen will, ist wohl auch der Gegenwind, den Seehofer ausgerechnet von seinen eigenen Leuten bekommt: von der Bundespolizei, dessen oberster Dienstherr der Innenminister ist. Die Beamten sollen – so hätte es der CDU-Politiker gern - die geplanten Zentren einrichten, betreiben und bewachen. Jörg Radek, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), macht dagegen auf Veranstaltungen und in den Medien Front und sagte dazu dem stern: "Wir lehnen diese Ankerzentren ab." Radek vertritt mit seiner Gewerkschaft etwa 25.000 von gut 44.000 Bundespolizisten – ein mächtiger Gegner für Horst Seehofer.

Sein Argument: Die Bundespolizei sei gar nicht zuständig für diese Zentren. Das Asylgesetz sei ein reines Verwaltungsgesetz. Die Unterbringung, Verpflegung und mögliche Bewachung von Asylsuchenden sei keine Aufgabe des Bundes und damit auch nicht der Bundespolizei. "Wir haben grundsätzliche Bedenken, wir haben verfassungsrechtliche Bedenken", sagte Radek auch bei einem Treffen der Bundespolizei in der GdP – das ebenfalls am Mittwoch stattfand, am selben Tag also, an dem Seehofer die ersten Anker-Zentren für Spätsommer der Herbst versprach. "Polizeiliches Handeln braucht eine klare rechtliche Grundlage" – und die sei im Falle der "Anker"-Zentren unklar, sagte Radek dem stern.

Die Polizeigewerkschafter machten bei ihrer Versammlung in Berlin ordentlich Front gegen die Seehoferschen "Anker"-Zentren. Ihm falle kein anderes Wort als "Lager" ein, sagte der Gewerkschaftschef dort. Mit großer Mehrheit wandten sich die Delegierten gegen eine "jahrelange Kasernierung und Isolation von Schutzsuchenden". Dort könne ein "erhebliches Aggressions- und Gefährdungspotenzial" entstehen, heißt es zudem in einem Begleitpapier.

Darf man jemanden einsperren - nur, weil er Asyl will?

Radek stellte gegenüber dem stern auch die Frage, ob man jemanden, der um Asyl ersucht, einfach monatelang in einem Lager festhalten dürfe. "Dieser Mensch hat sich ja schließlich nichts zu Schulden kommen lassen."

Hier liegt der Gewerkschaftschef auf einer Wellenlänge mit Sozialverbänden. Die Hilfsorganisation Pro Asyl beispielsweise fürchtet einen "Zwangsaufenthalt bis zu 18 Monaten“ mit verhindertem Zugang zu Schule, Arbeit, Gesellschaft und dringend benötigen Kontakten zu Anwälten und Ehrenamtlichen.

Auch Radek hat die Sorge, dass Neuankömmlinge und Abzuschiebende dort lange ohne Integrationsangebote und mit wenig Taschengeld bleiben müssten: "Es liegt sehr nahe, dass wir dann in den Deliktfeldern des einfachen Diebstahls steigende Zahlen haben werden", sagte er bei der Veranstaltung am Mittwoch.

Der GDP-Chef und seine Kollegen fühlen sich unzureichend informiert von Seehofer: "In den Details ist der Minister sehr unkonkret", sagt er. "Die Regierung hatte kurz vor Ostern Konkretes zu den Asyl- und Abschiebezentren angekündigt." Doch bis heute wisse man weder die Standorte, die geplante Anzahl der Zentren oder deren Größe. Vage Erfahrungen gebe nur mit den bayrischen Transitzentren. Völlig unklar sei auch, wie viele Polizisten in den "Anker"-Zentren insgesamt benötigt würden.

Bundespolizei will wieder normale Grenzkontrollen - wie vor 2015

Aus Radeks Sicht gebe es ohnehin eine viel bessere Lösung für das Problem der massenhaften Migration von Menschen, die letztendlich nicht in Deutschland bleiben können: "Wir wollen wieder ganz normal Grenzkontrollen durchführen", sagte er dem stern. Der Bundespolizei müsse es wieder ermöglicht werden, Menschen an der Grenze zurückzuweisen, wenn sie beispielsweise aus einem sicheren Drittstaat wie Österreich nach Deutschland einreisen wollen. Doch die Sonderregelung aus dem Jahr 2015, die dies verhindere, gelte bis heute weiter. Das könne man ändern. Dass Seehofer lieber solche Zentren einrichten wolle, die dann nach dem Willen des Ministers die Bundespolizei bewacht, sei ein "Ball paradox".  

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