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Parteienfinanzierung Der Chemiekonzern, der den Parteien in Deutschland Millionen gibt

Die Evonik AG sticht durch seine anhaltende Parteienfreundlichkeit besonders heraus
Die Evonik AG sticht durch seine anhaltende Parteienfreundlichkeit besonders heraus
© Roland Weihrauch / DPA
Nach dem Rückzug von Daimler ist die Evonik AG der letzte bedeutende Konzern, der sich zu Großspenden an CDU, SPD und Co. bekennt. Seit 2007 bekamen die Parteien insgesamt über zwei Millionen Euro von Evonik. Auffällig: Die Stiftung hinter dem Konzern wird von der Politik kontrolliert.

Die großen deutschen Parteien reden nicht gerne darüber, aber sie sitzen auf dicken Geldpolstern, nicht zuletzt dank großzügiger Zuwendungen des Staates. Fast 202 Millionen Euro Reinvermögen standen nach den jüngsten verfügbaren Zahlen in der Bilanz der SPD – statt nur 125 Millionen im Jahr 2002. Knapp 158 Millionen waren es es Ende 2017 bei der CDU – mehr als doppelt soviel wie 2002 mit damals nur 57 Millionen.

Aber nicht alles läuft rund für die Schatzmeister von Christ- und Sozialdemokraten. Aktuell machen sich unter den großen deutschen Unternehmen die Spender rar. Vergangene Woche kündigte der Autobauer Daimler an, dem Beispiel vieler anderer großer deutsche Konzerne zu folgen und keine Parteispenden mehr zu leisten. Seitdem sticht ein großes Unternehmen durch seine anhaltende Parteienfreundlichkeit besonders heraus: Die im MDAX notierte Evonik AG, die in der Chemieindustrie aktiv ist. "Aus unserer Sicht ist jede Spende an eine Partei des demokratischen Spektrums zugleich eine Spende für Demokratie", ließ sich ein Evonik-Sprecher vergangene Woche leicht hochtrabend zitieren. Man sehe "keinen Grund, unsere Spendenpraxis in Frage zu stellen", bekräftigte es ein Firmensprecher jetzt auch auf Anfrage des stern.

Evonik könnte auf Platz eins der Unternehmen mit Großspenden rücken

Anders gesagt: Zwischen den Parteien und Evonik stimmt die Chemie. Wenn die Firma so wie 2017 und 2018 auch dieses Jahr erneut je 80.000 Euro an CDU und SPD überweist, könnte sie 2019 auf Platz eins der Großspender unter den deutschen Unternehmen rücken. Sie wäre der einzige bekanntere Konzern, der sich überhaupt noch in dem Kreis der Zuwender von Einzelsummen über 50.000 Euro findet. 2018 stand Evonik dort nach Daimler auf Platz zwei, vor zwei deutlich kleineren Firmen, die an die FDP spendeten.

Die Sonderrolle der Evonik ist deshalb bemerkenswert, weil auch ihre Eigentümerstruktur ungewöhnlich ist: 65 Prozent ihrer Aktien gehören der RAG-Stiftung – und in deren Kuratorium ziehen Parteipolitiker die Strippen. Die Namensliste reicht von den CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet und Tobias Hans bis zu den Bundesministern Peter Altmaier (CDU), Olaf Scholz und Heiko Maas (beide SPD). Bis Anfang April diesen Jahres – also vor gut einem Monat – hieß der Finanzvorstand der RAG-Stiftung überdies Helmut Linssen, es war niemand anderes als der frühere Schatzmeister der CDU.

Und wie gesagt: Ausgerechnet im RAG-Tochterunternehmen Evonik hat man ein großes Herz für die etablierten Parteien. Seit dem Jahr 2007 hat Evonik zusammengenommen um die 2,2 Millionen Euro an sie überwiesen. Die Löwenanteile davon gingen mit zusammen 894.500 Euro an CDU und CSU sowie mit 841.500 Euro an die SPD. Aber auch für FDP und Grüne fällt regelmäßig etwas ab.

Verhindern, dass Gelsenkirchen in einem See verschwindet

Eigentlich hat die RAG-Stiftung eine wichtige Aufgabe für die Öffentlichkeit zu erfüllen. Sie soll die sogenannten Ewigkeitslasten des Bergbaus an Ruhr und Saar finanzieren – zum Beispiel, in dem man kontinuierlich die stillgelegten Grubenschächte weiter abpumpt und so verhindert, dass Gelsenkirchen irgendwann unter einem großen See verschwindet. Ist ihr Stiftungsvermögen groß genug, bleibt am Ende sogar ein Überschuss für die öffentliche Hand übrig. Macht die RAG-Stiftung am Ende Verluste, müssen die Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und im Bund dafür geradestehen. Die RAG-Stiftung sei, so schrieb es einmal ihr früherer Chef Wilhelm Bonse-Geuking, eine "Treuhänderin der öffentlichen Hand".

Die Stiftung ist mit dem Staatshaushalt also wie in einem System kommunizierender Röhren verbunden. Formell ist sie freilich nicht Teil des Staates. Unternehmen, die in aller Form zu mehr als einem Viertel dem Staat gehören, dürfen laut deutschem Parteiengesetz aus gutem Grund keine Parteispenden leisten. Alles andere würde die offiziell festgelegten Obergrenzen für die staatliche Parteienfinanzierung verletzen. Doch die RAG-Stiftung ist eben der Form nach eine privat-rechtlich organisierte Einrichtung – und Evonik ist formal ein privates Unternehmen und darum an diese Regeln nicht gebunden.

Parteienrechtlerin sieht eine "Grauzone" und beklagt "ein Geschmäckle"

Die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger hat sich den Fall für den stern angeschaut. "Es ist eine Grauzone, was auch an dieser merkwürdigen Konstruktion liegt – einer Stiftung bürgerlichen Rechts, getragen von der öffentlichen Hand", sagt die Professorin. "Das hat ein Geschmäckle", fügt sie hinzu: "Formaljuristisch ist das laut Parteiengesetz nicht verboten. Aber es ist ein Konstrukt, das das Gesetz nicht vorgesehen hat."

Bei Evonik verteidigt man sich. "Unsere Spenden an die Parteien der demokratischen Mitte gehen nicht zu Lasten der Allgemeinheit – im Gegenteil", versichert ein Konzernsprecher. Aber kann nicht der Eindruck entstehen, dass Vorstände der Evonik sich mit Parteispenden bei der RAG-Stiftung und damit der Politik einschmeicheln wollen? "Das Kuratorium der RAG-Stiftung ist nicht in Personalentscheidungen bei Evonik eingebunden", versichert eine Stiftungssprecherin. "Der von Ihnen skizzierte Verlauf einer Einflussnahme durch Parteispenden ist für uns nicht nachvollziehbar." Vorwürfe, hier könne dennoch ein böser Schein entstehen, weist auch der Evonik-Sprecher als "absurd" zurück. Die RAG-Stiftung werde ja von einem Vorstand geleitet, "der mit Managern geführt wird".

Kanzlerin Merkel hielt "ihre Hand schützend" über den Vorstandschef

Ganz so simpel ist es nicht. Tatsächlich hatte das Kanzleramt gegen anfängliche Widerstände dafür gesorgt, dass das Management der RAG-Stiftung ab Ende 2012 stark politisiert wurde – mit dem SPD-nahen ehemaligen Wirtschaftsminister Werner Müller als Chef und CDU-Mann Linssen als Mann für die Finanzen. Müller dankte Angela Merkel dafür am 6. November 2012 in einem Brief an die "sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin", den der stern vor fünf Jahren publik machte. Erneut habe Merkel ihre "Hand schützend und fördernd über mich gehalten", formulierte Müller handschriftlich. Er fügte hinzu: "Dass ich jetzt den Stiftungsvorsitz antreten darf, wäre ohne Sie nicht möglich geworden. Dafür möchte ich Ihnen tief dankbar die Hand drücken."

Echte Unabhängigkeit von der Politik klingt anders. Müller schied bei der Stiftung im Frühjahr 2018 wieder aus, amtiert aber bis heute als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats von Evonik, dem er bis Mai 2018 ganz regulär vorsaß – und der wiederum die Personalentscheidungen für den Evonik-Vorstand trifft.

Experten erstaunte die Freigiebigkeit der Tochter Evonik schon länger. "Unabhängig von der formalen Rechtsform sind solche Spenden, jedenfalls rechtspolitisch, hoch problematisch", sagte der Verfassungsrechtler Hans-Herbert von Arnim bereits vor fünf Jahren: "Sie begründen den Schein der Vetternwirtschaft und dürften letztlich die öffentliche Hand belasten." Kritik kam damals auch vom Bund der Steuerzahler in NRW: Die RAG-Stiftung sollte das Geld "zusammenhalten", verlangte der Verband: Wenn die Tochterfirma stattdessen politische Landschaftspflege betreibe, "schadet sie dem Steuerzahler". Inzwischen zieht von Arnim angesichts des Rückzugs all der andere Großspender aus dem Unternehmenssektor einen weitergehenden Schluss: "Jetzt würde es naheliegen, Unternehmensspenden gänzlich zu verbieten", sagt er.

Vermögen der RAG-Stiftung droht zu knapp auszufallen

Die Kritik im Fall der Evonik erscheint umso triftiger, als sich beim Vermögen der RAG-Stiftung nicht alles so entwickelt hat, wie man das im Stiftungsvorstand unter Müller erwartet hatte. Um die Kosten der Ewigkeitslasten zu decken, wollte die Stiftung ursprünglich bis 2018 ein Vermögen von 18 Milliarden aufbauen, das dann in der Lage wäre, die Kosten zu decken. Laut RAG-Stiftung liegt dieses Vermögen – in Marktpreisen – heute aber erst bei 17 Milliarden.

Weder entwickelten sich die Zinsen wie erhofft, noch der Aktienkurs der Evonik. Ein von der Stiftung für 2018 erwarteter Realzins von 1,2 Prozent hätte dafür gesorgt, dass der Rückstellungsbedarf in der Tat 18 Milliarden Euro nicht überschreiten würde. Doch der Realzins ist seit Jahren negativ – und laut Stiftung ist der  Rückstellungsbedarf umso höher "je niedriger der Durchschnittszins" ausfällt. Umgekehrt heißt dies, dass der Rückstellungsbedarf heute erkennbar höher als 18 Milliarden Euro liegen dürfte. Bei der RAG-Stiftung gibt man sich trotzdem optimistisch. Entscheidend sei die gute Liquidität, mit "konstant" hohen Einnahmen von etwa 430 Millionen Euro im Jahr 2017. 

Zugleich gab in den vergangenen Monaten der Aktienkurs der Evonik nach. Er liegt heute mit 26,54 Euro erneut deutlich unter dem Wert von an die 33 Euro, den die Firma bei ihrem Börsengang im Jahr 2013 erzielte. Jeder Euro weniger beim Kurs der Aktie führt laut dem jüngsten Jahresabschluss der Stiftung dazu, dass das Vermögen um 300 Millionen Euro schrumpft – damals noch auf Basis eines Anteils an Evonik von knapp 68 Prozent statt heute 65.

Seit Jahren kündigt die RAG-Stiftung an, sie wolle die Anteile an Evonik "schrittweise" sogar auf 25,1 Prozent reduzieren. Weit vorangekommen ist sie mit diesem Ziel bis heute nicht. Kein Wunder – die Erlöse wären wohl kleiner als erhofft.

"Unsere Absicht, die Beteiligung an Evonik weiter zu reduzieren, gilt zwar unverändert", versichert wiederum die Stiftungssprecherin: "Wir haben aber keine Eile."

Vielleicht sollte sich die RAG-Stiftung bei den Schatzmeistern der großen Parteien erklären lassen, wie das geht – wie man sein Vermögen möglichst stetig nährt und keinesfalls zu viel davon abgibt.

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