Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat Video-Aufnahmen aus Chemnitz in Zweifel gezogen und damit eine heftige Debatte über rassistische Übergriffe dort losgetreten. Berichte über "rechtsextremistische Hetzjagden" in der sächsischen Stadt sieht er mit "Skepsis", wie er der "Bild"-Zeitung sagte. Maaßen widersprach mit seiner Äußerung auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem Regierungssprecher Steffen Seibert. Beide hatten nach den Vorfällen von Chemnitz von "Hetzjagden" gesprochen. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz läuft die Prüfung "möglicher "Hetzjagden" von Rechtsextremisten gegen Migranten" noch.
+++ Lesen Sie hier, was Maaßen gesagt hat und warum erste Politiker seinen Rücktritt fordern. +++
Die Pressestimmen zur umstrittenen Maaßen-Äußerung
"Frankfurter Rundschau": "Maaßen zweifelt den undefinierten Begriff 'Hetzjagd' an und relativiert so die Angriffe, erfindet aber den Versuch, 'von dem Mord in Chemnitz abzulenken', obwohl den klar definierten Mord-Begriff nicht einmal der Staatsanwalt vorbringt. Politisch am schädlichsten ist aber, dass die Debatte so auf einen Nebenkriegsschauplatz gerät. Weder die semantische Frage, was 'Hetzjagden' sind, nicht einmal die Chemnitzer Hitlergrüße sollten uns plagen. Sondern die Frage, warum so viele Ostdeutsche mit Rassisten und Nazis demonstrieren, und wieso sie auf diese Frage reagieren, indem sie die AfD zur stärksten Kraft machen."
"Mannheimer Morgen": "Der Verfassungsschutzpräsident hat eine Grenze überschritten, die ihn für sein Amt untragbar macht. Kritiker werfen ihm mangelnde Distanz zur AfD vor, er traf sich mehrfach mit der damaligen Parteichefin Frauke Petry. Doch an Rücktritt denkt er nicht. Maaßen verlässt sich auf seinen Dienstherrn Horst Seehofer. Der Innenminister stützt ihn. Kein Wunder, wer gegen Merkel ist, hat beim CSU-Chef immer etwas gut. Leider ist das auch jetzt so."
"Neues Deutschland": "Die AfD und ihre Unterstützer können sich wieder einmal die Hände reiben. Denn ihr Geschäft wird zunehmend von offizieller Stelle erledigt. Nun hat auch Hans-Georg Maaßen die rassistische Gewalt in Chemnitz verharmlost. Der Inlandsgeheimdienstchef stellte die Behauptung auf, dass es möglicherweise gar keine Hetzjagden in der sächsischen Stadt gegeben hat. Wie man die gut dokumentierten Übergriffe auf Migranten, Journalisten und demokratisch gesinnte Demonstranten durch Neonazis sonst nennen soll, bleibt das Geheimnis von Maaßen."
"Straubinger Tagblatt": "Als Chef einer Bundesbehörde, die dem Innenminister unterstellt ist, hat Maaßen eine andere Aufgabe: Es geht nicht um seine Meinungen und seine Mutmaßungen, vielmehr ist er zur Neutralität verpflichtet und hat der Regierung wie dem Parlament belastbare Unterlagen über die Aktivitäten aller extremistischen und verfassungsfeindlichen Gruppen in der Bundesrepublik zu liefern. Gerade da aber hat das Bundesamt für Verfassungsschutz in der Vergangenheit immer wieder versagt."
"Süddeutsche Zeitung": "Maaßen, von Beginn an ein beinharter Gegner der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, steht unter Druck. Die Geheimdienstchefs einiger Bundesländer nehmen ihm übel, dass er viel zu vorsichtig mit der AfD umgeht. Kann sein, dass Maaßen denkt, seine Initiative sei - zumal nach der Rückendeckung durch seinen Dienstherrn Horst Seehofer - für ihn ein Befreiungsschlag. Gut möglich, dass er sich da sehr irrt."
"Stuttgarter Zeitung": "Ein standfester Innenminister müsste Maaßen zum Rapport bestellen. Doch es ist nicht auszuschließen, dass Horst Seehofer Gefallen an dem findet, was Maaßen sagt. Seehofer provoziert damit die Kanzlerin. Die könnte kabinettsintern in Sachen Maaßen ein Machtwort sprechen. Sie sollte es tun."
"Westfälische Nachrichten": "Aufregung und Unruhe im politischen Berlin sind gewaltig. Der oberste Verfassungsschützer äußert Zweifel an der Echtheit eines Videos über eine mögliche 'Hetzjagd' in Chemnitz. (...) Dass es Maaßen gelingt, derartige Turbulenzen auszulösen, hat auch mit der Schwäche seines Dienstherrn, Bundesinnenminister Seehofer, zu tun. Dessen indifferente Haltung zu den Vorgängen in Chemnitz hat ein Vakuum an politischer Führung erzeugt. Maaßen stiftet Chaos - vielleicht will er das auch. Vor einem solchen Verfassungsschützer sollte der Staat auf der Hut sein."
"Sächsische Zeitung": "Ob man das, was vor zwei Wochen in Chemnitz passiert ist, Hetzjagd nennen oder nicht treffender von Jagdszenen sprechen sollte, darüber lässt sich in der Tat diskutieren. Berichterstatter sind manchmal zu vorschnell bei der Wortwahl. Sie sollten nicht übertreiben, aber auch nicht relativieren. Dieser Streit um Begriffe führt allerdings nicht weiter. Der Chef des Verfassungsschutzes allerdings feuert die aufgeheizte Debatte noch unnötig an. Er hat nicht nur wie andere vor ihm Zweifel, dass es Hetzjagden gab, sondern stellt mal eben so in den Raum, dass ein entscheidendes Internet-Video aus Chemnitz gefälscht sein könnte."
"Berliner Morgenpost": "Der Präsident muss seinen Vermutungen jetzt schleunigst Fakten folgen lassen und beweisen, dass seine Behauptungen stimmen. Seine Erklärung von Freitagabend, man 'prüfe' alle zugänglichen Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes, ist blamabel. Ist das die neue Vorgehensweise beim Verfassungsschutz: erst behaupten und danach prüfen? Maaßen ist kein Einzelkämpfer, der für sein Bauchgefühl bezahlt wird. Er verfügt über einen Etat von 350 Millionen Euro und über 3100 Mitarbeiter. Darunter etliche Experten, die ein gefälschtes Video entlarven könnten. Aus diesem Haus darf man mehr erwarten als seltsame Relativierungen zu den Chaos-Tagen von Chemnitz. Wenn der Verfassungsschutzpräsident am Ende nicht beweisen kann, dass im Fall Chemnitz die Öffentlichkeit mit einem oder gar mehreren gefälschten Videos getäuscht wurde, dann muss er gehen."
"Wester-Kurier": "Dass solch unhaltbare Spekulationen in Zeiten großer Verunsicherung nun ausgerechnet vom Verfassungsschutz-Präsidenten in die Welt gesetzt werden, ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch populistisch - denn sie enthalten schließlich auch Propaganda-Unterstellungen gegen die Verbreiter. Hinzu kommt, dass Maaßen es nicht für nötig hielt, seine Zweifel der Bundesregierung mitzuteilen, bevor er zur 'Bild' marschierte. Er ist damit unhaltbar. Die Hoffnung bleibt, dass er selbst die Konsequenzen zieht und zurücktritt. Auf Entlassung kann man jedenfalls nicht spekulieren, denn das müsste Horst Seehofer, Skandalnudel und Innenminister, übernehmen. Und der ist vollauf damit beschäftigt, sich an seinen eigenen Stuhl zu klammern."
"Rheinische Post": "Die Ereignisse von Chemnitz können vielleicht eines Tages als Lehrbeispiel dafür dienen, wie politische Stimmung eskaliert und wie das Misstrauen der Bevölkerung in das, was Politik, Behörden und Medien behaupten, wächst. Dass sich Regierung und Verfassungsschutz - beide ohne Faktengrundlage - einen Machtkampf über die Deutungshoheit der Ereignisse von Chemnitz liefern, ist nicht akzeptabel. Das Vorpreschen des Verfassungsschutzpräsidenten ist damit zu erklären, dass er um sein Amt kämpft. Maaßen steht wegen seiner Treffen mit AfD-Politikern in der Kritik. Sein Dienstherr ist Innenminister Horst Seehofer. Dem wiederum wird es gefallen, dass die Kanzlerin durch die Äußerungen des Verfassungsschutzpräsidenten unter Druck gerät. Diese Spielchen sind gefährlich, denn sie erschüttern das Vertrauen der Bürger nur noch mehr. In einer Zeit, in der jedermann gefälschte Nachrichten verbreiten kann, dürfen sich die staatlichen Institutionen keine politischen Positionierungen aufgrund von Mutmaßungen erlauben. Denn wenn ihre Suche nach der Wahrheit den eigenen öffentlichen Äußerungen hinterhereilt, ist das nicht mehr glaubwürdig."