Die Geschäftsführerin des Bundesverbands der Energiewirtschaft (BDEW), Hildegard Müller, schäumte vor Zorn, als sie hörte, dass im CDU-Präsidium jetzt ein knallhartes Nein zur Verabschiedung des CO2-Gesetzes vor der Bundestagswahl beschlossen worden war. "Es wäre für unseren Wirtschaftsstandort eine Katastrophe", klagte sie.
Das war für sie auch eine sehr persönliche Niederlage. Denn die großen Stromhersteller waren es gewesen, die die frühere Staatsministerin im Kanzleramt und Merkel-Vertraute mit einer Verdreifachung ihres bisherigen Salärs in ihre Dienste geholt hatten. Konnte man eine bessere Lobbyistin bei der Kanzlerin bekommen?
Für Müller ergibt sich aus dem Nein der CDU/CSU eine sehr ungewohnte Situation. Die CDU-Politikerin hat bei ihrem Kampf jetzt nur noch die SPD hinter sich - und die auch nur halbherzig. SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel ruft empört nach einem Machtwort der Kanzlerin. "Ich erwarte eine klare Entscheidung von CDU und CSU für dieses Gesetz." Merkel selbst habe es schließlich hoch gerühmt und im Kabinett dafür gestimmt. Auch der stellvertretende SPD-Fraktionschef Ulrich Kelber schimpft. "Wir sind entsetzt", rügt er die Kanzlerin und erklärt: "Das ist unredlich."
Auch die Unterstützung in der SPD brökelt
Die Sündenbocksuche der SPD ist allerdings ziemlich unredlich. Denn auch in ihren eigenen Reihen gibt es massiven Widerstand gegen das Gesetz zur Speicherung von Kohlendioxid. Ihr "Sonnen-Papst" genannter Energiepolitiker Hermann Scheer jubelt gegenüber stern.de über die CDU/CSU-Fraktion: "Sie hat der Regierung in letzter Minute eine überfällige Denkpause verordnet. Wir müssen über das Projekt neu nachdenken, denn es gibt sinnvollere, risikofreiere, kostengünstigere und schneller erreichbare Alternativen."
Scheer ist kein Einzelkämpfer in der SPD. Auf dem jüngsten SPD-Parteitag widersprach er Gabriel. Wer für die Verpressung von CO2 in den Boden eintrete, trage Konflikte in jeden Ortsverein, warnte er. Und er setzte in einem Antrag durch, dass die SPD sich jetzt in ihrem Wahlprogramm dazu bekennt, der Wiederverwertung von CO2 sei Vorrang vor der Endlagerung einzuräumen. Nur Gabriel will davon nichts wissen.
Zuvor hatte Scheer in einem Brief an alle SPD-Abgeordneten vor einem Ja zum CO2-Gesetz gewarnt. Was ihn ärgerte: Dass die SPD-Führung unterm Druck der Energiewirtschaft alle Warnungen der Experten vor der Endlagerung überhörte. Der Sachverständigenrat der Regierung hatte erhebliche Einwände. Das Umweltbundesamt warnte. Anhörungen des Umweltausschusses des Bundestags und der Arbeitsgruppe Umwelt brachten erhebliche Bedenken vor der Endlagerung. Scheer: "Wir handeln uns ein neues Jahrhundertproblem ein." Denn es gebe keine Garantie, dass das gelagerte CO2 nie wieder entweiche.
Ein zweites Wackersdorf?
Merkel versuchte, ihre Niederlage mit Spott abzuwenden. Bei CO2 gehe es doch nur um einen Stoff, der ja sogar in Sprudelflaschen vorhanden ist." Doch damit konnte sie weder ihren Fraktionschef Volker Kauder überzeugen. Schon gar nicht die CSU, deren Landesgruppenchef Peter Ramsauer das Nein seiner Partei dramatisch klar verkündete: "Wir reißen doch nicht mit dem CCS-Hintern das ein, was man den Bauern zuletzt angetan hat." Jeder Landbesitzer müsse es bei diesem Gesetz doch dulden, wenn unter seinem Boden ein CO2-Depot angelegt werden soll oder die notwendige Pipeline, die dahin führt.
Zudem hatte Scheer listigerweise mit seinem Brief auch eine Landkarte verschickt, auf der die 530 Kilometer lange CO2-Leitung aus dem Ruhrgebiet nach Niedersachsen und Schleswig-Holstein markiert war. Dorthin will der Kohlekraftwerk-Betreiber RWE sein CO2 verschicken. Denn im Norden gelten die Erdschichten als besonders geeignet für die Lagerung. Damit waren auch die CDU-Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und Christian Wulff bedient. Sie verlangten den Stopp des Gesetzes.
Die Naturwissenschaftlerin Merkel hält alle Bedenken gegen die CO2-Speicherung für unsinnig. Sie vertraut voll auf Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Der sagt, gefährlicher Klimawandel lasse sich nur vermeiden, wenn CO2 nicht länger in die Atmosphäre geblasen werde. Gegner des neuen Verfahrens nannte er "betriebsblind". Da auch Schwellenländer wie Indien oder China nicht auf Kohlekraftwerke verzichten würden, könne die Technologie dort zum Zeitgewinn beim Klimaschutz beitragen. Außerdem bekomme Deutschland damit Chancen auf zusätzliche technologische Exporte.
Der Schwindel von der klimafreundlichen Kohle
Die Umweltverbände lehnen das CCS-Gesetz strikt ab. Es diene nur dazu, dem schmutzigen Brennstoff Kohle einen grünen Anstrich zu geben. Niemand wisse, ob die Versenkung in der Erde funktioniere und wie sicher sie überhaupt sei. Das Gesetz nütze nur den großen Energiekonzernen, die wie bisher Strom in großen Kohlekraftwerken produzieren wollten. Wenn Merkel sich ernsthaft als Klimaschutzkanzlerin profilieren wolle, was sie fortwährend versuche, dann dürfe sie die Kohlepolitik der Nachkriegszeit nicht bis ins nächste Jahrhundert hinein verlängern.
Am massivsten Front gegen das Projekt machen der Bundesverband Erneuerbare Energie, die Deutsche Umwelthilfe, der Bundesverband der Verbraucherzentralen der Ökoenergiehändler Lichtblick. Beim BDEW werde versucht, "kleinmütig an alten Geschäftsmodellen festzuhalten und ängstlich die Milliardengewinne zu verwalten". Strom aus erneuerbaren Energien werde bald billiger sein als Strom aus CCS-Kraftwerken.
Für Scheer ist damit die Lage klar: "Die CCS-Option ist der Versuch, einen Rettungsring für Großkraftwerke bereit zu stellen." Und er warnt seine SPD davor, ausgerechnet jenen Stromkonzernen entgegenzukommen, die nach der Bundestagswahl für den Fall einer schwarz-gelben Koalition den Ausstieg aus der Kernenergie stoppen wollten.