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Euro-Abstimmung Zerreißprobe auf Raten

Vor der Abstimmung über den Rettungsschirm spielt die Unionsspitze den Wert der Kanzlermehrheit herunter. Doch es geht um viel – bei mangelndem Rückhalt wackeln die nächsten Euro-Entscheidungen.
Von Caspar Schlenk

Sein "Nein" zum Euro-Rettungsschirm hat er auf Papier festgehalten. 48 Stunden vor der Abstimmung hat Josef Göppel, CSU-Abgeordneter, seine Erklärung bei der Fraktionsspitze abgegeben, wie der Bundestagsabgeordnete aus dem bayerischen Ansbach stern.de mitteilte. Keine Finanztransaktionssteuer, keine Stimme - so seine Begründung. Laut Fraktionsgeschäftsordnung muss jeder Abgeordnete einen Brief schreiben, wenn er von der Fraktionslinie abweicht. Göppels Brief wird nicht der einzige sein.

Doch die Spitzen von Partei und Fraktion kämpfen bis zur letzten Minute um Einigkeit: Die Kanzlerin höchstpersönlich rief den Berliner Abgeordneten Karl-Georg Wellmann an, um ihn umzustimmen. Noch vor wenigen Tagen hatte er im Gespräch mit stern.de gesagt: "Bisher hat noch keiner mit mir gesprochen, anscheinend legt man keinen Wert auf meine Stimme." Ob die letzte Fraktionssitzung seinen Zweifel ausräumen konnte, ist nicht bekannt.

Kanzlermehrheit wackelt

Es ist unwahrscheinlich, denn elf Unionsabgeordnete haben bei einem Test erneut gegen den Merkel-Kurs votiert, wobei der prominentste Kritiker Wolfgang Bosbach fehlte. Hinzu kamen zwei Enthaltungen. Eine schwache Verbesserung zur ersten Probeabstimmung, bei der insgesamt zwölf Abgeordnete gegen den Rettungsschirm stimmten. Auch bei den Freidemokraten hadern einige mit dem Eurokurs - nicht zuletzt Frank Schäffler, der versucht mit einem Mitgliederentscheid den Kurs der Parteiführung zu drehen. Bei der letzten Abstimmung der FDP-Fraktion hatten zwei Abgeordnete mit "Nein" votiert, vier weitere enthielten sich.

Die Opposition fordert nicht nur eine Kanzlermehrheit gemäß der lexikalischen Definition des Begriffs - also die Hälfte aller 620 Parlamentarier plus eine Stimme - denn die ist ja dank der angekündigten Zustimmung von SPD und Grünen sicher. Viel mehr soll Schwarz-Gelb eine Kanzlermehrheit nach der im politischen Alltag verwendeten Bedeutung erreichen und die 311 Stimmen alleine zusammenbekommen. 19 Abweichler dürfte es in diesem Fall geben und alle Schwarz-Gelben müssten bei der Abstimmung dabei sein. In der FDP rechnet Generalsekretär Christian Lindner mit vier Abweichlern. So kommt Schwarz-Gelb auf 18 abweichende Stimmen. Es ist jedoch unklar, ob Abgeordnete wegen Krankheit fehlen.

Seehofer legt die Messlatte hoch

In den vergangenen Tagen hatte die Kanzlerin, ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble und der parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier krampfhaft versucht, die Bedeutung der Kanzlermehrheit herunterzuspielen. Es handele sich um ein "einfaches Gesetz", das auch nur eine einfache Mehrheit brauche, so der Tenor. Es sei auch keine Gewissensfrage, betonten die Spitzenpolitiker. Nun strebt die Koalition eine "eigene Mehrheit" an. Bedeutet: mehr Stimmen aus der Koalition als von der Opposition.

Die Zielmarke stammte allerdings nicht nur von der Opposition. CSU-Chef Horst Seehofer hatte schon vor der letzten Probeabstimmung gesagt: "Ich bin ein entschiedener Verfechter einer Kanzlermehrheit für dieses Thema, weil dies wohl die wichtigste Abstimmung in dieser Legislatur ist."

Wie übersteht die Koalition die nächsten Hürden?

Eine verfehlte Kanzlermehrheit würde weiter am beschädigten Image der schwarz-gelben Holperkoalition kratzen. Viel schlimmer: In dem Abstimmungsverhalten zeigt sich deutlich ein Trend. So hatten gegen den ersten Rettungsschirm noch fünf Koalitionäre gestimmt oder sich enthalten, gegen das Rettungspaket für Griechenland waren es schon zehn. Und am Donnerstag sind es voraussichtlich 18 Nein-Stimmen und Enthaltungen. Viele der Koalitionäre stimmten jetzt schon mit "Bauchgrimmen" ab, sagte Josef Göppel. Für Karl-Georg Wellmann ist es die "schwerste Entscheidung" eines Abgeordneten, denn von sechs Fachleuten bekomme man sieben verschiedene Meinungen.

Setzt sich der Trend fort, wird jede weitere Abstimmung zur großen Zerreißprobe der Koalition, denn im November muss der Bundestag über das zweite Griechenlandpaket entscheiden. Anfang des kommenden Jahres wird dann über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) - den dauerhaften Rettungsschirm - abgestimmt.

Zudem sinkt das Vertrauen gegenüber der eigenen Führung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die USA hatten eine weitere Aufstockung und neue Mechanismen gefordert, die die EFSF faktisch mit unbegrenzten Mitteln ausstattet. Schäuble und Merkel hatten schon im Vorfeld versucht, diese Zweifel auszuräumen. Nicht immer mit Erfolg. Der CDU-Abgeordnete Manfred Kolbe sagte zu stern.de nach der Fraktionssitzung: "Ich habe das so verstanden: Die Regierung will diese Aufstockung nicht, kann sich aber nicht an die Zusage binden."

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