Europäische Charta für Pressefreiheit Medien aus Ost und West vereint

Bedroht ist die Pressefreiheit überall in Europa - eine Charta formuliert nun erstmals Grundsätze zu ihrer Verteidigung.

Sie kamen aus Russland und der Türkei, aus Albanien und Estland, aus Polen, Italien, Frankreich, Weißrussland und Serbien - kurz: aus allen Teilen Europas. Am Montag vergangener Woche unterzeichneten im Hamburger Verlagshaus von Gruner+Jahr 46 Chefredakteure und leitende Journalisten aus 19 Staaten die erste Europäische Charta für Pressefreiheit. Darunter waren auch die stern-Chefredakteure Thomas Osterkorn und Andreas Petzold. Hans-Ulrich Jörges, Mitglied der stern-Chefredaktion, war der Initiator der Charta. Finanziert wurde die Konferenz von Gruner+Jahr und dem Axel Springer Verlag.

Ihr waren dreimonatige Vorbereitungen deutscher Journalisten, unter anderem von stern, "Spiegel", "Zeit", "FAZ", "Welt" und "taz", vorausgegangen. Jörges hatte die Charta bereits vor zwei Jahren bei einem Treffen mit der EU-Medienkommissarin Viviane Reding in Brüssel vorgeschlagen. Doch die nachfolgenden Verhandlungen europäischer Verleger- und Journalistenverbände scheiterten - man zerstritt sich über die Frage, ob auch Werbefreiheit in den Medien zu den Grundsätzen zählen sollte.

Das Hamburger Dokument, das Ost und West erstmals journalistisch vereinigt, soll am 9. Juni in Brüssel an Medienkommissarin Reding übergeben werden - mit der Aufforderung, der Charta in Europa Geltung zu verschaffen und ihre Anerkennung neuen EU-Mitgliedern zur Bedingung zu machen. Jeder Journalist kann die Charta im Internet unterzeichnen (www.pressfreedom.eu) und sich im Fall von Konflikten auf sie berufen.

Artikel 1

Die Freiheit der Presse ist lebenswichtig für eine demokratische Gesellschaft. Journalistische Medien aller Art zu achten und zu schützen, ihre Vielfalt sowie ihre politischen, sozialen und kulturellen Aufgaben zu respektieren, ist Auftrag aller staatlichen Macht.

Artikel 2

Zensur ist untersagt. Unabhängiger Journalismus in allen Medien ist frei von Verfolgung und Repressalien, ohne politische oder regulierende Eingriffe des Staates zu garantieren. Presse und Online-Medien dürfen nicht staatlicher Lizenzierung unterworfen werden.

Artikel 3

Das Recht von Journalisten und Medien zum Sammeln und Verbreiten von Informationen und Meinungen darf nicht bedroht, eingeschränkt oder unter Strafe gestellt werden.

Artikel 4

Der Schutz journalistischer Quellen ist strikt zu wahren. Durchsuchungen von Redaktionen und anderen Räumlichkeiten von Journalisten sowie Überwachungen und Lauschaktionen mit dem Zweck, Informationsquellen ausfindig zu machen oder das Redaktionsgeheimnis zu brechen, sind unzulässig.

Artikel 5

Alle Staaten haben sicherzustellen, dass Medien bei der Erfüllung ihrer Aufgaben den vollen Schutz eines unabhängigen Gerichtssystems, der Gesetze und der Behörden genießen. Das gilt insbesondere für die Abwehr von Belästigungen und Angriffen auf Leib und Leben von Journalisten und deren Mitarbeitern. Bedrohungen oder Verletzungen dieser Rechte sind sorgfältig zu untersuchen und durch die Justiz zu ahnden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Artikel 6

Die wirtschaftliche Existenz von Medien darf durch staatliche oder staatlich beeinflusste Institutionen oder andere Organisationen nicht gefährdet werden. Auch die Androhung von wirtschaftlichem Schaden ist unzulässig. Private Unternehmen müssen die journalistische Freiheit der Medien achten. Sie dürfen weder Druck auf journalistische Inhalte ausüben noch versuchen, werbliche Inhalte mit journalistischen Inhalten zu vermischen.

Artikel 7

Staatliche und staatlich beeinflusste Institutionen dürfen den freien Zugang von Medien und Journalisten zu Informationen nicht behindern. Sie sind verpflichtet, deren Informationsauftrag zu unterstützen.

Artikel 8

Medien und Journalisten haben Anspruch auf ungehinderten Zugang zu allen Nachrichten und Informationsquellen, auch aus dem Ausland. Ausländischen Journalisten sind zur Berichterstattung Visa, Akkreditierungen und andere erforderliche Dokumente ohne Verzögerung auszustellen.

Artikel 9

Der Öffentlichkeit jedes Staates ist freier Zugang zu allen nationalen wie ausländischen Medien und Informationsquellen zu gewähren.

Artikel 10

Der Staat darf den Zugang zum Beruf des Journalisten nicht beschränken.

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