Herr Trittin, Sie waren in jungen Jahren Mitglied im Kommunistischen Bund. Jetzt ist häufiger zu hören, Marx hatte mit seiner Analyse über die entfesselten Marktkräfte Recht gehabt. Sehen Sie das auch so?
Wenn schon die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Staaten dazu auffordert, Horst Köhlers "Monster", also ihre Finanzkonzerne, wieder einzufangen, weiß man, dass das Zeitalter der neoliberalen Ideologie vorbei ist. Nun rufen auch jene nach der Regulierung der Märkte, die das jahrelang als linkes Teufelszeug abgetan haben. Nach meiner Überzeugung ist ein Markt ohne Regulierung der organisierte Anlagebetrug.
Die Grünen haben unter Kanzler Gerhard Schröder mit dafür gesorgt, dass Hedgefonds in Deutschland überhaupt agieren dürfen. War das nicht ein unverzeihlicher Fehler?
Es war kein Fehler, neue Finanzierungsmöglichkeiten zuzulassen. Aber es war ein Fehler, keine Regulierung für Hedgefonds zu installieren. Damals gab es dagegen erhebliche Widerstände in der SPD, die Sozialdemokraten lieferten sich einen regelrechten Wettlauf mit der FDP, wie die Märkte am besten zu deregulieren seien.
Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, die Finanzkrise ist da. Was fordern die Grünen?
Man muss sich mal die amerikanischen Rating-Agenturen ansehen. Die haben Zertifikate auf Grundstücke und Immobilien, die heute nichts mehr wert sind, mit den besten Ratings bewertet. Da ist die Blase entstanden. Also brauchen wir endlich eine europäische Rating-Agentur. Zweitens brauchen wir Zulassungskriterien für Hedgefonds, und drittens brauchen wir Maßnahmen, um die Spekulation dämpfen. Deshalb setzen wir uns nachdrücklich für eine Börsenumsatzsteuer in Deutschland ein.
Die FDP fordert eine unabhängige Stiftung Finanztest, die die Rating-Agenturen ersetzen soll. Liegen Sie da nicht auf einer Linie mit ihrem politischen Erzfeind?
Wenn ein politischer Gegner sagt, eins und eins sei zwei, würde ich dem nicht widersprechen. Aber es gibt Unterschiede. Was die FDP fodert, ist eine mehr oder weniger unverbindliche Stiftung. Was wir wollen, ist eine europäische Rating-Agentur, die so unabhängig ist, dass sie dem Gezerre um die nationalen Wirtschaftspolitiken widerstehen kann. Sie soll verlässliche Bewertungen dafür liefern, zu welchen Konditionen sich Unternehmen und die öffentliche Hand am Kreditmarkt Geld leihen können.
Auf die Börsenumsatzsteuer hat die Linkspartei ein Abo. Wird sie nicht den politischen Profit aus dieser Krise mitnehmen?
Ich muss Sie korrigieren. Die Grünen hatten das schon 1998 in ihrem Programm stehen. Aber es war, wie gesagt, schwierig, solchen Vorschlägen bei der SPD überhaupt Gehör zu verschaffen. Der damalige Finanzminister hieß übrigens Oskar Lafontaine. Wenn er sich jetzt hinstellt und sagt, ich habe Recht gehabt, muss er sich fragen lassen, warum er damals, kaum war der Herd angestellt, aus der Küche geflohen ist. Das ist das historische Versagen des Oskar Lafontaine.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Wie bewerten Sie das derzeitige Krisenmanagement der Großen Koalition?
Als die Immobilienkrise vor eineinhalb Jahren begann, sagte Wirtschaftsminister Michael Glos, Deutschland sei nicht betroffen. Weil die deutsche Wirtschaft größtenteils aus Mittelständlern bestehe, die nicht an der Börse notiert seien. Das war die Reichweite des ökonomischen Sachverstandes dieser Bundesregierung. Im Grunde genommen hat die Bundesregierung bis zur Regierungserklärung vergangene Woche geleugnet, dass die Immobilienkrise in den USA Auswirkungen auf Deutschland haben würde. Dabei war zu beobachten, dass die Wirtschaft längst umsteuert. Die Deutsche Bank, die jahrelang händeringend versucht hat, ihr Privatkundengeschäft loszuwerden, kauft plötzlich die Postbank, um vom Investmentbanking wegzukommen. Die Wirtschaft agierte schon, als sich die Bundesregierung noch tot stellte. Nun verfallen Kanzlerin Angela Merkel und Peer Steinbrück - angeblich haben wir ja auch noch einen Wirtschaftsminister - in hektische Aktivitäten, ohne ein schlüssiges Konzept zu haben.
Die Große Koalition hat Bürgschaften ausgegeben, zum Beispiel für die Hypo Real Estate. Wäre die Verstaatlichung nicht der konsequentere Weg gewesen?
Richtig ist: Wenn es einen Fall wie die Hypo Real Estate gibt, dann muss man sich für eine staatliche Bürgschaft Unternehmensanteile geben lassen. Das ist der einzige Weg, um zu verhindern, dass die Bürger auf den Verlusten sitzen bleiben, während die Gewinne weiter privat kassiert werden. Insofern war es falsch, was Steinbrück und Merkel gemacht haben.
Angela Merkel hat obendrein eine Garantie auf die Spareinlagen gegeben, das etwa 1,6 Billionen Euro wert ist. Ist ein solches Versprechen überhaupt haltbar oder reine Psychologie?
Es ist im wesentlichen Psychologie, die verhindern soll, dass die Leute aus Ihren Spareinlagen rausgehen und sich die Finanzierungsprobleme auf dem Markt verschärfen. Die Zusage ist rein politisch und ohne gesetzliche Grundlage. Dennoch ist sie in ihrem Umfang so weitgehend, dass sie selbst den Eindruck von Panik erweckt.
Woher soll das Geld kommen, wenn diese Bürgschaften fällig werden? Und ist aus dieser Perspektive das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nicht jetzt schon hinfällig?
Das Ziel des ausgeglichenen Haushalts hätte man angesichts der Mehreinnahmen, die in den vergangenen Jahren geflossen sind, schon viel früher erreichen können. Werden nun Bürgschaften fällig, wäre ein ausgeglichener Haushalt 2011 nur mit massiven Leistungskürzungen für die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. Das wiederum würde die Binnennachfrage weiter drosseln und die Wirtschaftskrise verschärfen. Man darf das Haushaltsziel also nicht ideologisch überhöhen.
Um all diese Fragen zu erörtern, fordern die Grünen einen Untersuchungsausschuss zur Finanzkrise. Von der FDP ist dazu bislang nichts zu hören. Ist der Untersuchungsausschuss eine Totgeburt?
Die Bankenkrise ist - neben dem Klimawandel - der extremste Fall von Marktversagen in der jüngeren Geschichte. Doch die FDP sieht jetzt noch die Schuld beim Staat. Sie hat sich sehr frühzeitig für einen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen um die Kreditanstalt für Wiederaufbau eingesetzt, denn hier handelt es sich um eine Staatsbank. Die aktuelle Krise ist insgesamt jedoch nicht das Ergebnis von zu viel staatlicher Aktivität, sondern von zu wenig staatlicher Aktivität. Die Neigung der FDP, das Fehlverhalten der Regierung zu untersuchen, ist aus ideologischen Gründen extrem gebremst.
Die Finanzkrise schlägt auf die sogenannte Realwirtschaft durch. Leidtragende sind vor allem die Normalbürger, die um ihre Jobs und ihr Geld fürchten müssen. Was entgegnen die Grünen auf die verständliche Empörung?
Die Bevölkerung hat völlig Recht. Das ist der Grund, weshalb die Grünen seit Jahren - auch gegen den Zeitgeist - die Regulierung von Märkten gefordert haben. Es ist jetzt an der Zeit, sich von der bloßen Handwerkelei an irgendwelchen Bürgschaften zu verabschieden, und zu einer Re-Regulierung des globalen Kapitalismus zu kommen.
Wenn die Zeiten härter werden, können sich allerdings auch die Grünen ihre sozialpolitischen Forderungen - zum Beispiel eine Erhöhung der Hartz IV-Sätze - abschminken. Wäre es nicht ehrlich, jetzt eine Agenda 2020 aufzustellen?
Im Gegenteil. Sollten wir in eine Rezession reinrutschen, muss es darum gehen, die Massenkaufkraft zu stärken. Und das Argument, dass kein Geld da sei, ist nicht mehr zu akzeptieren. Als die Grünen forderten, das Arbeitslosengeld II anzuheben - was netto 10 Milliarden Euro gekostet hätte - hieß es, wir würden in einem Wolkenkukucksheim leben. Nun werden über Nacht Bürgschaften in Milliardenhöhe zusammengezimmert.
Sollte Deutschland tatsächlich in eine Rezession schliddern - wie wird sich das politische Koordinatensystem ihrer Einschätzung nach verschieben?
Der Drang, den Markt zu regulieren, wird stärker werden. Aber auch der Hang der Sozialdemokratie, bei der CDU unterzuschlüpfen. So viele großkoalitionäre Signale, wie sie in den letzten Tagen aus der SPD gekommen sind, habe ich selten gesehen.