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Liebe Leserinnen und Leser,
vor vielen Jahren besuchte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mal Rendsburg in Schleswig-Holstein. So ein Besuch verlangt umfassende Sicherheitsvorkehrungen, weshalb viele Polizeikräfte damit beschäftigt waren, Straßen abzusperren, den Verkehr umzuleiten oder den Kanzler zu schützen. Diesen Umstand versuchte ein Mann, der sich für besonders clever hielt, auszunutzen, um quasi unbemerkt eine Bank zu überfallen. Der Versuch scheiterte.
An diese Episode, die mir mein Kollege Nico Fried erzählte, fühlte ich mich erinnert, als Christian Lindner vergangenes Wochenende den politischen Trubel in Berlin zu nutzen versuchte – natürlich ohne kriminell zu werden. Aber um Geld ging es auch, genauer gesagt begrub der Finanzminister das Klimageld. Am Montag war dann einiges los: Traktoren aus ganz Deutschland fuhren am Brandenburger Tor vor, Landwirtschaftsvertreter trafen sich mit den Ampel-Fraktionsvorsitzenden, der Finanzminister selbst stellte sich der Menge (mein Kollege Benedikt Becker beobachtete ihn dabei und schrieb einen lesenswerten Kommentar).
Die Landwirte ärgert, dass die Regierung im Zuge der Sparmaßnahmen auch bei ihnen kürzt. Einige finden, dass der Umbau der Landwirtschaft schon seit Jahren nicht vorankommt, und manche stören sich ganz grundsätzlich an der Regierung aus SPD, Grünen und FDP. Fest steht: Es war nicht die Klimageld-Absage, die das Berliner Regierungsviertel lahmlegte. Ich frage mich inzwischen: War das des Finanzministers Kalkül? Klimageld abräumen – aber möglichst unauffällig?
Es war schließlich eines der großen Versprechen der Ampelregierung. Für den Klimaschutz werden fossile Energieträger wie Heizöl, Erdgas und Benzin zwar teurer. Doch die Einnahmen aus dieser CO2-Bepreisung sollen gleichmäßig an alle Bürgerinnen und Bürger rücküberwiesen werden. Die Idee: Verbraucher zu CO2-armen Alternativen zu lenken, ihnen aber unter dem Strich kein Geld wegzunehmen – um die Akzeptanz für den Klimaschutz zu steigern und insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen zu entlasten.
Aufmerksame Beobachterinnen und Beobachter konnten bereits ahnen, dass es um das Klimageld schlecht bestellt ist. Im Sommer hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) Erwartungen an eine rasche Einführung gedämpft. Im Dezember hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf Entlastungen bei der EEG-Umlage hingewiesen, welche "faktisch ein Klimageld über den Strompreis" seien. Finanzminister Lindner sagte nun: Ob die Möglichkeit der Auszahlung genutzt werde, "wird nach der nächsten Wahl zu entscheiden sein".

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Offen ist: Wer von SPD, Grünen und FDP wird da noch an der Regierung sein? Am Mittwoch dann veröffentlichten 16 Verbände, vor allem aus dem Sozial- und Umweltbereich, einen gemeinsamen Appell: "Herr Minister Lindner: Zahlen Sie das Klimageld noch in dieser Legislaturperiode aus!" Würden die Mehreinnahmen aus dem CO2-Preis seit 2021 ausgeschüttet, so die Verbraucherzentralen, bekäme jede Bürgerin und jeder Bürger 139 Euro überwiesen.
PERSON DER WOCHE
Die Protestwoche der Bauern verlief insgesamt friedlich. Man musste anderes befürchten: Wenige Tage vorher hatte eine aufgebrachte Menge am schleswig-holsteinischen Hafen Schlüttsiel verhindert, dass eine Fähre mit Robert Habeck an Bord anlegen konnte. Wie bedroht hat er sich in dem Moment gefühlt? Und wo liegt die Grenze des legitimen Protests? Antworten darauf hat der Wirtschaftsminister im Gespräch mit meinen Chefs Jan Rosenkranz und Veit Medick gegeben.
UND SONST SO?
Bei einem geheimen Treffen in Brandenburg sollen AfD-Politiker, Unternehmer und Rechtsextreme Pläne für die Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund geschmiedet haben. Seit das durch einen Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv bekannt wurde, wird über ein AfD-Verbotsverfahren diskutiert. Besonders vehement fordert das der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz. Im Gespräch mit unserer Chefreporterin Miriam Hollstein warnte der CDU-Politiker: "Wenn wir eine weitere Radikalisierung abwarten, kann es zu spät sein." Mein Kollege Veit Medick sieht eher die Risiken eines solchen Verfahrens.
LAUTER LIEBLINGE
Ihr Highlight der Woche
Mehr als zwei Millionen Euro haben Beamte in Bundesministerien seit Beginn der Ampel-Regierung durch Nebentätigkeiten verdient. Aus den Zahlen, die meinem Kollegen Florian Schillat und Miriam Hollstein exklusiv vorlagen, geht auch hervor, in welchem Ministerium besonders viel Geld aus Nebenbeschäftigungen eingestrichen wurde.
Mein Highlight der Woche
Ausgelöst durch den Correctiv-Bericht über das Geheimtreffen der extrem rechten Szene in Brandenburg (siehe oben) demonstrierten am Sonntag Tausende in Berlin gegen die AfD, am Dienstag waren es rund 30.000 in Köln. In vielen weiteren Städten sind in dieser Woche Proteste geplant. Eine Freundin berichtete mir gerade, dass sie nun deshalb einer Partei (nicht der AfD) beigetreten sei. Wie nehmen Sie das wahr: Steht die viel zitierte "Mitte der Gesellschaft" jetzt auf? Und wird das reichen? Schreiben Sie mir gern an lisa.becke@stern.de
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche.
Herzlich,
Lisa Becke
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