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GroKo nach Bayern-Wahl Abgesang auf "Politik von vor 30 Jahren": Wie die zweite Reihe nach vorne prescht

Nach der Wahl in Bayern: Kevin Kühnert (SPD) und Daniel Günther (CDU) kritisieren die Große Koalition in Berlin
Kritisieren nach der Bayernwahl die Große Koalition in Berlin: Kevin Kühnert (SPD, l.) und Daniel Günther (CDU)
© Bernd von Jutrczenka / DPA, Markus Scholz / DPA
Wie lange geht das mit der Großen Koalition im Bund noch gut? Nach der Landtagswahl in Bayern wird diese Frage in SPD und Union offen gestellt, bei beiden regt sich vor allem in der zweiten Reihe die neue Generation mit klaren Ansagen.

Zweimal schaute es in den vergangenen sechs Monaten schon vorbei in der Hauptstadt, jetzt ist es wieder da: Das Gespenst des Koalitionsbruchs. Und wenn man so hört und liest, was Vertreter von Union und SPD in den vergangenen Stunden in die Mikrofone und Kameras gesagt, in die Notizblöcke von Reportern diktiert oder in den sozialen Medien geschrieben haben, drängt sich der Verdacht auf: So schnell wird das Gespenst nicht wieder verschwinden.

Gewiss, das Ergebnis der bayrischen Landtagswahl bedeutet eine Zäsur in der Politik des Freistaats – die Auswirkungen auf die Bundespolitik könnten indes noch größere Ausmaße annehmen.

SPD und CSU haben jeweils desaströse Ergebnisse in Bayern eingefahren, in der Analyse sind sich Sozialdemokraten und Union einig: Eine erhebliche Mitschuld trägt daran die Arbeit der Großen Koalition in Berlin. Klar ist für die Parteien danach auch: Ein "Weiter so" in der GroKo kann, darf und soll es nicht geben. Ob es aber überhaupt noch lange weiter geht, ist unsicherer denn je.

Kevin Kühnert kritisiert Große Koalition

Vor allem die Sozialdemokraten scheinen angesichts des historisch schlechten Abschneidens in Bayern genervt von der Zusammenarbeit mit CDU und CSU in Berlin. Die Erneuerung der Partei bei gleichzeitiger Regierungsbeteiligung im Bund ist ein Drahtseilakt, den Parteichefin Andrea Nahles meistern muss und offenkundig bislang nicht meistern konnte. In knapp zwei Wochen wählen die Hessen ein neues Parlament. Aller Voraussicht nach wird SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel dann um kurz nach 18 Uhr in Wiesbaden ebenfalls deutliche Verluste für seine Partei erklären müssen. Die Offensiven des Anti-Groko-Lagers in der SPD werden ab diesem Zeitpunkt auf Hochtouren laufen, einen Vorgeschmack darauf gibt es schon jetzt nach der verkorksten Bayern-Wahl.

So hat die Galionsfigur der GroKo-Gegner in der SPD, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, schon kurz nach Schließung der Wahllokale via Twitter erklärt, was er von der Politik, wie sie zurzeit läuft, hält: nichts. Er kritisierte offen die Art und Weise, wie Politik gemacht werde. "Binsen, Nabelschau, Botschaften nach innen. Heute besonders schlimm", twitterte er, "unsere politischen Rituale sind aus der Zeit gefallen".

In der "Rheinischen Post" legte Kühnert dann am Montagmorgen nach und forderte einen Politikwechsel: "Entweder wir versuchen noch ein weiteres Mal, die Koalitionspartner zur Vernunft zu bringen. Oder wir gehen." Der Juso-Vorsitzende wolle wissen, wie sich die Partei aus ihrer Situation befreien will – ein Arbeitsauftrag, eigentlich ein Ultimatum, an Parteichefin Andrea Nahles.

Auch die Parteilinke Hilde Mattheis sieht ihre Vorsitzende in der Pflicht: "Andrea Nahles muss als unsere Führungsfigur innerhalb der Koalition klar signalisieren, was wir wollen", forderte sie in der "Stuttgarter Zeitung". Noch vor der Hessen-Wahl am 28. Oktober solle Nahles mit der Union in Verhandlungen über sozialdemokratische Kernanliegen treten, darunter "eine Hartz-IV-Reform". Nahles müsse jetzt "liefern", verlangte Mattheis.

"Entscheidende Monate in der GroKo"

Sogar SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, sonst stets bemüht Einigkeit mit Andrea Nahles zu demonstrieren, forderte in der ARD einen neuen Regierungsstil in Berlin und mahnte: "Wir liegen jetzt vor sehr entscheidenden Monaten in der Großen Koalition."

Die GroKo platzen zu lassen ist, das ist denkbar geworden in der SPD. Es ist längst nicht mehr nur der Juso Kevin Kühnert, der in einer Kombination aus Penetranz und Prominenz gegen das Bündnis wettert, sondern der Kreis der offenen Kritiker dehnt sich mehr und mehr in das sozialdemokratische Establishment aus. 

Das Gespenst des GroKo-Bruchs hat sich aber nicht nur im Willy-Brandt-Haus eingerichtet, es ist nun auch in der CDU-Zentrale häufiger zu sehen. Denn bei den Christdemokraten ist die Stimmung nicht viel besser, auch wenn die mit der Bayernwahl ja eigentlich herzlich wenig am Hut hat. Schließlich ist es die Schwesterpartei CSU, die das desaströse Wahlergebnis eingefahren hat.

Und doch wissen prominente Unionsvertreter wie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident und Parteivize Daniel Günther, dass die Verluste ein Sprengpotenzial für die GroKo haben. Schuldige für die Lage hat er dabei schon gefunden: Die Führung der CSU in Gänze habe in den vergangenen Jahren Fehler gemacht: "Horst Seehofer, Markus Söder, Alexander Dobrindt – da darf man niemanden ausnehmen." Günther nannte in einem bemerkenswerten "Welt"-Interview Namen und forderte offen deren Rücktritte – auch etwas Neues in der Union. Der Ministerpräsident aus dem hohen Norden ist unzufrieden mit der Performance von Schwarz-Rot in Berlin: "Die brachiale Art der CSU, Politik zu machen, mag vor 30 Jahren von den Wählern in Bayern goutiert worden sein, heutzutage genügt das nicht mehr." Günther pflegt in Kiel einen anderen, kooperativen Politikstil in der Jamaika-Koalition, längst ist er damit auch so etwas wie ein Geheimkandidat für eine mögliche Merkel-Nachfolge geworden. Aber: Er gehört eben auch dem Merkel-Lager in der Union an, einen Abgesang auf die GroKo stimmte er in dem Interview nicht ein.

Wie geht es nach der Hessen-Wahl weiter?

Seine Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer äußerte ebenfalls eine Vermutung, woran das schlechte Abschneiden der CSU liegen könnte und nahm ihre Kanzlerin aus der Schusslinie. "Dass die Streitigkeiten der vergangenen Monate – insbesondere auch der Tonfall und der Stil – kein Rückenwind für die Wahlkämpfer in Bayern waren, steht außer Frage", sagte sie in der CDU-Zentrale, ohne dass sie Horst Seehofer beim Namen nennen müsste.

Die Blicke – nicht nur die der CDU – richten sich jetzt nach Hessen. Stürzt die Union mit dem Merkel-Vertrauten Volker Bouffier dort auch ab (wonach es aktuellen Umfragen zufolge aussieht), dürfte das die Machtbasis der Kanzlerin schwer erschüttern, Rückendeckung hin oder her.

Wie nervös Hessens kampferprobter CDU-Ministerpräsident Bouffier ist, zeigt der 66-Jährige, als er kurz vor der Bayern-Wahl in der "Welt am Sonntag" der CSU die Schuld am Vertrauensverlust in die Union gab. "Man kann nicht über Monate den Eindruck erwecken, dass vieles durcheinander geht und die Regierung nicht handlungsfähig ist, und dann erwarten, dass die Leute der Union vertrauen", keilte der hessische Ministerpräsident in Richtung der bayrischen Schwesterpartei.

CDU gegen CSU, CSU gegen CDU und eine SPD gegen sich selbst. Dass all das mit der Wahl in Hessen aufhört, ist schwer zu glauben, denn noch laufen sich die GroKo-Kritiker erst warm. Das Gespenst vom Koalitionsbruch – es wird noch länger zu Besuch in Berlin bleiben.

So spottet das Netz über SPD, Söder und Co.  – "Selbst die Kaffeesahne von Altmaier hat mehr Prozent als die SPD"
mit AFP- und DPA-Material

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