Guido Westerwelle "Die FDP war durch mit mir - und umgekehrt"

  • von Alexander Sturm
Längst ist Westerwelle raus aus den Negativschlagzeilen, in der Rolle des Außenministers fühlt er sich wohl. In Hamburg gab er nun Einblicke in die schmerzhafte Zeit seines politischen Absturzes.

Guido Westerwelle hat keine Lust auf Wahlkampf. Noch nicht. Warum auch? Es müssten ja, sagt der Außenminister am Donnerstag im Spiegel-Verlag, noch so viele schwierige Entscheidungen getroffen und so viele Probleme erörtert werden. Der Aufstand in der Türkei und die Folgen für einen möglichen EU-Beitritt, der Umgang mit dem neuen Präsidenten im Iran und natürlich der Syrien-Konflikt. Jetzt sei nicht die Zeit, sagt Westerwelle, um sich aus wahltaktischen Gründen zu blockieren. Von ihm aus könne der Wahlkampf erst sechs Wochen vor dem Stichtag beginnen. "Dann können wir uns immer noch auf jeden Marktplatz stellen."

Das mit den Marktplätzen war einst Westerwelles Spezialität: Im Bundestagswahlkampf 2002 wollte er am liebsten gar nicht anderes machen. Mit einem knallgelben Bus, dem "Guidomobil", graste Westerwelle die Fußgängerzonen ab, stieg in den Big-Brother-Container und reckte in einer Talkshow demonstrativ die Schuhsohlen in die Kamera – um eine gelbe 18 zu zeigen. 18 für 18 Prozent, die die FDP bei der Wahl erreichen wollte. Es wurden 7,4.

Nun hat Westerwelles Wandlung vom schrill-egozentrischen Politiker zum staatsmännischen Repräsentanten der Bundesrepublik gewiss damit zu tun, dass er damals aus der Opposition heraus agierte. Außenminister und Guidomobil – das passt nicht recht zusammen. Doch seine 180-Grad-Drehung ist mehr, sie steht für einen turbulenten Absturz und eine Auferstehung, wie es sie in der deutschen Politik selten gab. Niemand in der Geschichte der FDP war bei der Kür zum Bundesvorsitzenden jünger als Westerwelle 2001 (39), niemand holte für die Liberalen so viele Stimmen bei einer Bundestagswahl wie er 2009 (14,6 Prozent) - und kaum jemand stürzte so schnell so tief wie Westerwelle, der schon im Mai 2011 das Amt des Parteichefs und Vizekanzlers abgeben musste.

Westerwelle erarbeitet sich Zuneigung

An diesem Abend in Hamburg ist von jenem dramatischen Abstieg nichts zu spüren. Westerwelle ist wieder oben. Wortgewaltig doziert er über die Versuchung, den Rebellen im Syrien-Konflikt Waffe zu liefern ("Es werden nicht weniger Menschen in Syrien sterben, wenn wir den Rebellen Waffen liefern") und die deutsche Politik der militärischen Zurückhaltung. Das Schicksal der Menschen in Syrien sei herzzerreißend – und dennoch müsse er abwägen. Er plädiert für ergebnisoffene Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Türkei und bezieht Stellung zum US-Gefangenenlager Guantanamo ("Ein rechtsfreier Raum ist für Deutschland inakzeptabel"). Westerwelle, das ist ihm anzumerken, fühlt sich wohl in seiner Rolle, gibt sich zugleich staatsmännisch und witzig ("Obamas Auto ist nicht Sprit sparend"). Vor allem aber bleibt Westerwelle besonnen – so wie er in der Bundespolitik zuletzt oft auftritt.

Dort ist es ruhiger geworden um ihn. Keine schrillen Parolen mehr, keine polarisierende Einmischung in Debatten. Wenn Westerwelle vor die Kamera tritt, dann bringt er für gewöhnlich seine Sorge über Aufstände zum Ausdruck oder fordert Kriegsparteien zur Mäßigung auf. Seiner Beliebtheit tut der neue Tonfall gut: Laut neusten Zahlen der ARD ist knapp die Hälfte der Deutschen mit Westerwelles Arbeit zufrieden - kein Spitzenwert für einen Außenminister, aber fast doppelt so viel wie vor drei Jahren. Sollte die FDP im Herbst an der Regierung bleiben, dürfte er gute Chancen haben, Außenminister zu bleiben.

Gespött der Nation

Im Frühjahr 2011 wäre das unvorstellbar gewesen. Damals entschloss sich Westerwelle, nach einer Serie von verlorenen Landtagswahlen nicht mehr für das Amt des Parteichefs zu kandidieren. Es ging einfach nicht mehr: die öffentliche Prügel, der Hohn der Medien, die Intrigen in der Partei. "Die FDP war durch mit mir als Parteivorsitzendem", sagt Westerwelle auf dem Podium, "und umgekehrt." Tief geschmerzt habe es, dass Weggefährten, die er einst gefördert hatte, gegen ihn paktierten. Kaum zwei Jahre, nachdem sie ihn am Wahlabend mit "Guido, Guido"-Chören gefeiert hatten.

Damals stand Westerwelle auf dem Zenit seiner Macht – und erfüllte sich den Traum, Außenminister zu werden. Kurz danach ging es los mit den Fehlern: Westerwelle setzte sich für Steuergeschenke für Hoteliers ein, beharrte mitten in der Finanzkrise auf milliardenschwere Steuersenkungen, und sprach über "spätrömische Dekadenz" im deutschen Sozialstaat. Die FDP fiel in den Umfragen ins Bodenlose und wurde zum Gespött der Nation. Und mit ihr Westerwelle.

"Ich spürte ich eine unglaubliche Last von mir abfallen"

Der Weg bis zum Rücktritt sei schmerzhaft gewesen, aber letztlich eine Erleichterung, sagt Westerwelle. "Als ich nach der Entscheidung im Flugzeug auf dem Weg zu einer Konferenz in Marokko saß, spürte ich eine unglaubliche Last von mir abfallen." Eine riesige Bürde sei es gewesen, als Parteichef zehn Jahre lang auf jede innenpolitische Debatte reagieren zu müssen. Der These, ob er sich möglicherweise erst mit der Aufgabe der Parteiämter genügend auf das Außenministerium konzentrieren konnte, bestreitet er nicht. Stattdessen gesteht er Fehler ein – etwa bei der Pressekonferenz am Morgen nach dem Wahlsieg, als er einen britischen Reporter aufforderte, seine Frage auf Deutsch zu stellen. Man sei ja in Deutschland. "Darüber habe ich mich ein ganzes Jahr geärgert."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Den Vorwurf, länger gebraucht zu haben als erwartet, um sich in das Amt des Außenministers einzuleben, will Westerwelle dann aber nicht gelten lassen. Und sagt doch einen Satz, der symbolisch für seine ganze Wandlung steht: Wie es sich denn anfühle, Barack Obama, den mächtigsten Mann der Welt, zu empfangen? "Nicht mehr so wie beim ersten Mal."