Andrea Nahles' Rücktritt hat nicht nur die SPD in nie gekannte Tiefen gestürzt. Die Große Koalition ist dadurch ebenfalls ernsthaft infrage gestellt. Auch das nicht zum ersten Mal. Von Anfang an war diese Groko nur ein Ersatzprodukt - Ergebnis des Kneifens der FDP vor Regierungsverantwortung in einer Jamaika-Koalition und dem selbst auferlegten Zwang der SPD, "Verantwortung für das Land zu übernehmen" und trotz Widerwillens gegen eine weitere Groko doch wieder mitzuregieren.
Dennoch hören wir, die Wählenden, auch jetzt wieder die Beschwörungen, Deutschland brauche eine stabile Regierung (Markus Söder, CSU) oder "die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass nun vernünftig miteinander weiterregiert wird" (Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, CDU). Auch der konservative "Seeheimer Kreis" in der SPD möchte die Groko fortsetzen. Verantwortung und Verlässlichkeit müssten im Vordergrund stehen, deshalb müsse es bei der Groko bleiben, so der Tenor.
Groko - alles andere als eine stabile Regierung
Dabei ist längst offensichtlich: Die Groko mag vieles sein, eine verlässliche Bundesregierung ist sie sicher nicht - und das liegt nicht nur an der SPD. Erinnert sei an den Beinahe-Ausstieg von Horst Seehofer und der CSU, das Rennen um den Vorsitz in der CDU, die diversen (verbalen) Patzer der neuen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und eine Kanzlerin, die - obschon immer noch im Amt - deutliches Desinteresse an der Innenpolitik zeigt. Im Wechsel durften sich die Koalitionspartner in den vergangenen knapp zwei Jahren gegenseitig zur Ordnung rufen. Selten war soviel Chaos in einer Bundesregierung.
Da ist es Selbsttäuschung oder schlichte Umverschämtheit, ausgerechnet den Wunsch der Wählerschaft als Legitimation für eine Fortführung der Groko heranzuziehen. Nicht nur die Fridays-for-Future-Proteste und die Querelen um das Video des Youtubers Rezo sind Ausdruck einer längst veränderten politischen Stimmung im Land. Das Abstrafen beider Volksparteien in der Europawahl hat diese Stimmung messbar gemacht, die jüngste Forsa-Umfrage für die TV-Sender RTL und ntv, die die Grünen erstmals als stärkste Kraft im Bund vor der CDU auswies, hat dies - wenngleich nur eine Momentaufnahme - nochmal unterstrichen. Wenn also jetzt Politiker aus den beiden Regierungsparteien den Fortbestand der Groko beschwören, spricht daraus nichts außer der blanken Angst vor historischen Niederlagen bei Neuwahlen.
SPD und Union: Verantwortung zeigen!
Natürlich muss eine Regierungskoalition nicht gleich abtreten, wenn sie während der Regierungszeit in Umfragen keine Mehrheit hat. Und ob Neuwahlen stabilere Verhältnisse unter anderen Vorzeichen bringen würden, ist durchaus fraglich. Diese Groko aber war nie eine stabile und verlässliche Regierung. Union und SPD sollten daher in dieser Situation von ihrer fade und offensichtlich gewordenen Parteitaktik zum Machterhalt abrücken. Die Alternative: Statt Kraft für den Erhalt einer wackeligen und ungeliebten Koalition zu vergeuden, sollten beide Parteien den Weg für Neuwahlen frei machen, sich endlich neu aufstellen und mit aller Macht den vielen aktuellen Herausforderungen sowie dem erneuten Wählervotum stellen. Dann, und nur dann, würden die Koalitionsparteien tatsächlich Verantwortung übernehmen.
Im Video: Abschließendes Statement von Andrea Nahles