Kritik an Vertriebenenpräsidentin "Steinbach hat schon immer Geschichte entstellt"

Zwar zieht sich Vertriebenen-Chefin Erika Steinbach nach dem Eklat um ihre Äußerungen um den Beginn des Zweiten Weltkrieges aus der CDU-Spitze zurück. Die Kritik an ihr reißt dennoch nicht ab. Die SPD nennt sie "Giftmischerin" und auch die polnischen Medien gehen hart mit Steinbach ins Gericht.

Die Kritik an Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach (CDU) wegen ihrer Äußerungen zur Rolle Polens beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ebbt nicht ab. Nach ihrem angekündigten Rückzug aus der CDU-Spitze fordert die SPD auch ihre Abberufung aus dem Menschenrechts-Ausschuss des Bundestages. "Wer so unsensibel revisionistische Thesen verteidigt wie sie, ist nicht geeignet, in wichtigen menschenrechtlichen und historischen Fragen sachgemäß zu urteilen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, am Freitag "Spiegel Online".

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte weitere Konsequenzen. Steinbach gehe es nicht um Versöhnung, sondern um das "revisionistische Geschichtsbild" ihres Verbandes, sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, Handelsblatt Online. "Spätestens jetzt gilt es, dem entschieden entgegenzutreten und dem Spuk eine klare Absage aller Demokraten zu erteilen."

"Giftmischerin für die deutsch-polnische Aussöhnung"

Oppermann nannte Steinbach "eine Giftmischerin für die deutsch-polnische Aussöhnung". Ihr angekündigter Rückzug aus dem CDU-Vorstand reiche nicht aus. "Das muss mehr Konsequenzen haben", sagte er. "(Bundeskanzlerin) Angela Merkel muss einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und Frau Steinbach ziehen."

Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski sieht die politische Karriere Steinbachs am Ende. "Ich hoffe, dass die Karriere dieser Frau in der deutschen Politik zu Ende geht" sagte Sikorski dem privaten polnischen Hörfunksender Radio Zet am Freitag. Bald werde Steinbach noch herausfinden, dass Polen mit dem Überfall auf Radiosender Gleiwitz den Krieg begonnen habe, ironisierte der Chef der polnischen Diplomatie.

Der polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, fühlt sich durch Äußerungen aus dem Bund der Vertriebenen (BdV) über den Beginn des Zweiten Weltkriegs an Nazi-Propaganda erinnert. Der sei es auch darum gegangen, "die Kriegsschuld auf andere zu schieben", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Über die Äußerungen zweier Funktionäre des Bundes der Vertriebenen und Steinbachs zur "Mobilmachung" Polens im März 1939 sagte der Diplomat, hier werde "natürlich" der Versuch einer Relativierung unternommen. Er betonte, dass er die gegenseitigen Beziehungen zwischen Berlin und Warschau nicht belastet sehe: "Die deutsch-polnischen Beziehungen sind viel zu stark, um durch so etwas ernsthaft in Gefahr gebracht zu werden", sagte Prawda.

Bosbach wirbt um Verständnis für Steinbach

Die konservative polnische Zeitung "Rzeczpospolita" schreibt: "Erika Steinbach hat schon immer die Geschichte und die Folgen des Zweiten Weltkrieges entstellt. Ihr Ziel war es, die deutschen Aussiedler mit den Opfern des Dritten Reiches gleichzustellen und Deutschlands Verantwortung für den Kriegsausbruch zu relativieren sowie diese Verantwortung mit anderen zu teilen - am liebsten mit den Polen."

Der Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach (CDU) wirbt um Verständnis für Steinbach. Sie habe "nie die Schuld am Überfall auf Polen relativieren wollen", sagte Bosbach im Deutschlandfunk. "Es gibt keine Zweifel, dass Deutschland Polen überfallen hat", fügte der CDU-Politiker hinzu. Das habe auch Steinbach immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht. Vor diesem Hintergrund bedauerte Bosbach den Rückzug Steinbachs aus dem CDU-Bundesvorstand.

Steinbach fehlte Rückhalt in der CDU

Der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Bernd Posselt (CSU), warnte vor einer Spaltung der Union und dem Entstehen einer Partei rechts von CDU und CSU. Der Verzicht Steinbachs auf eine erneute Kandidatur für den Bundesvorstand der CDU sei "ein erstes Zeichen der Desintegration" in der Schwesterpartei. "Wenn sich rechts von der CDU eine Protestpartei etabliert, dann hat das auch Auswirkungen auf die CSU", sagte der CSU-Europaabgeordnete der "Mitteldeutschen Zeitung".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Merkel müsse die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung zur Chefsache machen, forderte Posselt. "Wenn sie weiter von der Opposition in dieser Weise zerschossen wird, dann hat das massive politische Konsequenzen für Deutschland. Er warnte vor "österreichischen Verhältnissen". Dort hatte die konservative ÖVP immer mehr Stimmen an die rechtspopulistische FPÖ abgeben müssen.

Steinbach hatte ihren Rückzug aus der CDU-Spitze auch mit fehlendem Rückhalt in der Union begründet. Sie habe in der Union nur noch eine "Alibifunktion", die sie nicht mehr wahrnehmen möchte, sagte sie in einem "Welt"-Interview. "Ich stehe dort für das Konservative, aber ich stehe immer mehr alleine." Sie will beim Parteitag im November nicht mehr für den CDU-Vorstand kandidieren, in den sie im Jahre 2000 gewählt worden war.

DPA
zen/DPA/AFP