Landeswahlrecht auf dem Prüfstand Gericht könnte Schwarz-Gelb in Kiel kippen

Hochspannung im hohen Norden: Sieben Verfassungsrichter entscheiden über die Zukunft von Schwarz-Gelb in Kiel. Sie könnten auch das Karriereende von Ministerpräsident Carstensen beschleunigen. Eine Neuwahl des Landtages steht im Raum.

Das Landesverfassungsgericht in Schleswig entscheidet an diesem Montag, wie es mit der Landespolitik im Norden weitergeht. Verliert Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) mit seiner schwarz-gelben Koalition die parlamentarische Mehrheit? Verlangt das Gericht eine Neuwahl oder nur ein neues Wahlgesetz, weil das alte verfassungswidrig ist? Elf Monate nach der Landtagswahl, die dem spektakulären Bruch einer verkorksten großen Koalition folgte, bietet Schleswig-Holstein wieder Spekulationen en masse. Manche rüsten sich schon zum Wahlkampf.

Weil es um die Macht im Land zwischen den Meeren und um die Handlungsfähigkeit der Regierung geht, ist die Nervosität groß. Der Satz "Warten wir den 30.8. ab" bestimmt das politische Vokabular seit Wochen. Schuld an der vertrackten Lage sind die Landespolitiker selbst, weil ihr Wahlgesetz den Verfassungsvorgaben in der Praxis zuwiderläuft. So sitzen statt der festgeschriebenen 69 Abgeordneten 95 im Landtag. Wenn das Gericht die Mandatsvergabe nachträglich ändern sollte, würden es 101: 50 für CDU/FDP, 51 für die bisherige Opposition aus SPD, Grünen, Linken und SSW (Südschleswigscher Wählerverband). Die meisten Auguren erwarten das nicht, aber auch Wahrsager können ja irren. Derzeit steht es 48:47 für Schwarz-Gelb.

Wahlrecht verfassungsgemäß? Sitzverteilung korrekt?

Im Kern geht es um die Frage, ob das Wahlgesetz verfassungsgemäß ist. Weil sie das wie viele andere auch bezweifeln, haben Grüne und SSW Normenkontrollklage eingereicht. Es geht aber auch konkret darum, ob die Wahlleiterin das Gesetz korrekt ausgelegt hat und die Sitzverteilung im Parlament zu halten ist. Gegen diese liegen Wahlprüfungsbeschwerden aus dem linken Lager vor.

Der Konflikt rankt sich um die Überhangmandate, von denen die CDU bei der Wahl vom 27. September elf erhielt. Solche Mandate entstehen, wenn eine Partei über ihre Direktkandidaten in den Wahlkreisen mehr Sitze holt als ihr nach dem prozentualen Zweitstimmenergebnis zustünden. Um dieses im Parlament widerzuspiegeln, verlangt die Verfassung Ausgleichsmandate für die anderen Parteien. Deren Zahl wiederum begrenzt das Wahlgesetz mit einer unklaren Formulierung. Nach der jüngsten Wahl führte die Deckelung dazu, dass drei Überhangmandate der CDU nicht mehr ausgeglichen wurden - so reichte es für Schwarz-Gelb. Die ursprüngliche Mehrheit von drei Stimmen schmolz dann auf eine zusammen, weil ein Wahlbezirk in Nordfriesland falsch ausgezählt wurde. So verlor die FDP ein Mandat an die Linke.

Gesetz muss wohl geändert werden

Dass die Richter verlangen werden, das Wahlgesetz zu ändern, gilt als sicher. Sie könnten das mit der Anordnung einer Neuwahl verbinden. Es wird über eine Frist bis Ende 2012 spekuliert. Regulär würde die Legislatur bis 2014 dauern. Die Richter tun sich mit einem einheitlichen Votum wohl schwer: Noch am Donnerstag hatten sie eine Beratung angesetzt.

Wenn das Gericht die Sitzverteilung zugunsten der Opposition ändern würde, müsste Schwarz-Gelb versuchen, eine neue Mehrheit zu bilden. Dass Grüne oder SSW Carstensen aus dem Schlamassel helfen könnten, wäre möglich, aber politisch schwierig. Bei der Anordnung einer Neuwahl wird die Opposition angesichts der bundesweiten Stimmung alles tun, um rasch einen Urnengang zu erreichen.

SPD-Landeschef Ralf Stegner hält es für sehr wahrscheinlich, dass die Richter das Wahlgesetz für verfassungswidrig halten. "Für den Fall, dass die Legislaturperiode verkürzt werden würde, wäre die SPD sehr schnell handlungsbereit", sagte er. Eine Frist bis Frühjahr 2011 würde ausreichen, um sich auf ein neues Wahlgesetz zu verständigen und Neuwahlen abzuhalten, meint Grünen-Landeschefin Marlene Löhr. Eine Hängepartie sei das Letzte, was das Land brauche.

Carstensen würde wohl nicht mehr antreten

Dass Regierungschef Carstensen (63) noch mal als Spitzenkandidat antreten wird, erwartet in Kiel niemand. CDU-Fraktionschef Christian von Boetticher (39) gilt als "Kronprinz", zuletzt spielte aber in Spekulationen auch Wirtschaftsminister Jost de Jager (45) eine Rolle.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sollten CDU/FDP jetzt die Mehrheit verlieren, würde die Landespolitik in schweres Fahrwasser geraten, ihre Handlungsfähigkeit wäre bedroht. Und das zu einer Zeit, da der Doppelhaushalt des hoch verschuldeten Landes für 2011/2012 aufgestellt werden muss.

DPA
dho/DPA