Schleswig-Holstein Carstensen - Rückzug, erster Teil

Das Wahlgesetz Schleswig-Holsteins ist verfassungswidrig, Neuwahlen sind zwingend notwendig. Ein Urteil mit Konsequenzen: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen will zwar vorerst im Amt bleiben, als CDU-Landeschef aber zurücktreten. Damit dürfte er auch seine Ablösung als Spitzenkandidat vorbereiten.

Schleswig-Holstein muss erneut vor dem regulären Ende der Legislaturperiode wählen. Das entschied das Landesverfassungsgericht in Schleswig am Montag. Zwar kann Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) weiter mit der hauchdünnen Einstimmen-Mehrheit von Schwarz-Gelb regieren, aber bis spätestens 30. September 2012 wird es eine neue Landtagswahl geben - zwei Jahre früher als geplant. Bis zum 31. Mai 2011 muss das Parlament das Wahlgesetz ändern.

Eine erste Konsequenz nötigte das Urteil Carstensen bereits ab: Er wird auf den Landesvorsitz der CDU verzichten. Dies teilte der 63-Jährige am Montagabend in Kiel am Rande einer Vorstandssitzung mit. Noch vor einigen Tagen hatte Carstensen erklärt, er wolle beim Parteitag am 18. September erneut für den Vorsitz der Nord-CDU kandidieren. Damit wird es unwahrscheinlicher, dass Carstensen bei der Landtags-Neuwahl wieder als Spitzenkandidat antritt. Landesvorsitzender der Partei soll nun der Kieler Fraktionschef Christian von Boetticher (39) werden. "Ich werde ihn vorschlagen", sagte Carstensen. Damit zeichnet sich ab, dass von Boetticher auch Spitzenkandidat bei der Neuwahl werden dürfte. Carstensen wollte sich zur Spitzenkandidatur nicht äußern. Er sagte, es solle jetzt eine Arbeitsteilung geben.

Auch Wechsel bei der SPD?

Während SPD-Fraktionschef Ralf Stegner von einer Ohrfeige für den Gesetzgeber sprach, und darin auch seine Partei einschloss, hatte sich Carstensen noch am Nachmittag unbeeindruckt gezeigt. "Dieses Urteil haben wir zu akzeptieren", sagte er in einem kurzen Statement in der Kieler Staatskanzlei. Das wichtigste Ziel der Landesregierung bleibe aber bestehen, den Haushalt zu konsolidieren, damit das Land auch finanziell handlungsfähig bleibe. "Diesem Ziel fühle ich mich verpflichtet und dieser Verantwortung werde ich mich weiter stellen."

Auch bei der SPD deutet sich ein Wechsel an der Spitze an. Ralf Stegner, der frühere Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, ließ offen, ob er erneut für den Regierungsvorsitz kandidieren wolle. Als weiterer möglicher SPD-Kandidat gilt der Kieler Oberbürgermeister Thorsten Albig. Stegner sprach sich für einen möglichst frühen Wahltermin aus. "Wir haben ohnehin Stillstand seit einem Jahr", sagte der Fraktions- und Landesvorsitzende.

Grüne und SSW zeigten sich mit dem Urteil grundsätzlich zufrieden, wollen aber eine zügige Neuwahl, Carstensen rechnet dagegen mit dem spätmöglichsten Termin. "Es wird wahrscheinlich auf Zeit gespielt", befürchtet Grünen-Fraktionschef Robert Habeck. "So wie ich das Land kenne, wird es politisches Hickhack geben." Er sprach sich für Wahlen im Herbst 2011 aus. Die SSW-Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk hält Anfang 2012 für möglich: "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit".

Gericht gibt Politik zwei Jahre Zeit

"Bis spätestens zum 30.09.2012 ist eine Neuwahl herbeizuführen", verkündete Gerichtspräsident Bernhard Flor. Das derzeitige Gesetz sei im Zusammenspiel mit der Verfassung nicht vereinbar. "Die Bestimmungen zur Größe des Landtags und der Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit werden deutlich verfehlt." Die mandatsrelevanten Wahlfehler seien so schwerwiegend, dass die Legislaturperiode zu beschränken sei, heißt es in den Leitsätzen. Bis dahin ist das Parlament mit der bestehenden Mehrheit aber voll arbeitsfähig. Erst 2009 hatte der Norden vorzeitig gewählt, nachdem die CDU unter Carstensen das Bündnis mit Ralf Stegners SPD platzen ließ.

Mit ihrem Urteil gaben die sieben Richter einer Klage der Fraktionen von Grünen und SSW (Südschleswigscher Wählerverband) statt. Die ebenfalls umstrittene Sitzverteilung im Parlament ließen sie dagegen unangetastet. Die Wahlleiterin habe das Gesetz korrekt ausgelegt, dieses sei aber verfassungswidrig, so Flor. Gegen die Sitzverteilung hatten sich Beschwerdeführer aus dem linken Lager gewandt. Beide Urteile fielen einstimmig.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Neues Wahlrecht mit weniger Wahlkreisen?

Dreh- und Angelpunkt sind die Regelungen zu Überhang- und Ausgleichsmandaten. Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, erhalten die anderen Parteien zusätzliche Sitze im Landtag. Dies ist eine Besonderheit im Norden. Doch der Ausgleich ist laut Gesetz begrenzt. Das führte nach der Wahl dazu, dass CDU und FDP die Mehrheit im Landtag errangen, obwohl sie etwa 27.000 Zweitstimmen weniger hatten als SPD, Grüne, Linke und SSW zusammen. Drei der Überhangmandate der CDU wurden dabei nicht kompensiert - erstmals in der Geschichte Schleswig-Holsteins. Der Landtag hat nun 95 Abgeordnete statt der von der Verfassung vorgegebenen Regelgröße von 69.

Nun muss der Landtag ein Landeswahlrecht schaffen, das die Entstehung von Überhang- und Ausgleichsmandaten weitgehend verhindert. Dabei legten die Richter nahe, die Zahl der Wahlkreise zu verringern und ihren Zuschnitt zu ändern. Bislang gab es nur in Hamburg eine vom Gericht verordnete Neuwahl. Im Mai 1993 annullierte das Verfassungsgericht in der Hansestadt die Wahl von 1991 wegen einer undemokratischen Kandidatenkür in der CDU.

DPA
swd/DPA/APN