Mit dem Schlafwagen fährt man nicht ins Kanzleramt. So die Groll-Ansage von Markus Söder in Wahlkampftagen an Armin Laschet. Was aber, wenn´s im Schlafwagen durch die Pandemie geht? Nun donnert es von zig Seiten. Der Tenor: die Corona-Politik – ein großes Desaster. RKI-Chef Lothar Wieler warnte jüngst in einer Brandrede vor einem "sehr schlimmen Weihnachtsfest, wenn wir jetzt nicht gegensteuern." In der Politik habe es schwere Versäumnisse gegeben. Man hätte ihm und "auch vielen anderen Kolleginnen und Kollegen" besser zuhören müssen: "Ich kann nach 21 Monaten es auch schlichtweg nicht mehr ertragen." Bei "Maybrit Illner" platzt nun auch Weltärzte-Präsident Frank-Ulrich Montgomery der Kragen. "Ihr habt komplett versagt", blafft er stellvertretend die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und den Kanzleramtschef Helge Braun an, die auch in der Talkrunde sitzen. Er stellt klar: "Wir haben als Kassandren vor sechs, acht Wochen alles vorausgesagt." Und nun brenne die Hütte. Im Donnerton fordert er, man müsse eine Million Deutsche pro Tag impfen: "Aber wo ist die Logistik, wo ist das Konzept, wo ist die Struktur?" Die Politik schulde den Bürgern "den Respekt, jetzt zu handeln".
Es diskutierten:
- Helge Braun (CDU), geschäftsführender Kanzleramtsminister
- Giovanni di Lorenzo, Journalist, Chefredakteur "Die Zeit",
- Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/ Die Grünen), Fraktionsvorsitzende im Bundestag
- Christian Karagiannidis, Lungenfacharzt
- Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender Weltärztebund
- Hendrik Streeck, Virologe
In Panik auszubrechen hilft nun auch keinem, aber allermindestens alarmiert sollten – stellvertretend – Braun und Göring-Eckardt doch sein. Aber: Fehlanzeige. Vielleicht suchen sie ja noch ihr Schlafwagenabteil. Illner zeigt in einem Einspieler eine Chronologie des Versagens, musikalisch unterlegt vom Talking-Heads-Oldie "Road to nowhere". Ja, wo gehts eigentlich hin? "Es gibt einen großen Mangel an Entschlossenheit", kritisiert Giovanni di Lorenzo. Er verweist auf Italien, das mit einen militärischen Impf-Beauftragten klar zeige, wo es langgehe. Und beschwört den Geist von Helmut Schmidt. Solche Politiker bräuchte es, mit "dem Willen, die Scheißpandemie zu besiegen." Stattdessen stolpere man erneut in etwas hinein, was "angeblich eine Überraschung ist." Die Grünen-Politikerin lenkt lieber auf die Prioritäten des Olaf Scholz: "Ich hatte am Anfang so ein bisschen das Gefühl, die Pandemie läuft nebenher." Auch Braun schmettert die Vorwürfe ab. Ihm könne man nun wirklich nicht vorwerfen, dass er erst vor drei Wochen gewarnt hätte. Im Sommer aber hätten "alle Leitmedien" sämtliche Warnungen als "Horrorprognosen" und warnende Politiker als "Paniktruppe" abgetan. Und da wären auch noch die Versäumnisse der vielen anderen. Dass es so lange gedauert habe, bis es zu einer Bund-Länder-Runde gekommen sei, "ärgert mich massiv".
Frank Ulrich Montgomery über Ungeimpfte: "Grenzen sich selbst aus"
Noch mal zu Ihnen, Frau Göring-Eckardt, Sie haben noch vor Wochen für mildere Maßnahmen plädiert. Wie erklären Sie das heute? Ach, was, schauen Sie, Frau Illner, wir haben jetzt 3G am Arbeitsplatz und 3G in den öffentlichen Verkehrsmitteln und Testpflicht in den Pflegeheimen. Die epidemische Notlage sei am Donnerstagvormittag im Bundestag zudem nicht verlängert worden. Auch das sei schon mal gut. Denn: "Wir sind damit in diese Situation gekommen, und die finde ich nicht befriedigend." Ihr Fazit: "Die Situation ist so schlimm, wie sie es noch nie war." Zu dem Schluss kommt auch Braun: "Wir haben die schwierigste Lage in der Pandemie überhaupt." Aber, noch mal – stellvertretend – an Sie beide: Was ist da politisch falsch gelaufen, das fällt doch nicht einfach vom Himmel, wieso sind wir da hineingeraten? Illner hakt mehrmals nach, will Antworten. Bekommt sie aber nicht. Stattdessen sagt Braun: "Wir sind heute einen wichtigen Schritt weitergekommen, um die Lage in den Griff zu bekommen." Er plädiere inzwischen sogar für eine Impfpflicht für unter anderem das Pflegepersonal, "auch wenn mir das Bauchschmerzen bereitet."
Großbritannien zeigt, was Omikron bedeutet – so ist die Corona-Lage in Europa

Neu-Infektionen pro Tag: 88.000, Tendenz steigend
Impfquote: 75 Prozent
Das Vereinigte Königreich ist eines der am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder Europas. Die hochansteckende Omikron-Variante ist dort inzwischen stark verbreitet. Frankreich schließt bereits seine Grenze zur britischen Insel und auch in Deutschland fordert der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek, Reisebeschränkungen für Großbritannien. "Ich würde mir wünschen, dass der Bund mal genau hinschaut, wann Großbritannien Virus-Variantengebiet wird und dass bei der Einreise mit dem Flugzeug ein PCR-Test verpflichtend vorgelegt werden muss", sagte der CSU-Politiker.
Ab bestimmten Grenzwerten – je nach Hospitalisierungsinzidenz – soll nun in den Bundesländern flächendeckend 2G oder 2Gplus gelten. Heißt: Ungeimpfte bleiben draußen. "Wird es uns retten, wenn wir Menschen ausgrenzen?", fragt Illner. Montgomery mag so was nicht hören. "Die grenzen sich doch selbst aus", kontert er. Erst vor zwei Wochen klagte er bei Anne Will von einer "Tyrannei der Ungeimpften". Und nun bringt er bei Illner "die Peitsche" ins Spiel. Denn, so Montgomery, es gebe nur zwei Möglichkeiten, Ungeimpfte zu überzeugen: Zuckerbrot oder Peitsche: "Wir haben es mit Zuckerbrot probiert, das hat nicht funktioniert." Ergo müsse man Druck ausüben. Bei allem sei aber "die absolute Kontaktbeschränkung die erfolgreichste Maßnahme gegen Corona". Aber: "Das will natürlich niemand." Bei allem sei er "der großen Hoffnung, dass das Freiheitsgesäusel der FDP, die ja uns eine Freiheit zum Leben verspricht, in Wirklichkeit eine Freiheit zu Krankheit und zum Tod, das sich das nicht durchsetzt."
Virologe Streeck: "Geimpften klar machen, dass Pandemie für sie nicht vorbei ist"
Umso mehr will Göring-Eckart "richtig Druck in den Kessel" bringen. Ihrer Ansicht nach sollten Impfungen auch von Apothekern und Fachärzten durchgeführt werden können. Schließlich gehe es darum, täglich eine Million Menschen zu impfen, "damit wir nicht in einer Dauerwelle landen". Ob es nun wichtiger sei, die Ungeimpften zu impfen oder zu boostern, will Illner wissen. Da gäbe es keinen Vorrang, so Montgomery. Hendrik Streeck plädiert dafür, die Ungeimpften noch besser aufzuklären, da es immer noch viele Ängste gäbe. Ach, was, wehrt Montgomery ab, er wolle nichts mehr erklären: "Wir haben schon Fransen am Bart." Streeck beharrt darauf, man müsse auf die Ungeimpften zugehen und Fragen, die da sind, beantworten. Und was ist mit dem Totimpfstoff, auf den anscheinend viele Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen, warten? "Das ist genau genommen ein Proteinimpfstoff", präzisiert der Virologe. Er rechne mit einer baldigen Zulassung. Streeck warnt außerdem davor, sich nur auf die Ungeimpften zu konzentrieren: "Man muss den Geimpften klar machen, dass die Pandemie für sie nicht vorbei ist." Das hätte man längst besser kommunizieren müssen.

Wie ist die aktuelle Situation an den Krankenhäusern? Christian Karagiannidis, leitender Oberarzt in der Lungenklinik Köln-Merheim, gibt per Zoom-Gespräch Einblick. Die Mitarbeiter hätten inzwischen eine große Routine, die Professionalität in Deutschland sei grundsätzlich hoch. Der Mediziner kritisiert den emotionalen Druck auf Ungeimpfte. Und macht deutlich: "Ich bin an der Klinik noch keinem einzigen überzeugten Impfgegner begegnet." Rechnet er mit dem Schreckensszenario Triage? "Ich bin kein Fan des Wortes Triage." Es gehe um Priorisierung. "Triage befürchte ich nicht, das wäre die Bankrotterklärung unseres Staates." Er sei sich sicher, dass man "alle Patienten versorgen können, dass wir das schaffen können." Eine moderate, eine beruhigende Stimme inmitten des Tohuwabohu. Man wird ja trotz allem noch Zuversicht haben dürfen.