Zahlen der Berliner Polizei "Israel-Hasser" abschieben? Das wird schwierig, denn viele von ihnen sind Deutsche

Nahost-Konflikt auf den Straßen der Hauptstadt: pro-palästinensische Demonstration am 18. Oktober in Berlin-Neukölln
Nahostkonflikt auf den Straßen der Hauptstadt: pro-palästinensische Demonstration am 18. Oktober in Berlin-Neukölln
© Sean Gallup / Getty Images
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel gibt es auf pro-palästinensischen Demonstrationen immer wieder Gewalt und Antisemitismus auf den Straßen Berlins. Aus der Politik werden Rufe nach schnellen Abschiebungen laut – doch ein Blick auf die Zahlen zeigt: Daraus dürfte in den meisten Fällen nichts werden.

Fast täglich herrscht Gewalt auf den Straßen Berlins. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel mit Hunderten Toten und Verschleppten vor knapp drei Wochen ziehen Abend für Abend Menschen durch die Hauptstadt, feiern mitunter den Terror der Hamas, rufen zur Gewalt gegen Jüdinnen und Juden auf, beschimpfen sie, stellen das Existenzrecht Israels infrage. Kriminelle werfen Steine auf Polizistinnen und Polizistinnen, zünden Mülltonnen an, grölen judenfeindliche Parolen – werfen sogar einen Brandsatz auf eine Synagoge. Auch in anderen deutschen Städten laufen pro-palästinensische Demonstrationen immer wieder aus dem Ruder, doch nirgends in solcher Häufigkeit wie in der Hauptstadt.

852 Straftaten im Zusammenhang mit Nahostkonflikt in Berlin

Längst hat die Berliner Polizei Verstärkung aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei angefordert, um der Lage Herr zu werden, um Straftaten zu verhindern, aufzuklären und die Täter dingfest zu machen.

Und die Politik? Sie forderte über fast alle Parteigrenzen hinweg ein härteres Vorgehen gegen die Straftäter und insbesondere spürbare Konsequenzen für all jene, die durch antisemitische Hetze, Terror-Unterstützung oder Gewalt auffallen. Es ist die Zeit der Law-and-Order-Rhetorik. Eine Auswahl:

  • CDU-Bundestagsabgeordneter Christoph Ploß: "Wer Verständnis für die furchtbaren Terrorangriffe der Hamas auf Israel hat, hat in Deutschland nichts zu suchen!"
  • Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): "Menschen, die diese grausamen Taten auf unseren Straßen feiern, werden mit strafrechtlichen Konsequenzen oder sogar einer Ausweisung rechnen müssen".
  • SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil: "Wenn jemand, der auf deutschen Straßen die Hamas feiert, nicht die deutsche Staatsbürgerschaft hat, dann sollte er aus Deutschland ausgewiesen werden."
  • Vizekanzler Robert Habeck (Grüne): "Diejenigen, die wir nicht haben wollen, weil sie sich nicht anpassen wollen, weil sie Verbrecher sind, weil sie den Tod von Juden in Israel in Deutschland feiern, die müssen dann eben auch zurückgeführt werden – sofern das geht …"

... sofern das geht. Ein Blick auf die Zahlen und die Rechtslage zeigt: In den allermeisten Fällen dürfte genau das nicht gehen. Die markigen Äußerungen aus der Politik dürften verpuffen.

Volksverhetzung und Terror-Propaganda

Insgesamt hat die Berliner Polizei vom 7. bis zum 26. Oktober in 852 Fällen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt eingeleitet. Dabei geht es unter anderem um Delikte, die immer wieder im Kontext von Versammlungen erfasst werden, wie zum Beispiel Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Gefangenenbefreiung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – quasi business as usual bei gewalttätigen Demonstrationen, ganz gleich, wofür oder wogegen sie sich richten. 

Am 18. Oktober fliegen bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Neukölln Feuerwerkskörper
Am 18. Oktober fliegen bei einer pro-palästinensischen Demonstration in Neukölln Feuerwerkskörper
© TNN / DPA

Allerdings verzeichnete die Polizei auch eine Reihe von Straftaten, die sich explizit gegen Israel oder Jüdinnen und Juden richten. Dazu zählen etwa Volksverhetzung, Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten oder das Verbreiten von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Eine genau Aufschlüsselung der Anzahl der jeweiligen Delikte liegt nicht vor, doch die Polizeiberichte der vergangenen Wochen aus der Hauptstadt sind voll von solchen Tagen.

Wer sind die Täterinnen und Täter, die Gewalt und Israel-Hass auf Berlins Straßen tragen? Bis zum Donnerstag (26. Oktober) hat die Polizei im Kontext des Nahostkonflikts insgesamt 308 Personen als Tatverdächtige ermittelt, einige von ihnen sollen auch mehrfach in Erscheinung getreten sein. Die meisten von ihnen, nämlich 170, haben die deutsche Staatsangehörigkeit, wie eine Erhebung der Berliner Polizei zeigt, die dem stern vorliegt.

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Von den Deutschen mit Doppelpass stellen die Deutsch-Türken die größte Gruppe dar (13), gefolgt von den Deutsch-Libanesen (8). Die Nationalitäten der übrigen Tatverdächtigen sind über den ganzen Globus verteilt. Heraus stechen dabei vor allem syrische (30) und italienische (8) Staatsangehörige.

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Die Menschen nach einer möglichen rechtskräftigen Verurteilung abzuschieben, dürfte also in den meisten Fällen nicht möglich sein. Deutsche dürfen (auch nach den Erfahrungen der NS-Zeit) Grundsätzlich nicht abgeschoben werden. Das Grundgesetz verbietet den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit sowie die Auslieferung an das Ausland. Auch Staatenlose oder Personen, bei denen sich die Staatsangehörigkeit nicht feststellen lässt, können mangels aufnahmefähigem Staat nicht abgeschoben werden. Hinzu kommt die große Grüppe derjenigen Menschen, die aus Ländern stammen, in die zurzeit praktisch gar nicht abgeschoben werden kann, weil es entweder keine entsprechenden Abkommen gibt oder dort schwere Menschenrechtsverletzungen zu erwarten sind (z.B. Syrien oder Libyen).

Die Daten zeigen "nur" die Situation in Berlin, sie zeigen "nur" einen Ausschnitt, doch die Zahlen legen nahe: Der in Teilen in Deutschland verbreitete Antisemitismus ist vor allem auch ein deutsches Problem, das hier gelöst werden muss und sich nicht ins Ausland abschieben lässt – allen Forderungen aus der Politik zum Trotz.

Quellen: Auskunft Polizei Berlin, Pressemitteilungen Polizei Berlin, Grundgesetz, Nachrichtenagentur DPA