Bürgerdialog in Thüringen Olaf Scholz zu Besuch, wo die AfD stark ist: "Wir müssen dagegenhalten"

Olaf Scholz Erfurt
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim "Kanzlergespräch" im egapark in Erfurt
© Bodo Schackow / DPA
Der Urlaub ist vorbei, es geht für Olaf Scholz wieder in die harte Realität. In Erfurt spricht er mit Bürgerinnen und Bürgern über ihre Sorgen. Doch was sind seine Antworten auf Altersarmut und AfD-Zulauf?

Nach dem Kanzlergespräch in Erfurt strahlt Claudia Hepper vor Freude, aber eigentlich nicht wegen Olaf Scholz. Die Arzthelferin, 46, lehnt am Häppchentisch und sagt, sie fühle sich seit langer Zeit mit einer Angst nicht mehr allein: "Ich habe endlich mal gesehen, dass ich nicht die Einzige bin, die sich Sorgen um die Demokratie in Thüringen macht."  

Der Bürgerdialog im egapark Erfurt ist Teil der Reihe "Kanzlergespräch", mit der Olaf Scholz seit einem Jahr durch die Republik tourt. Jeweils 150 aus Bewerbern ausgeloste Bürger dürfen ihn 90 Minuten lang "alles fragen, was sie wollen". Themenvorgaben gibt es nicht. Der egapark in Erfurt – Bundesgartenschaugelände, die Beete stehen in voller Blüte, Kinder spielen an den Wasserläufen – ist die neunte Station, und sie hat es für den Kanzler in sich. Wenn am Wochenende Landtagswahl wäre, stände die AfD mit ihrem rechtsextremen Landeschef Björn Höcke in Thüringen bei 34 Prozent und wäre damit stärkste Kraft. Erst vor zwei Monaten wurde im Landkreis Sonneberg der erste AfD-Landrat Deutschlands gewählt.  

Was tun gegen Demokratiefeinde?

Es treibt die Menschen um, die an diesem Abend unter dem großen weißen Pavillon Platz genommen haben. Im Kreis sitzen die 150 Gäste um Olaf Scholz, um sie ein Ring aus etwa 60 Pressevertretern. Fernsehkameras richten sich auf Julia Braband aus Erfurt, die wissen will, warum die Bundesregierung ausgerechnet jetzt die Gelder für die Bundeszentrale für Politische Bildung kürzt, wo doch die antidemokratischen Tendenzen immer stärker werden. Demokratiefeinde hätten in Deutschland gerade starken Zulauf, findet auch Klaus Dieter Otto aus Erfurt und fragt, was die Regierung zu tun gedenkt, um das Vertrauen in die Politik wieder zu stärken.  Beide ernten lauten Beifall und zustimmendes Murmeln.  

Olaf Scholz ist hier, um Sorgen zu nehmen und – wie eh und je – an die Besonnenheit zu appellieren. Frisch zurück aus dem Urlaub ist er angemessen mitfühlend, angemessen redegewandt, angemessen langweilig. In seiner Sommerpressekonferenz Mitte Juli hatte er das AfD-Hoch noch als vorübergehende Erscheinung bewertet. "Ich bin ganz zuversichtlich, dass die AfD bei der nächsten Bundestagswahl nicht besser abschneiden wird als bei der letzten", erklärte er damals. Nicht nur die die Opposition hielt das für etwas zu optimistisch.    

Scholz ist in Umfragen unbeliebt

In Erfurt schlägt Scholz nun einen schärferen Ton an. "Es gibt Gegner der Demokratie, auch im politischen Spektrum. Wir werden uns nicht davor drücken können, dagegenzuhalten und die Demokratie zu verteidigen." Er vermeidet, direkt von der AfD zu sprechen, aber nimmt eindeutig Bezug auf das Europawahlprogramm, das die Partei jüngst auf ihrem Parteitag in Magdeburg verabschiedet hat. Darin fordert die AfD, eine Neugründung der EU als "Bund der europäischen Nationen”.

Scholz erinnert in Erfurt daran, dass Deutschland seinen Wohlstand zu großen Teilen der Europäischen Union verdanke. Ohne die EU hätte es die Deutsche Einheit nicht geben können, sagt er. "In Zeiten, in denen es sehr viele Unsicherheiten gibt, ist es wichtig klarzumachen, dass wir einen Kurs verfolgen, der uns in der Zukunft viel Sicherheit bringen wird." 

Scholz Beliebtheitswerte sind seit seinem Amtseintritt beinah durchgängig auf Talfahrt. Um die Menschen mit seiner Politik zu versöhnen, tut er auch in Erfurt das, was er am liebsten macht: Scholz verweist auf die eigenen Erfolge. Wie gut, dass gerade in dieser Woche das taiwanesische Halbleiterunternehmen TSMC beschlossen hat, in Dresden einen neuen Produktionsstandort aufzubauen. Die größte Direktinvestition aus dem Ausland in der Geschichte Europas, sagt Scholz in die Runde und betont noch einmal: "Die größte" – er hebt den Zeigefinger – "in der Geschichte."  

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Scholz verzettelt sich bei der Rente

Immer wieder melden sich Menschen zu Wort, deren Rente zum Leben nicht reicht, wie sie sagen.  Ein Mann rechnet den Rentenbescheid seiner Frau vor – bis selbst der geduldigste Zuschauer entnervt stöhnt und die Moderatorin ihn bittet zum Ende zu kommen. Scholz verweist erst auf die Einführung der Grundrente, spricht sich klar gegen eine weitere Heraufsetzung des Renteneintrittsalters aus, verzettelt sich aber, als er anfängt ausführlich aufzuzählen, wie sich seine eigene Altersversorgung einmal zusammenstellen wird. Dabei ist Rente SPD-Kernthema.

Nach 90 Minuten geht die durchchoreographierte Veranstaltung zu Ende. Nichts ist schiefgegangen, es gab keinen Raum für Überraschungen. Vor dem Einlass hatten zwei Sicherheitsmänner sogar die Getränkebecher eingesammelt, für alle Fälle, "wegen Wurf-Gefahr". Aber es hat niemand geworfen und kaum jemand gemurrt. Scholz positioniert sich geduldig lächelnd am Selfie-Stand. Es bildet sich eine lange Schlange. Bei aller Kritik, ein Foto mit dem Kanzler wollen alle. 

Die Veranstaltung hätte auch noch länger sein können, findet eine Studentin. Ein sehr gutes Format, sagt auch eine Ortschaftsbürgermeisterin. Es sei gut, dass es die Möglichkeit gebe, gehört zu werden. Und Arzthelferin Claudia Hepper hat sogar neue Hoffnung geschöpft. Vielleicht sei Thüringen doch nicht so braun, wie alle immer sagen.