Ordensverleihung im Schloss Bellevue Am falschen Ort zur falschen Zeit? Das steckt hinter der Teilnahme von Olaf Scholz an der Merkel-Ehrung

Olaf Scholz und Angela Merkel
Bei ihrer letzten Kabinettssitzung gab's Blumen von Olaf Scholz für die damals amtierende Kanzlerin. Als ihr Nachfolger kommt Scholz heute Abend zur Ordensverleihung für Angela Merkel ins Schloss Bellevue. Und das nicht nur aus Höflichkeit.
© Markus Schreiber / DPA
Kanzler Olaf Scholz macht die Regierungen seiner Vorgängerin immer wieder für Fehler und Versäumnisse verantwortlich. Trotzdem kommt er jetzt zur Ordensverleihung ins Schloss Bellevue. Dahinter steckt persönliche Wertschätzung – aber auch ein taktisches Interesse.

Es hört sich an wie eine Selbstverständlichkeit. Aber ist es das wirklich? Wenn Angela Merkel am Montagabend im Schloss Bellevue den Verdienstorden der Bundesrepublik erhält, wird auch Olaf Scholz anwesend sein. Das ist, um es mal etwas grob zusammenzufassen, der Bundeskanzler, der seit Monaten die Regierungen von Angela Merkel immer wieder für alle Versäumnisse verantwortlich macht, die seine Koalition beseitigen muss.

"Das ist der Unterschied zu früher", rief Scholz erst kurz vor Ostern ins Plenum des Bundestages, als er die Ergebnisse des letzten Koalitionsausschusses für die Energie- und Wirtschaftspolitik rühmte: "Es wird Tempo geben, Beschleunigung, und diese Aufgaben werden alle zielgerichtet verfolgt. Der Stillstand der letzten Jahrzehnte, den wir konservativer Politik zu verdanken hatten, ist endgültig beendet."

Verantwortlich für diese vom Nachfolger verurteilte konservative Politik war seine Vorgängerin Merkel. Die bekommt nun das Großkreuz in besonderer Ausfertigung, das bisher nur Konrad Adenauer und Helmut Kohl erhalten haben. Und Scholz wird daneben stehen, wenn Frank-Walter Steinmeier die Ex-Kanzlerin für ihre 16-jährige Amtszeit mit der höchsten Auszeichnung würdigt, die das Land zu vergeben hat. Ist das nicht ein bisschen widersprüchlich, Herr Scholz?

Nein, sagt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Die Ex-Kanzlerin habe Scholz eingeladen. "Beide verbindet trotz aller politischen Gegensätze eine gegenseitige persönliche Wertschätzung." Es gehöre sich für Scholz, der Vorgängerin bei einer solchen Würdigung "die Ehre zu erweisen".

Olaf Scholz nimmt eine bemerkenswerte Trennung vor

Interessanterweise nimmt der Kanzler schon immer eine bemerkenswerte Trennung vor, wenn er über Merkel und ihre Regierungen spricht. Schon kurz vor seiner Amtsübernahme schrieb er auf Facebook über die Vorgängerin: "Angela Merkel war eine erfolgreiche Kanzlerin. Ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeit und ihrer Leistung: Unermüdlich hat sie sich für unser Land eingesetzt und ist sich in 16 Jahren, in denen sich vieles verändert hat, immer treu geblieben." Und bei der Amtsübergabe lobte er, Merkel habe "Großartiges bewegt".

Auch vor seinem Besuch bei Wladimir Putin und nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hielt Scholz den Kontakt mit Merkel. Bei seinem ersten Solo in der Talk-Show von Maybrit Illner ließ der Kanzler Anfang März 2022 wiederholt die Gelegenheit zu Kritik an Merkel verstreichen: Hätte Deutschland durch frühere Waffenlieferungen den Krieg verhindern können? "Nein." Wurden Putins Absichten unterschätzt? "Die Gefahr ist gesehen worden." Und richtig bleibe es auch, so Scholz, dass der Ukraine 2008 nicht ein schneller Weg in die Nato eröffnet wurde – eine Entscheidung, die Merkel gegen den damaligen US-Präsidenten George W. Bush durchgesetzt hatte.

Schon bei Illner zeigte sich allerdings das Scholzsche Muster, zwar die Kanzlerin zu schonen, nicht aber ihre Minister und die Unions-Parteien. Damals traf es Karl-Theodor zu Guttenberg. Unter allen sozialdemokratischen Verteidigungsministern sei die Bundeswehr gut gerüstet gewesen, sagte der Kanzler. Erst danach habe man "eine Zeit der Sparsamkeit erlebt, die mit einem CSU-Verteidigungsminister begonnen hat".

Scholz‘ bevorzugtes Ziel ist allerdings der frühere Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Auch wenn er den CDU-Kollegen nicht namentlich nennt, ist doch seit Monaten klar, wen der Kanzler meint, wenn er zum Beispiel immer wieder moniert, seine Regierung habe bei Amtsübernahme keine Pläne für den Fall einer stockenden Gasversorgung aus Russland vorgefunden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Altmaier hat es bisher vermieden, sich gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen. Am Montagabend im Schloss Bellevue können sich die beiden Herren darüber austauschen: Altmaier, in Merkels dritter Legislaturperiode Kanzleramtsminister, ist wie alle früheren Amtschefs auch ins Schloss eingeladen.

Gelegentlich klingt bei Scholz auch an, dass Merkel vielleicht gewollt hätte, aber von ihrer Partei daran gehindert wurde. Er habe gehört, so Scholz am 23. November 2022 im Bundestag an die Adresse des CDU-Vorsitzenden und Unions-Fraktionschefs, "dass Sie, Herr Merz, sich beim CDU-Parteitag hinstellen und allen Ernstes behaupten, nicht die letzten 16 Jahre CDU-geführter Bundesregierungen seien das Problem unseres Landes, sondern die letzten 16 Wochen unter Führung der Ampelkoalition". Wer das glaube, so der Kanzler weiter, "der glaubt auch an sprechende weiße Kaninchen." Die Realität sehe anders aus: "Diese Bundesregierung hat in zwölf Monaten mehr in Gang gebracht, umgesetzt und aufgeräumt, als in den Regierungen der vergangenen zwölf Jahre möglich war."

Taktisches Interesse von Olaf Scholz

Scholz hat durchaus auch ein taktisches Interesse daran, sich von der Person Merkel nicht zu weit zu entfernen. Er ahnt, dass viele Merkel-Wähler der Vergangenheit, die 2021 vom Unions-Kandidaten Armin Laschet nicht überzeugt waren, ihn gewählt haben könnten. Zudem ist Merkel in der Bevölkerung ausweislich von Umfragen noch immer relativ populär. Dagegen gab es aus der CDU heraus bemerkenswerte Kritik an der Ordensverleihung für die Ex-Kanzlerin.

Der stellvertretende Parteivorsitzende Carsten Linnemann sagte am Montag in der Sendung "Frühstart" von RTL und ntv, es sei offenkundig, dass Merkel "große Verdienste hat, gerade international". Sie habe aber natürlich "auch Fehler gemacht, sogar eklatante". Als Beispiele nannte er die Energiepolitik und die Flüchtlingskrise. Der Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, der Historiker Andreas Rödder, hatte die Auszeichnung bereits am Freitag im "Tagesspiegel" als Fehler bezeichnet. Der Bundespräsident schade damit der Demokratie und ihrer Glaubwürdigkeit. Rödder kritisierte Merkels Russlandpolitik vor dem Hintergrund des Angriffs auf die Ukraine als "größten außenpolitischen Fehler seit 1945".

Dagegen lobte Peter Altmaier seine Ex-Chefin: "Ich habe mich über die Verleihung gefreut, weil Angela Merkel in den letzten 30 Jahren in der deutschen Politik mit ganzer Kraft gearbeitet hat", sagte Altmaier RTL und ntv. Gefragt danach, ob Merkel auch Fehler gemacht habe, sagte Altmaier: "Wer Politik macht, der macht auch Fehler."

Scholz dürfte solche Differenzen sanft lächelnd zur Kenntnis nehmen. Von einer CDU, in der sich treue Merkelianer und entschiedene Gegner so voneinander absetzen, kann er nur profitieren.

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