Oswald Metzger ist schnell gefunden. Der kleine Provinzbahnhof von Bad Schussenried ist überschaubar. Den Mann zu begrüßen ist schon schwieriger. In der einen Hand hält er einen silberfarbenen Rollkoffer und eine schwarze Aktentasche, mit der anderen presst er sein Handy ans Ohr. Umständlich zerrt er das Gepäck in den Interregio, mit dem es von seiner oberschwäbischen Heimat zum Flughafen Friedrichshafen gehen soll. "Ich steh' zu meinen Aussagen. Ich bereue nichts. Nein, ich weiß noch nicht, ob ich bei den Grünen austrete", sagt er bestimmt in sein Handy. Erst ein Funkloch bei Ravensburg erlaubt ihm eine Begrüßung. "Entschuldigen Sie bitte. Das war die taz aus Berlin. Die ist wichtig, das verstehen Sie sicher." Gleich darauf ist das Netz wieder da, und er spricht wieder über Sozialhilfeempfänger, Prekariat und Kurt Beck. Beim Telefonieren lächelt er selbstsicher, er scheint gerne Auskunft über sich und seine Ansichten zu geben. Noch schnell einen Mitarbeiter anrufen, denn irgendjemand sollte das Interview autorisieren. "Lies kritisch drüber, aber sei ruhig großzügig!" weist er an. Atempause. Gelegenheit zu erzählen, dass er vergangene Woche das Handy aufs Autodach gelegt und losgefahren sei. "Seit heute Morgen habe ich es wieder. Ich war praktisch eine Woche nicht erreichbar." Eine Katastrophe!
Ein Funkloch - Zeit zum reden
Wieder ein Funkloch, Zeit zum Reden. Ja, er sei schon ein wenig überrascht gewesen über das Echo auf sein Interview mit stern.de. "Das sind wohl meine deutlichen Worte gewesen", erklärt er mit einem Augenzwinkern und legt noch mal nach: "Die Grünen bewegen sich auf einen Abgrund zu, ohne ihn zu sehen." Die Forderung, ein Grundeinkommen für alle einzuführen, lehnt er kategorisch ab. "Wer soll das bezahlen? Dafür müsste man zum Beispiel die Mehrwertsteuer noch mal um mehrere Prozentpunkte erhöhen. Selbst das würde kaum reichen." Sollten sich die Grünen am Samstag auf dem Bundesparteitag in Nürnberg für diesen Plan entscheiden, wäre sein Austritt aus der Partei sicher.
Ankunft am Flughafen Friedrichshafen. Wieder klingelt sein Telefon. "Entschuldigung. Das ist die Süddeutsche Zeitung. Da muss ich ran." Noch einmal dasselbe über Grundeinkommen, mögliche Parteiwechsel und Kinder von Sozialhilfeempfängern. Mit dem Satz "Eine pointierte Ausdrucksweise ist mein Markenzeichen", beendet er das Gespräch.
Mit einem Seufzer schaltet er das Handy aus
Zügig geht's durch die Sicherheitskontrollen und zum Boarding. Mit einem stummen Seufzer schaltet er für die nächsten anderthalb Stunden sein Handy aus. So lange dauert der Flug nach Berlin. Dort wird er abends an einer Podiumsdiskussion zum Thema "Die Föderalismusreform im politischen Diskurs" teilnehmen.
Im Flugzeug verschlingt er ein Schinkenbrötchen, Schwarztee und Mineralwasser. Zum Essen sei er heute noch nicht gekommen, entschuldigt er sich und bekräftigt noch einmal, dass er aus der Partei austreten werde, wenn sie beim Beschluss eines Grundeinkommens bleiben würde. "Ich habe schon mal eine Partei verlassen, die SPD 1979. Eine schmerzliche Erfahrung."
"Das Geld kommt doch gar nicht an"
Am kommenden Dienstag in der Fraktionssitzung in Stuttgart will er seine Entscheidung bekannt geben. Doch er sieht auch eine Chance, bei den Grünen zu bleiben, wenn seine beiden Änderungsanträge Gehör finden: Der erste betrifft die Erhöhung der Grundversorgung, also des Arbeitslosengelds II. "Das kommt doch meist bei denen, die es am nötigsten haben, also den Kindern, gar nicht an. Viel sinnvoller wäre es, das Geld in eine qualitative Kinderbetreuung zu investieren." Zum anderen ist es die Individualisierung des Sozialstaats, die Metzger ablehnt. Danach sollte in Zukunft die Versorgung zum Beispiel durch Ehepartner wegfallen. "Wo kämen wir denn hin, wenn eine Millionärsgattin Geld vom Staat bekommen würde, nur weil sie kein eigenes Einkommen hat." Sollten seine Anträge nicht zumindest diskutiert werden, käme ebenfalls der Austritt für ihn in Betracht. Womit sich natürlich die Frage stellt, welche andere Partei für ihn geeignet wäre.
"Ohne Partei kommt man nicht in die Bundespolitik." Und genau da möchte Metzger wieder hin. Seine Themen sind Finanzpolitik, Arbeitsmarkt und Globalisierung. Damit fühlt er sich im baden-württembergischen Landtag unterfordert. Die Linke, die SPD und die Rechten hat er bereits ausgeschlossen. Übrig bleiben CDU und FDP. Welche der beiden er favorisiert, dazu schweigt er beharrlich. Allerdings hat der CDU-Kreisverband seiner Heimatstadt Biberach schon öffentlich erklärt, dass man auch künftig "sehr gut ohne ihn klar" kommen werde.
"Das wird nicht einfach"
Bei der Landung am Flughafen Tempelhof wartet schon ein Kamerateam. Wieder spricht er über die Grundversorgung, Grundeinkommen und Hartz-IV-Empfänger. Noch während die letzten Bilder gemacht werden, hört er schnell seine Mobilbox ab. Im Anschluss daran geht es mit dem Taxi ins Hotel. Metzger wird etwas leiser und spricht darüber, wie es wäre, wenn er bei den Grünen bleiben würde. "Das wird auch nicht einfach, das können Sie mir glauben." Claudia Roth forderte ihn bereits auf, sich zu entschuldigen, und die grünen Landesvorsitzenden Petra Selg und Daniel Mouratidis finden seine Äußerungen "absolut unakzeptabel". "Persönlich hat mir das aber noch keiner gesagt", erklärt Metzger. "Das läuft bislang alles über die Medien." Eine kleine Pause, ein Lächeln: "Dadurch, dass sich alle Parteioberen zu mir äußern, nehmen die mich doch viel zu wichtig." Aber eigentlich scheint ihm genau das ganz gut zu gefallen. Seine Aussage, dass viele Sozialhilfeempfänger ihren Lebenssinn darin sähen, Kohlehydrate oder Alkohol in sich hinein zu stopfen, bereut er nicht. Ganz im Gegenteil. "Gerade von Leuten, die sich mit dem Thema auskennen, also von Sozialarbeitern oder Lehrern, habe ich Zustimmung erhalten. Kritik kommt hauptsächlich von denen, die nichts mit der Branche zu tun haben."
Im Hotelfoyer wartet schon eine Hörfunkreporterin auf ihn. Auch sie hört dieselben Sätze von Oswald Metzger wie alle anderen Journalisten vor ihr. Ohne Pause geht es weiter zu der Podiumsdiskussion, auch hier warten schon wieder zwei Fernsehteams auf ihn. Der eine Reporter hat zwei Hartz-IV-Empfänger mitgebracht, die Metzger vor laufender Kamera auffordern, sich dafür zu entschuldigen, dass er sie und ihresgleichen als Alkoholiker bezeichnet hat.
Zum ersten Mal an diesem Tag wirkt der smarte Grünalternative Oswald Metzger nicht mehr ganz so entspannt.