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Kampfkandidatur um Fraktionsspitze "Der grüne Höhenflug wäre mit Özdemir als Fraktionschef gefährdet"

Kampfkandidatur um die Fraktionsführung der Grünen: der ehemalige Parteichef Cem Özdemir
Kampfkandidatur um die Fraktionsführung der Grünen: der ehemalige Parteichef Cem Özdemir
© Felix Kästle / DPA
Cem Özdemir will es noch mal wissen: Der frühere Grünen-Chef bewirbt sich gemeinsam mit Kirsten Kappert-Gonther in einer Kampfkandidatur für den Fraktionsvorsitz. So bewertet die Presse Özedmirs Comeback-Versuch.

Es ist eine Ansage, die es in sich hat: Ex-Grünen-Chef Cem Özdemir will zurück in die erste Reihe und tritt bei der Neuwahl des Fraktionsvorstands am 24. September im Team mit der Bremer Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther an. Der 53-Jährige zwingt die bisherigen Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, die erneut für die Doppelspitze kandidieren, mit seinem Comeback-Versuch in einen Machtkampf. Die Presse hält Özdemirs Vorstoß teilweise für notwendig, teilweise für gefährlich.

"Heilbronner Stimme"

Paukenschlag bei den Grünen. Cem Özdemir macht aus einer "Formsache" einen echten Wettstreit. Es gibt nun mit ihm und Kirsten Kappert-Gonther ein zweites Bewerberpaar um den Fraktionsvorsitz. Die Kandidatur bringt Spannung und Reibung in die zuletzt entspannte Komfortzone sehr guter Umfragewerte. Aber auch neue Unruhe in die Partei vor der Thüringen-Wahl. Die bisherigen Fraktionschefs führen geräuschlos. Die Abteilung Inspiration liegt hingegen bei den Parteichefs Baerbock und Habeck. Der 53-jährige Özdemir leitet den relevanten Ausschuss für Verkehr und Digitales, aber sein Anspruch ist ein anderer. Özdemir wird vor allem den linken Parteiflügel überzeugen müssen. Das wird schwer genug.

"Stuttgarter Zeitung"

Ein nicht unbeachtlicher Teil des grünen Höhenfluges rührt daher, dass Robert Habeck und Annalena Baerbock an der Parteispitze ohne Querelen agieren. Die aktuellen Fraktionschefs, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, sind in der Öffentlichkeit deutlich weniger präsent. Diese Arbeitsteilung wäre mit einem Cem Özdemir mindestens gefährdet - und damit auch der grüne Höhenflug.

"Schwäbische Zeitung" (Ravensburg)

Karin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter haben keine groben Schnitzer gemacht, doch sind sie manchen, auch in der eigenen Fraktion, zu brav. Ein starker Rhetoriker wie Özdemir, den die Menschen kennen und der auch mal zuspitzen kann, wäre eine Alternative. Zumal in einer Zeit, in der auch die politische Konkurrenz über Klimawandel und Artenschutz redet, und in der einer wie der CSU-Vorsitzende Markus Söder so tut, als wolle er am liebsten jede Biene persönlich retten. Hinzu kommt die Entwicklung in Baden-Württemberg. In dem von Super-Realos geprägten Landesverband gilt Cem Özdemir vielen als derjenige, der in die Bresche springen müsste, sollte Ministerpräsident Winfried Kretschmann wider Erwarten nicht noch einmal die Spitzenkandidatur übernehmen wollen. Die Verkündung dieser Entscheidung wird in den nächsten Tagen erwartet. Vielleicht weiß Cem Özdemir ja schon mehr. Er scheint jedenfalls nicht davon auszugehen, dass demnächst ein Job in der Villa Reitzenstein frei wird.

"Südwest-Presse" (Ulm)

Die Bundestagsfraktion müht sich zwar redlich, bei Sachthemen zu punkten. Doch es fällt ihr schwer, aus dem Schatten der neuen grünen Lichtgestalten heraus zu treten. Zu Recht wünschen sich deshalb viele Abgeordneten an der Fraktionssitze ein stärkeres personelles Gegengewicht. Özdemir wäre so jemand. Doch mit seiner Bewerbung geht er auch ein großes persönliches Risiko ein. Was ist, wenn er klar unterliegt? Kann ein "Verlierer" dann noch baden-württembergischer Ministerpräsident werden, falls Winfried Kretschmann irgendwann abtritt? Gut ist, dass Özdemir trotz aller Unwägbarkeiten antritt. Denn am Ende gilt: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

"Rheinpfalz" (Ludwigshafen)

Schafft es Özdemir nicht an die Fraktionsspitze, kann er weiterführende Gedankenspiele, die seinem überraschenden Vorpreschen vermutlich zugrunde liegen, vergessen. In Baden-Württemberg wird nach einem Nachfolger für Ministerpräsident Winfried Kretschmann gesucht. Zumindest für den Fall, dass der 71-jährige Grüne 2021 nicht mehr zur Wahl antritt. Außer Özdemir haben die Grünen im Ländle niemanden mit einer derartigen Breitenwirkung. Die könnte Özdemir als Co-Fraktionschef pflegen.

"Der neue Tag" (Weiden)

Klimapolitik ist eben kein Selbstläufer, auch wenn das Thema nun - zum Glück - in aller Munde ist. Der schwarze Söder ist sogar zum Dunkelgrünen mutiert. Die CSU hat den Klimawandel als Problem erkannt, ihn auf ihre To-Do-Liste geschrieben. Ein Punkt, das Klimakonzept, ist abgehakt. Die Grünen brauchen starke Gegenspieler: Göring-Eckardt und Hofreiter sind zu brav, kommen gegen die stürmische CSU kaum an. Da braucht es einen, der kontern kann. Das Özdemir das beherrscht, hat er in der Vergangenheit schon bewiesen: als guter Redner und kluger Kopf.

"Nürnberger Nachrichten"

Den Grünen kann es nur guttun, dass Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther eine Kampfkandidatur um den Fraktionsvorsitz im Bundestag wagen wollen. Denn so sehr die Grünen bisher als Partei im Aufwind waren und sich zur zweitstärksten politischen Kraft im Lande entwickelten, so wenig Eindruck machte die Bundestagsfraktion.

"Frankfurter Allgemeine"

Die Klimadebatte verschiebt die politischen Gewichte nicht unbedingt zugunsten der Grünen. Je mehr sich Union und SPD den Einzelheiten eines härteren Klimaschutzes widmen, desto stiller wird es im Maschinenraum der Grünen, an der Spitze der Bundestagsfraktion. Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter haben das Feld ohnehin schon lange Annalena Baerbock und Robert Habeck überlassen, was die frühere grüne Machtbalance umkehrt. Da hatte die Partei-Doppelspitze meist weniger zu melden als die beiden Fraktionsführer, denen allerdings nie gelang, was jetzt zum neuen Erscheinungsbild der Grünen gehört: Die Sonnenblumen richten sich nicht mehr nur nach der Sonne, sondern auch einträchtig nach dem Wind. Kirsten Kappert-Gonther und Cem Özdemir ist das zu langweilig - Özdemir wohl mehr als Kappert-Gonther. Die Kandidatur gegen Göring-Eckardt und Hofreiter ist ganz offensichtlich sein Werk, das zeigen soll: Ich will mehr."

"Leipziger Volkszeitung"

Für die Grünen und Özdemir wäre es hilfreicher, wenn er Nachfolger des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann würde. Kretschmann ist immerhin 70 Jahre alt - und Özdemir 53. Er ist damit im besten Alter, ohnehin energiegeladen. Özdemir ist außerdem Schwabe wie Kretschmann, Realo wie Kretschmann und wirtschaftsnah wie Kretschmann. Er brächte alle Voraussetzungen mit, seiner Partei das Ländle dauerhaft zu sichern. Der Hang zu Ecken und Kanten ist in einer solchen Position eher hilfreich als schädlich. Sowohl für die Grünen als auch für Baden-Württemberg wäre es die Krönung der Geschichte des anatolischen Schwaben aus Bad Urach. Dass Kretschmann vermutlich just in den nächsten Tagen verkünden wird, weiter zu machen, könnte sich im Nachhinein noch für alle Beteiligten als Fehler erweisen.

"Mannheimer Morgen"

Ja, Demokratie lebt vom Wechsel. Und die gegenwärtige Besetzung der grünen Fraktionsspitze ist sicher kein Idealzustand. Allerdings sollte sich die Fraktion nicht in eine Personaldebatte treiben lassen, die womöglich nur noch als Selbstbeschäftigung oder gar Selbstblockade wahrgenommen wird. Das tun andere Parteien schon genug.

"Die Welt"

Die Welt ist schnelllebig. Manches hat sich geändert oder zumindest den Reiz des Neuen eingebüßt. Habeck und Baerbock scheinen doch nicht über Wasser laufen zu können. In diesem Sommer war es ordentlich warm, aber als existenzielle Herausforderung wurde das von den wenigsten empfunden. Und da das Wirtschaftswachstum nach zehn beglückenden Jahren massiv abkühlt, werden ökologische Forderungen und ökonomische Erfordernisse vom Wähler weniger aufgeregt ausbalanciert. Wenn sich die grüne Bundestagsfraktion noch diesen Monat entscheiden muss zwischen dem routinierten Duo Katrin Göring-Eckardt/Anton Hofreiter und der Comeback/Newcomer-Allianz aus Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther, werden die Abgeordneten vielleicht auch wieder ernsthafter über Positionen streiten.

"Rheinische Post"

Trotz leichter Abwärtsbewegungen bekommen die Grünen derzeit immens viel Zuspruch. Das liegt vor allem am Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck, die mit ihrer Talkshow-Dauerpräsenz und ohne Regierungsverantwortung im Hitzesommer prächtig für mehr Klimaschutz werben konnten. Das Verdienst der Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter war es, dabei nicht zu stören. Sie führen die kleine Abgeordnetenschar [...] geräuschlos und skandalfrei. Doch jetzt rüttelt sie so etwas wie eine kalte Dusche wach im grünen Erfolgsrausch. Die Fraktion gerät in einen Machtkampf. [...] Das Manöver mit der bis dato noch wenig bekannten Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther an Özdemirs Seite ist nicht ohne Risiko für den Höhenflug der Grünen. Unterliegen sie und kommt es nach dem Machtkampf zur Lagerbildung unter den Abgeordneten, ist es vorbei mit dem geräuschlosen Führen der Fraktion und der erfolgreichen Arbeitsteilung mit der Parteispitze.

mad DPA AFP

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