«Frankfurter Allgemeine Zeitung»: Radio Eriwan sendet aus Berlin
Die vollmundigen Versicherungen des Bundeskanzlers, Deutschland werde sich an diesem Krieg nicht beteiligen, (werden) immer fadenscheiniger. (...) Ins Absurde gesteigert wurde diese Selbsttäuschung am Wochenende. Alarmiert von der Meldung, dass tausend türkische Soldaten in den Irak eingerückt seien, trat der Bundessicherheitsrat zusammen. Doch die Entwarnung, mit der man sich und die Öffentlichkeit anschließend beruhigte, klang wie eine Meldung von Radio Eriwan: Von einrückenden türkischen Soldaten könne keine Rede sein; sie seien vielmehr schon längst da. Deshalb sei die Türkei nach wie vor keine Krieg führende Nation und könne von deutschen Soldaten weiter routinemäßig geschützt werden. Eriwan hat ausgedient. Obskure Meldungen kommen jetzt direkt aus Berlin.
«Express» (Köln): Sicher ist nur, dass Menschen sterben
Kriegsbilder ohne Ende. Wir werden überschüttet mit einer Flut von Informationen von der Front. Täglich sehen wir die Bilder des brennenden Bagdad, die Panzerkolonnen auf dem Vormarsch oder den Tyrannen Saddam, von dem niemand weiß, ob er überhaupt der Echte ist, ob er verletzt oder gar schon tot ist. Klarheit gibt es nicht in diesem Wüstenkrieg weder von den Militärs noch von der Armada der zahllosen Experten, die fernab vom Kriegsgetöse im Nebel stochern. Die Erfolgsmeldungen der Generäle zu trauen ist ihnen nicht. Propaganda, bewusst lancierte Falschmeldungen, ein Häppchen Wahrheit alles ist dabei. Gesichert ist nur eines: Täglich fallen Menschen dem mörderischen Duell zwischen Bush und Saddam zum Opfer Kämpfer wie unschuldige Zivilisten. Sie vor allem zahlen einen hohen Preis für ein fragwürdiges Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
«Leipziger Volkszeitung»: Bundesregierung soll Ja zum Krieg sagen
Die Türkei ist eine am Krieg beteiligte Partei. Deutsche Regierende, die sich erst jetzt die Frage stellen, ob unter diesen Umständen die deutschen AWACS-Besatzungen an Bord bleiben dürfen oder nicht, haben sich entweder als naiv erwiesen, oder, wahrscheinlicher, sie geben die brutale Wirklichkeit nur Stückchen weise preis. Zwischen dem besten transatlantischem Freund George W. Bush und dem ärgsten Diktatorenfeind Saddam Hussein gibt es in Wahrheit keine Ecke begrenzter Unbeteiligtheit. So ist das deutsche ABC-Abwehr-Engagement in Kuwait auch nicht mit größter Propagandaanstrengung als reine Anti-Terror-Maßnahme zu begründen. Faktisch sichert die Bundeswehr in Kuwait völlig allein den ABC-Abwehrschutz, nachdem sich Tschechen und Amerikaner in Richtung Bagdad aufgemacht haben. Die Bundesregierung hat mit guten Gründen das Nein zum Krieg so lang wie möglich vertreten. Das geht jetzt nicht mehr. Sonst müsste alles gestoppt werden - von den Überflugrechten über AWACS- und ABC-Kräfte bis zur Planung des Wiederaufbaus im Irak. Das aber kann niemand wollen.
«Badische Zeitung» (Freiburg): Awacs-Soldaten sofort abzieh
Krieg verroht die Politik. Das beschränkt sich nicht auf die Kriegsteilnehmer, wie die Türkei zeigt. Sie macht Anstalten, sich das Faustrecht der USA zum Vorbild zu nehmen und es gegen die Kurden im Irak zu wenden - präventiv, so zu sagen. Nicht einmal moralisch könnte die Türkei sich das erlauben, nachdem sie so lange versäumt hat, diese Volksgruppe im eigenen Land menschenwürdig zu behandeln. Was heißt das für den Kanzler? Er muss die deutschen Soldaten an Bord der Awacs-Flugzeuge im Fall des Falles sofort abziehen, mit der Nato, zur Not aber auch ohne sie. Man wird der deutschen Regierung in Ankara oder Washington erneut Feigheit vorwerfen. Aber es geht um etwas Wichtigeres: ihre Glaubwürdigkeit.
«Kieler Nachrichten»: Menschliches Leid auf beiden Seiten
Der Krieg zeigt seine hässliche Fratze: Gefangene amerikanische Soldaten blicken voller Angst in die Kameras eines arabischen Senders, ein geifernder Mob macht Jagd auf angeblich abgeschossene Piloten in Bagdad, ein US-Soldat wirft Handgranaten auf seine eigenen Vorgesetzten, eine Rakete trifft versehentlich ein britisches Flugzeug. Diese Bilder wird sich ein gerissener Diktator vom Schlage Saddam Husseins zunutze machen. Er wird den Hass seiner Landsleute auf die Imperialisten schüren und, so ist zu befürchten, seine bedrohte Macht an den gefangenen GIs demonstrieren. Der Krieg ist nicht länger eine abstrakte Operation, sondern Inbegriff menschlichen Leides auf beiden Seiten der Front. Amerikaner und Briten werden den Krieg gewinnen. Aber seit gestern wird die Frage lauter: Um welchen Preis?

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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«Westfälischer Anzeiger» (Hamm): Nato erleidet Kollateralschaden
Die Angst vieler Politiker vor dem Danach des Irak-Krieges wird immer berechtigter. Die Anti-US-Proteste in vielen Ländern zeigen den enormen Vertrauensverlust für die Vereinigten Staaten und ihre Politik. Und ob der Kollateralschaden, den die Nato derzeit nimmt, je wieder behoben werden kann, darf ebenfalls als fraglich gelten. Sollte die Bundesregierung trotz aller argumentativen Eiertänze in Berlin die deutschen Mitglieder der Awacs-Besatzungen schließlich doch noch abziehen müssen, dürfte das Verteidigungsbündnis kaum mehr zu kitten sein.
«Der Tagesspiegel» (Berlin): Auf Distanz zu Frankreich gehe
Das Eingreifen der USA zwingt die Regime in der Region, die an Massenvernichtungswaffen arbeiten, zu einer Kosten-Nutzen-Abwägung. In den nächsten Wochen werden Syrien, Iran und Libyen sich die strategische Frage stellen: Lohnen die Waffen- und Raketenprogramme das Risiko, sich Ärger mit den USA einzuhandeln? Wie dramatisch die Antwort auf diese Frage sein könnte, wird durch die Alternative deutlich: das Nordkorea-Szenario. Tripoli, Damaskus und Teheran könnten auch zu dem Schluss kommen, ihre Programme drastisch zu beschleunigen, um rascher unangreifbar zu werden - ein Albtraum. Deutschland und Europa müssen sich deshalb klar werden, wie sie ihre Orientpolitik neu ausrichten wollen. Und entscheiden, was ihnen wichtiger ist: die Eindämmung Amerikas oder die der genannten Diktaturen. Es wird Zeit, dass sich Deutschland von einem Frankreich emanzipiert, das weiter auf Obstruktion der Amerikaner setzt. Denn nur ein mit den USA koordiniertes Vorgehen kann dafür sorgen, dass die nahöstlichen Diktaturen in den nächsten Wochen die richtigen Entscheidungen treffen.
«Neue Osnabrücker Zeitung»: Deutscher Alleingang gefährdet Nato
Die Bundesregierung überzieht, wenn sie Ankara bereits jetzt mit dem Abzug von Soldaten aus den Awacs-Maschinen droht. Solch weitreichende Entscheidungen dürfen nur von der Nato insgesamt getroffen werden. Nationale Alleingänge treffen das Bündnis in seinem politischen Kern. Wenn jedes Land nach eigenem Gutdünken über die Beteiligung an Gemeinschaftsaktionen befindet, verliert die Nato dramatisch an Wert. Ohnehin ist die Allianz durch ihren internen Streit über das Vorgehen im Irakkonflikt schwer beschädigt worden. Daran war die deutsche Regierung durch ihr vorzeitiges und striktes Nein zu einem Krieg wesentlich beteiligt. Um so wichtiger ist es daher, dass Berlin den Bruch innerhalb der Allianz nicht weiter vertieft. Entscheidend bleibt, die langfristige Funktionsfähigkeit der Nato zu wahren. Darauf beruhen Sicherheit und Wohlstand in Deutschland - auch wenn dies derzeit von einigen Politikern manchmal verdrängt zu werden scheint.
«Berliner Zeitung»: Nationalstolz wird Wiederaufbau im Weg stehen
All jene, die diesen Krieg überleben, werden am Tag des amerikanischen Sieges ihre Bunker, Häuser und Bretterverschläge verlassen. Sie werden eine mehr oder weniger zerstörte Stadt vorfinden. Sie werden noch lange die Sirenen und Detonationen in ihrem Kopf hören und bei jedem Knall erschrecken. Sie werden sich in die Schlangen einreihen, um ihre Lebensmittelrationen in Empfang zu nehmen. Mit diesen Leuten wollen die Amerikaner und Briten das Land wieder aufbauen und ein neues System errichten, das sich die amerikanischen Planer zumindest in groben Zügen bereits ausgedacht haben. In dieser Fantasiewelt spielen die psychologischen Folgen der massiven Bombardierungen keine Rolle. Darin gibt es keinen Nationalstolz und keinen Hass auf die Befreier. Marodierende Plünderer, Rachegelüste und trauernde Angehörige kommen darin ebenso wenig vor wie Wut über zerbombte Gebäude, über Elektrizitäts- und Wasserwerke, über zerstörte Straßen und Wohnhäuser. Dieses explosive Gemisch lässt sich nicht einfach mit einer UN-Fahne verdecken, wie das Guernica-Bild in der Eingangshalle der Uno.
«Frankfurter Rundschau»: Glaubwürdigkeit geht vor Freundsch
Für die Regierung kann es im weiteren Verlauf des Kriegs nur eine akzeptable Linie geben: im Zweifel für die Glaubwürdigkeit, auch wenn die transatlantische Debatte dann noch härter werden dürfte. Die Stimmen der Scharfmacher aus dem Bush-Lager, die jetzt bereits die Vereinten Nationen für grundsätzlich überholt erklären, machen jede politische Deeskalationsstrategie einstweilen illusorisch. Die Rolle der kriegskritischen Mehrheit in Europa bleibt es zu widersprechen. Und dabei die Zweifel an der eigenen Ernsthaftigkeit so gering zu halten wie realpolitisch nur irgend möglich.
«Darmstädter Echo»: Die Türkei schert sich nicht um ihre Verbündete
Schon wenige Tage nach Ausbruch des Irak-Kriegs gehört die Türkei zu den Verlierern. Sie hat das Kunststück fertig gebracht, es sich sowohl mit Washington zu verderben als auch mit den Kriegsgegnern in Europa wie den Deutschen. Doch das bedeutet nicht, dass die Türkei aus dem Spiel ist. Dadurch, dass schon so viel Porzellan zerschlagen ist, sinkt auch die Kompromissbereitschaft in Ankara. Konkret bedeutet das: Die Türkei wird trotz aller Proteste und Befürchtungen ihre Soldaten nach Nordirak schicken.
«Trierischer Volksfreund»: Rumsfeld sorgt für Befremden
Nie zuvor war ein Krieg realistischer und zeitnäher wahrnehmbar. Deshalb entfalten diese Bilder auch ebenso unmittelbar ihre schockierende Wirkung wie die gewaltigen Detonationen im Stadtzentrum von Bagdad zu Beginn der Luftoffensive. Diese Szenen, seien es die Tod bringenden Bombenexplosionen in der irakischen Hauptstadt oder die in den Augen der Amerikaner demütigende zur Schau-Stellung der «Befreier», dürften in den USA jenen den Rücken stärken, die auch am Wochenende wieder in großer Zahl gegen eine Militäraktion demonstriert haben - gegen ein ein Unternehmen, das sich US-Politiker zunächst als Spaziergang vorgestellt hatten. Gleichzeitig müssen die gestrigen Aussagen von US-Verteidigungsminister Rumsfeld für Befremden sorgen, der den Irak mit besonderer Schärfe zur Einhaltung der Genfer Konventionen ermahnt und die Fernseh-Aufnahmen von den Gefangenen kritisiert hat.
«Hannoversche Allgemeine Zeitung»: Eine Hoffnungs-Meldung
Inmitten der schrecklichen Nachrichten dieser Tage findet sich eine, die immerhin hoffen lässt: Deutschland ist dabei, bei der internationalen Hilfe für den Wiederaufbau des Irak eine führende Rolle zu spielen. Wenn die Deutschen diesen Prozess in Gang bringen, könnte ihnen das auf der internationalen Bühne viel Achtung einbringen. Außenminister Joschka Fischer wäre die geeignete Figur dafür: Er ist ein Spezialist für unmögliche Missionen, die ihm vor allem deshalb gelingen könnten, weil er quer über nationale und internationale Lager hinweg Anerkennung genießt. Das UN-Programm für Bagdad birgt die historische Chance, die Anliegen Amerikas und die Anliegen der Friedensbewegung zu einem Schnittpunkt zu führen: Freiheit plus Frieden.