Presseschau zum Piraten-Parteitag in Bochum "Ein luftiges Allerlei"

Auf ihrem Parteitag wollten sich die Piraten eine Identität geben, ein Programm entwickeln. Nach Meinung vieler deutscher Medien ist ihnen das mehr schlecht als recht gelungen. Eine Presseschau.

Die Piraten wollten und könnten keine politische Verantwortung übernehmen - so die Meinung vieler deutscher Medien. Sie lieferten keine Lösungen, sondern lebten im "virtuellen Schlaraffenland 2.0", lauten die Vorwürfe. Doch es melden sich auch einige wenige positive Stimmen zu den Beschlüssen des Piraten-Parteitags in Bochum. Immerhin entferne sich die Partei nun endlich von der Personaldebatte und konzentriere sich auf politische Inhalte. Ein Überblick:

"Süddeutsche Zeitung":

Für die Piraten war es leicht, nach oben zu kommen. Viel schwieriger ist es, oben zu bleiben. Was diese Piraten programmatisch zusammenhält, bleibt auch nach Bochum sehr vage. Gut, es geht ihnen um Bürgerrechte und Transparenz, im Netz und im realen Leben. Aber jenseits davon? Wirtschaft? Euro? Krise? Da wird es dünn. Ihren schnellen Aufstieg hat das Fehlen konkreter Aussagen nicht verhindert, es hat ihnen vielmehr genutzt.

"Nordwest-Zeitung" (Oldenburg):

In vielen Punkten haben sich die Piraten lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner geeinigt. Und wo sie etwas konkreter wurden, etwa bei ihren Thesen zu Wachstum und Grundeinkommen stellt sich sowohl die Frage, wie das alles finanziert werden soll. Zu zentralen Themen wie Steuern und Euro-Rettung fehlt der Partei weiterhin eine einheitliche Position. Die Piraten haben auf dem Bundesparteitag die Chance verpasst, sich inhaltlich als Alternative zu den etablierten Parteien zu positionieren.

"Frankfurter Rundschau":

Was zur Wirtschaftspolitik beschlossen wurde, ist gedankliches Stückwerk. Humanistisches Weltbild plus bedingungsloses Grundeinkommen minus Wachstumspolitik plus Subventionen plus Mindestlohn. Ein luftiges Allerlei. Wer nach Lösungen sucht, wird nicht fündig. Ob Staatsverschuldung, Euro, Finanzkrise - die Piraten wollten liefern, wollten der politischen Konkurrenz zeigen, wie man es richtig macht. Das haben sie nicht getan. Wie sollen sie auch. Den Piraten geht es eigentlich nicht um Inhalte, ihnen geht es um das Verfahren. Ihr Politikverständnis erscheint mechanisch bis kybernetisch.

"Neue Osnabrücker Zeitung":

Die Piraten wollen keine Verantwortung übernehmen und können es auch nicht. In der Außenpolitik wünschen sie sich zivile Konfliktlösungen. Aber was sagen die Piraten zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr? Nix. In der Sozialpolitik fechten sie für die Mindestrente. Aber was sagen die Piraten zu dessen Höhe? Nix. (...) Wachstum lehnen die selbst ernannten Freibeuter als vordringliches Ziel ab, Vollbeschäftigung ist auch nicht ihr Bestreben. Aber was sagen die Piraten zur Steuerpolitik? Nix. Wenn es dann bei der Umweltpolitik tatsächlich mal konkret wird, richten sich die Netzaktivisten in einem rosaroten Wolkenkuckucksheim ein: In drei Jahren schon wollen sie komplett raus aus der Kernenergie. Das fordern sonst nicht mal die Grünen.

"Der neue Tag" (Weiden):

Fehlt nur noch die Parole "Wohlstand für alle": Auf ihrem Bundesparteitag in Bochum gaben sich die Piraten großzügig. Bedingungsloses Grundeinkommen für alle, Mindestrente für Rentner, selbst Vollbeschäftigung als Ziel braucht es im virtuellen Schlaraffenland 2.0 nicht mehr. Dazu Freiheit, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Menschenrechte, Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln, Transparenz auf allen Gebieten, Basisdemokratie - fertig ist das Parteiprogramm. (...) Die Piraten werden noch ein paar Jahre brauchen, um politische Illusionen von Visionen zu unterscheiden und die Prosa in Parteiprogrammen mit der Realität abzugleichen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite unter anderem, warum die Basisdemokratie der Piraten sowohl positiv als auch negativ beurteilt wird.

"Donaukurier" (Ingolstadt):

Das Sammelsurium, das die Piraten da zusätzlich zu ihren Kernthemen Internet, Urheberrecht und Transparenz zusammengeklaubt haben, mag ganz nett sein, die Frage, wohin denn die Reise gehen soll, beantwortet es nicht. Da muss die Schwarmintelligenz wohl noch viel üben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

"Badische Zeitung" (Freiburg):

Der Parteitag der Piraten hat zwei Dinge gezeigt. Erstens: Die Partei hat den richtigen Weg eingeschlagen. Sie hat die Personaldebatten beendet und sich auf Inhalte konzentriert. Zweitens: Die Partei ist weiter auf der Suche nach ihrer Identität und ringt mühsam darum, ein Grundsatzprogramm zusammenzubasteln. Doch Basisdemokratie kann zäh sein - vor allem, wenn man sie so versteht wie die Piraten. Sie verpönen Hierarchie und wollen dem einfachen Mitglied mehr Macht geben. Das ist ehrenhaft, aber es führt unumgänglich zu langen Debatten und oft auch zu ineffizientem Arbeiten.

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle):

Den Piraten geht es eigentlich nicht um Inhalte, ihnen geht es um das Verfahren. Alle reden mit, alle wollen dabei sein, wer nicht berücksichtigt wird, ist beleidigt. Was am Ende herauskommt, ist nicht so wichtig, Hauptsache superbasisdemokratisch und im Netz wochenlang vordiskutiert. Der Weg ist das Ziel. Das Treffen in Bochum zeigt: Sie sind damit schon jetzt an ihre Grenzen gestoßen. Und es ist nicht alles schlecht, was die anderen Parteien treiben. Noch vor einem Jahr spotteten Piraten, die anderen Parteien hätten Antworten, sie aber würden die richtigen Fragen stellen. Mittlerweile reicht ihr Spott nicht mehr. Die Deutschen haben selbst genug Fragen: Was wird aus dem Euro? Aus Griechenland? Was aus der Rente, aus unserem Wohlstand?

"Mannheimer Morgen":

Statt der Schwarmintelligenz, der angeblichen Klugheit der Vielen, beherrscht die Schwarmkonfusion das Bild der Piraten, die auch nach ihrem Bochumer Parteitag ein scharfes Profil vermissen lassen. Allein die These, dass Vollbeschäftigung weder zeitgemäß noch wünschenswert sei, dafür aber ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle erstrebenswert, lässt am ökonomischen Sachverstand der Piraten zweifeln. Wie diese sich einander ausschließenden Ziele volkswirtschaftlich realisiert werden können, darauf gibt es keine Antwort. Aber Finanzierungsfragen interessieren Piraten wenig. Diffus, vage, illusorisch, so wie sich der schillernde Anhang der Netzpartei zusammensetzt, so verwirrend sind auch dessen politische Ziele.

"Märkische Oderzeitung" (Frankfurt/Oder):

Heraus kamen ein paar Beschlüsse, die Visionen enthalten. Ein konkreter Plan für die Zukunft aber sieht anders aus. Umsetzbare politische Leitlinien auch. Dabei klingen die Visionen nicht mal schlecht. Schlagwörter wie Freiheit, Menschenrechte, gerechte Ordnung und Transparenz kommen dort gehäuft vor. Am konkretesten sind noch die Beschlüsse zur Wirtschaft wie die Forderung nach Mindestlohn, nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und die Absage an das Ideal einer Vollbeschäftigung. Wenigstens ein bisschen Inhalt, ein wenig Profil für die Freibeuter - nur das kann ihr Überleben sichern.

"Stuttgarter Zeitung“:

Das größte Potenzial der Piraten liegt aber gerade hier: dass sie in einer Demokratie, deren viele Wähler überdrüssig sind, neue Formen der Meinungsbildung und Beteiligung ersinnen. Es muss ihnen bald gelingen, ihre Instrumente zu verbessern. Sonst werden sie sich nicht auf Dauer behaupten.

"Coburger Tageblatt“:

Die Generation Facebook als politische Kraft schließt nur eine Lücke in der Bundesrepublik der grauen Anzüge und Einheitskostüme. Gleichgültig, ob die Piraten scheitern oder nicht: Der bisweilen chaotische Haufen macht die Politik farbiger. Das ist gut für diese bunte Republik.

DPA
hw/AFP/DPA