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Rücktritt von Hennig-Wellsow "Wozu wird diese 'Linke' eigentlich noch gebraucht?": So kommentieren die Medien die Krise der Linkspartei

Susanne Hennig-Wellsow hatte seit Ende Februar 2021 zusammen mit Janine Wissler die Linkspartei geführt
Susanne Hennig-Wellsow hatte seit Ende Februar 2021 zusammen mit Janine Wissler die erste weibliche Doppelspitze der Linkspartei gebildet
© John McDougall / AFP
Nur gut ein Jahr war sie im Amt: Susanne Hennig-Wellsow ist als Co-Chefin der Linkspartei zurückgetreten. In den Kommentarspalten der Zeitungen ist von "hässlichen Intrigen" und "blankem Hass" bei den Linken die Rede. Die Presseschau.

Der Rücktritt von Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow am Mittwochmittag war eine faustdicke Überraschung. Die 44-Jährige, die gemeinsam mit Janine Wissler am 27. Februar 2021 zur ersten weiblichen Doppelspitze der Partei gewählt worden war, nannte drei Gründe für den Schritt: Ihre "private Lebenssituation", den "Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen" sowie die dringend notwendige Erneuerung der Partei. Bei der Bundestagswahl im September hatte die Linke nur 4,9 Prozent erzielt und erhielt sich lediglich aufgrund von drei Direktmandaten ihren Fraktionsstatus im Parlament.

Die nötige Erneuerung der Partei brauche "neue Gesichter", erklärte Henning-Wellsow. Zudem kritisierte sie, dass der "Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen eklatante Defizite unserer Partei offen gelegt" habe. Die Linkspartei sieht sich derzeit mit dem Vorwurf konfrontiert, bei der hessischen Linken sei es über Jahre hinweg zu sexuellen Übergriffen gekommen. Zu den Beschuldigten soll demnach auch der ehemalige Lebensgefährte von Co-Parteichefin Wissler gehört haben.

Die Pressestimmen zum Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow

"OM-Mediengruppe" (Vechta/Cloppenburg): "Der Rücktritt Susanne Hennig-Wellsows als Co-Vorsitzende der Links-Partei war lange überfällig. Und der ihrer Mit-Kapitänin Janine Wissler müsste eigentlich auf dem Fuße folgen. Beide haben das Schiff 'Die Linke' auf den Kurs in die Bedeutungslosigkeit gesteuert. Spätestens nach der Klatsche bei der vergangenen Bundestagswahl hätte das dunkelrote Duo die Kapitänsmützen nehmen müssen. (...) Der Rücktritt ist eben nichts anderes als ein Eingeständnis des vollständigen politischen Scheiterns. Vollmundige Ankündigungen konnten die Linken politisch ebenso wenig durchsetzen wie sie personelle Querelen unter der Decke halten konnten. Nach knapp 14 Monaten Doppelspitze Hennig-Wellsow/Wissler braucht kaum noch jemand die Linken."

"Volksstimme" (Magdeburg): "Die Wellen, die der Verdacht auf Sexismus in der Linkspartei zunächst in Hessen ausgelöst hat, schlagen nun über der Bundespartei zusammen. Während der Parteivorstand per Aufklärung versucht, die Kurve zu kriegen, wirft Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow das Handtuch. Aus, Ende, vorbei. Der Rücktritt zeigt einmal mehr, wie sich die Linkspartei vor aller Augen selbst zerlegt. Hennig-Wellsow ist seit gerade mal einem Jahr im Amt. In einer Doppelspitze mit Janine Wissler aus dem Westen war die Ost-Linke angetreten, nach dem Rückzug Gregor Gysis und Sahra Wagenknechts von Spitzenämtern der Partei nun Richtung und Ziel zu geben. Das ist nicht gelungen. Ewiger Zank und Hader haben die Thüringerin mürbe gemacht. Der Rücktritt verschärft die tiefe Krise der Partei. Die Linke hangelt sich seit Wochen in Umfragen unter der Fünf-Grenze-Schwelle entlang. Gerade ist sie im Saarland aus dem Parlament geflogen. Und in Nordrhein-Westfalen steht bereits die nächste Pleite ins Haus."

"Weser-Kurier" (Bremen): "Die Linke erlebt gegenwärtig einen Absturz, der schon vor Jahren begonnen hat, aber zunehmend an Fahrt gewinnt. In aktuellen Umfragen auf Bundesebene steht sie bei nur noch vier Prozent. Bereits bei der Bundestagswahl konnte sie nur durch drei gewonnene Direktmandate wieder in Fraktionsstärke in das Parlament einziehen. Dennoch mutet der Herbst 2021 aus heutiger Sicht an wie eine andere Zeit. Damals wurden die Dunkelroten als mögliche Regierungspartei in einem Bündnis mit SPD und Grünen gehandelt. Heute hingegen droht auf Bundesebene die Bedeutungslosigkeit – und das Dasein einer ostdeutschen Regionalpartei."

"Badische Zeitung" (Freiburg): "Doch wer sich über den Niedergang der Linken freut, sollte nachdenken. Im Parlament sitzt sie als einzige Oppositionspartei links der Ampel. Eine solche Stimme im demokratischen Spektrum hat nicht nur ihre Berechtigung, sie ist bitter nötig."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Es waren die Enthüllungen über den womöglich größten Fall sexueller Übergriffe in einer im Bundestag vertretenen Partei, die ihre Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow am Mittwoch zum sofortigen Rückzug aus der Parteispitze bewogen haben. (...) In ihrer Erklärung über die Gründe des Rücktritts gibt sie jedoch nur weichgespülte, vage Hinweise auf die Defizite der kleinsten Oppositionspartei. In der Bewertung des russischen Überfalls auf die Ukraine tun sich Abgründe in der Partei auf, in der auch noch Uraltgenossen und Putin-Freunde wie Hans Modrow ihr Unwesen treiben. Kein Wort über den Umgang miteinander, der links mitunter genauso rüde ist wie bei der AfD. (...) Verzweifelt fordert Hennig-Wellsow eine programmatische Erneuerung mit neuen Gesichtern. Der Appell der Gescheiterten klingt nach letztem Gefecht."

"In der Linkspartei herrschen Misstrauen, Gezänk und blanker Hass"

"Frankfurter Neue Presse": Vielleicht bewirkt auch eine interne Intrige, dass der Sexismus-Skandal gerade jetzt ans Licht kommt. Denn so zerrissen war die Linke noch nie. Viel interne Kritik, wenig Konsens prägt das Bild der Partei. Kein Wunder, dass ihre einstigen Wähler heute ihr Kreuz eher bei Grünen, SPD oder im Osten bei der AfD machen. Wenn die Linke aber nicht endgültig zur Splitterpartei werden will, genügt nicht nur ein Personalwechsel an der Spitze. Die Partei muss sich auf eine gemeinsame Linie einigen, sich dabei von Irrtümern und alten Zöpfen verabschieden und in der modernen Welt ankommen. 'Das Herz schlägt links', hieß einst ein Buch von Oskar Lafontaine. Aber es sollte auch wissen, wofür."

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle): "Hennig-Wellsow hat recht, wenn sie sagt, Erneuerung brauche neue Gesichter. Seit der desaströsen Bundestagswahl und der Landtagswahl im Saarland ist das Ansehen beider Parteivorsitzenden schwer beschädigt. Die Vorwürfe aus Hessen bringen das Fass zum Überlaufen. In der Vergangenheit haben beide Parteivorsitzenden große Fehler gemacht. Hennig-Wellsow trägt gehörige Mitschuld, doch sie ist auch an den Strukturen in der Linkspartei gescheitert, wo hässliche Intrigen keine Seltenheit sind. Die Frage der Nachfolge wird schwierig: Die Linke braucht eine Spitze, die mehrere Krisen gleichzeitig angehen kann – und genug Macht hat, um die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Partei auf Kurs zu bringen."

"Ludwigsburger Kreiszeitung": "In der Partei herrschen Misstrauen, Gezänk und blanker Hass zwischen den verschiedenen Strömungen. Große Hoffnungen waren vor gut einem Jahr in Henning-Wellsow und Janine Wissler gesetzt worden. Das ungleiche neue Führungsduo schien prädestiniert, die Linke zu befrieden, die Flügel zu versöhnen und die Partei inhaltlich und strukturell zu erneuern. Doch es hat nicht funktioniert. Mit ihrem Rücktritt erhöht Hennig-Wellsow den Druck auf Co-Chefin Wissler , die durch den Skandal über sexualisierten Machtmissbrauch in ihrem hessischen Landesverband und rund um ihren früheren Partner selbst angezählt ist. Es spricht einiges dafür, dass auch Wissler sich nicht an der Parteispitze wird halten können. Der Partei steht ein weiterer Führungskampf bevor. Derzeit ist es schwer vorstellbar, dass es der Linkspartei gelingt, aus den Ruinen, die von ihr übrig sind, aufzuerstehen."

Rücktritt von Hennig-Wellsow: "Wozu wird diese 'Linke' eigentlich noch gebraucht?": So kommentieren die Medien die Krise der Linkspartei

"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg): "Zerstritten, erfolglos, orientierungslos: Das ist die Linke derzeit. Das Führungsduo, beide erst seit gut einem Jahr im Amt, hat es nicht geschafft, einen Kurs zu finden. Katastrophale Wahlergebnisse folgten. Dabei ist der Sexismus-Skandal vielleicht noch das geringste Problem. Hier könnten Täter und Mitwisser vergleichsweise einfach zur Verantwortung gezogen werden. Deutlich schwerer wird es sein, klar zu machen, wofür die Partei eigentlich stehen will. Als reine Protestpartei funktioniert sie jedenfalls nicht mehr, da ist die AfD erfolgreicher. Die inhaltlichen Debatten sind in den letzten Jahren allerdings auch an persönlichen Eitelkeiten gescheitert. Der Name Sahra Wagenknecht steht dafür. Oder Oskar Lafontaine mit seinem Parteiaustritt kurz vor der Saarland-Wahl. Aktuell müsste die Haltung zu Russland geklärt werden. Ob das möglich ist? Hennig-Wellsows Rücktritt kann man durchaus als Eingeständnis werten, dass selbst sie den Glauben an die Zukunftsfähigkeit ihrer Partei verloren hat."

"Wozu wird diese 'Linke' eigentlich noch gebraucht?"

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Ein Rücktritt ist nicht genug. Wenn Susanne Hennig-Wellsow als Bundesvorsitzende der Linkspartei zurücktritt, dann muss auch die Co-Vorsitzende Nadine Wissler gehen. Zusammen sind sie angetreten, für einen Neuanfang bei den Linken zu sorgen. Und zusammen sind sie krachend gescheitert. Weder haben die beiden die für Führungspolitiker notwendige Strahlkraft entwickelt, noch ist es ihnen gelungen, Brücken zwischen den Parteiflügeln zu bauen. Hennig-Wellsow leistete sich zudem peinliche Patzer, etwa als sie nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr befragt wurde. Und Wisslers Name fällt aktuell im Zusammenhang mit mutmaßlichen sexuellen Übergriffen in der hessischen Landespartei. Hat sie zu wenig unternommen gegen "toxische Machokultur"?"

"Berliner Morgenpost": "Die Erosion an der Parteispitze der Linken folgt lediglich der Erosion der gesamten Partei. Nur dank dreier Direktmandate war man wieder in den Bundestag eingezogen und hat diese Chance nicht wirklich genutzt. Die Partei ist immer noch zutiefst zerstritten, die übrig gebliebene Parteichefin Janine Wissler steht im Zentrum einer unappetitlichen Missbrauchsaffäre. Wozu wird diese 'Linke' eigentlich noch gebraucht? In der Corona-Pandemie eierte die Partei herum und fand keine eigenständige Linie. Auch beim wichtigen Zukunftsthema Klimaschutz ist die Linke ohne erkennbares eigenes Profil. Bleibt als markantestes Alleinstellungsmerkmal die Ablehnung des "Kriegsbündnisses" Nato. Auch hier hat sich die Partei historisch verzockt. Wer programmatisch so dürftig dasteht wie die Linke , muss sich also zu Recht um seine Zukunft sorgen."

"Märkische Oderzeitung" (Frankfurt/O.): "Die Linke quält sich mit einer unverarbeiteten Vergangenheit und einer unklaren Haltung zur Zukunft. Es macht den Eindruck, als erlebe man den gemeinschaftlich betriebenen Niedergang der Partei. Eine Niederlage bei der Bundestagswahl, die fast zum Verlust des Fraktionsstatus geführt hat – und niemand übernimmt die Verantwortung. Nicht die Parteivorsitzenden, nicht die Fraktionsspitze – nicht einmal der Bundesgeschäftsführer, der den Wahlkampf geleitet hat. Sie sind alle noch da. Dafür ist aber Oskar Lafontaine weg, Sahra Wagenknecht hat mit der Partei sowieso nichts mehr zu tun, und die letzte DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft hat das Handtuch geworfen. Sogar als die selbsternannte Friedenspartei in Sachen Krieg gegen die Ukraine gefragt war, beschäftigte sie sich mit sich selbst, um sich danach in chaotischer Vielstimmigkeit zu üben. Die Linken haben wirklich keine Ideen mehr für ihre Rolle in der Zukunft."

mad DPA AFP

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