In Berlin durchforsteten 250 Polizisten am frühen Freitagmorgen elf Wohnungen. Bei der Großrazzia nahmen sie zwei Männer fest. Die beiden sollen Kämpfer für Syrien rekrutiert und diese bei der Ausreise unterstützt haben. Nur ein paar Stunden zuvor hatten Ermittler in Wolfsburg einen Deutsch-Tunesier festgenommen. Der 26-Jährige soll sich der Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben.
Die Einsätze reihen sich ein in eine ganze Serie von Aktionen gegen islamistische Terrorverdächtige in den vergangenen Tagen - etwa in Pforzheim in Baden-Württemberg oder in Dinslaken in NRW. Auch anderswo in Europa herrscht Unruhe: Bei einem Anti-Terror-Einsatz in Belgien starben zwei Männer, die einen größeren Anschlag auf die Polizei des Landes geplant hatten. Nach den Attentaten in Paris wächst die Nervosität - und der Druck auf die Islamisten-Szene.
Was steckt hinter den jüngsten Polizeiaktionen in Deutschland?
Seit den Attentaten in Frankreich schauen sich auch die deutschen Sicherheitsbehörden die islamistische Szene besonders genau an. Die rund 260 "Gefährder", denen Polizei und Geheimdienste grundsätzlich einen Terrorakt zutrauen, werden seitdem noch intensiver beobachtet. Schon in den Wochen vor den Anschlägen in Frankreich gab es aber eine Vielzahl von Durchsuchungen und Festnahmen: Beim Bundeskriminalamt (BKA) laufen bereits rund 500 Ermittlungsverfahren gegen etwa 800 Beschuldigte aus dem islamistischen Spektrum. Solche Aktionen bekommen nun eine größere Aufmerksamkeit. Aus Sicherheitskreisen ist aber auch zu hören, der Druck auf die Szene werde nach Paris erhöht. Mancher Zugriff werde wegen die aktuelle Lage vorgezogen, um die Szene zu stören und die Botschaft zu senden: Wir haben euch im Blick.
Wie groß ist die Terrorgefahr im Moment?
Deutschland ist seit langem im Visier von islamistischen Terroristen. Über Monate lautete die Sprachregelung, es gebe eine "abstrakt hohe" Gefährdung, aber keine konkreten Hinweise auf Anschlagsplanungen. Auch kurz nach den Attentaten von Paris benutzte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) noch diese Wendung. Der Zusatz, es gebe keine konkreten Hinweise, ist inzwischen aber nicht mehr zu hören. Der Grund: Seit Paris häufen sich auch die Drohungen gegen Deutschland. Die Behörden müssen in jedem einzelnen Fall prüfen, ob etwas dahinter steckt oder es sich nur um Wichtigtuerei handelt. "Die Lage ist ernst, es besteht Grund zur Sorge und Vorsorge, jedoch nicht zu Panik und Alarmismus", sagt de Maizière inzwischen. Doch auch er räumt ein, dass ein Anschlag in Deutschland nicht komplett auszuschließen sei. Große Angst gibt es vor möglichen Einzeltätern, die zuvor überhaupt nicht aufgefallen sind.
Stockt Deutschland wie andere Länder die Sicherheitsvorkehrungen auf?
In Frankreich gilt seit dem Pariser Anschlag die höchste Terrorwarnstufe. Soldaten sind vor Schulen und auf öffentlichen Plätzen postiert. Die belgischen Behörden riefen nach dem tödlichen Anti-Terror-Einsatz die zweithöchste Alarmstufe aus. Polizeiwachen wurden verbarrikadiert, jüdische Schulen vorerst geschlossen. Solche Warnstufen hat Deutschland nicht. Bislang gibt es hier auch nur wenige sichtbare Sicherheitsvorkehrungen wie ein wenig mehr Polizei an einigen Stellen, zum Beispiel rund um bestimmte Medienhäuser. Auf eine deutliche Verstärkung der Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit verzichten Bund und Länder bislang. Hinter den Kulissen sind Polizei und Geheimdienste aber verstärkt im Einsatz: "Die deutschen Sicherheitsbehörden unternehmen alles, um die Bevölkerung wirksam zu schützen", betont de Maizière. Aber es sei doch auch klar, dass man nicht jede Maßnahme sehe oder offen darüber spreche.
Warum gibt es in Deutschland eigentlich keine Terrorwarnstufen?
Die Regierung findet ein starres und grobes Raster nicht geeignet, um die Sicherheitslage vernünftig zu beschreiben. Schließlich könne sich die Situation je nach Region unterschiedlich gestalten, sogar innerhalb einer Stadt, lautet die Argumentation des Innenressorts. Der Vielschichtigkeit von Bedrohungen werde das nicht gerecht.