Am vergangenen Freitag wurde mit mehr als 140.000 Corona-Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden ein neuer Rekordwert in Deutschland verzeichnet. Die hochansteckende Virusvariante Omikron ist längst hier angekommen. Doch damit nicht genug: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erwartet einen noch dramatischeren Anstieg der Fallzahlen. Im Februar könnte es demnach täglich mehrere Hunderttausende Neuinfektionen geben. Das einstige Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), eine Allgemeine Impfpflicht im Februar oder März einzuführen, wackelt mehr als deutlich. Angesichts dessen diskutierten die Studiogäste bei "Anne Will" zur Frage: "Omikron-Welle da, Impfpflicht nicht – mit welchem Plan geht Deutschland ins dritte Corona-Jahr?".
Zu Gast bei Anne Will:
Marco Buschmann (FDP, Bundesminister der Justiz)
Hendrik Wüst (CDU, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen)
Alena Buyx (Vorsitzende des Deutschen Ethikrates und Professorin für Medizinethik)
Uwe Janssens (Chefarzt für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin)
Helene Bubrowski (Korrespondentin der "FAZ"- Parlamentsredaktion)
Die gute Nachricht zuerst: Es gibt auch noch Corona-Talks ohne Karl Lauterbach. Zwar leuchtete das Konterfei des Bundesgesundheitsministers direkt am Anfang der Sendung auf den Bildschirmen im Studio auf, aber das war es dann auch schon gewesen. Als Vertreter der Bundesregierung war dafür Marco Buschmann da. Der Bundesjustizminister wurde nicht müde, zu erwähnen, dass die Ampel-Regierung viele Dinge "objektiv messbar besser" mache und sprach von der "erfolgreichsten Booster-Kampagne Europas". Über seinen Parteifreund Wolfgang Kubicki, der sich zuletzt deutlich gegen eine Impfpflicht positioniert hatte, wollte Buschmann aber keine großen Worte verlieren.
Einen klaren Plan, wie das Land in das dritte Corona-Jahr gehen will, konnte Buschmann bei "Anne Will" nicht präsentieren. Sollte sich die Lage verbessern, könnten Maßnahmen angepasst werden. Dies gelte ebenso für den Fall, dass sich die Pandemielage verschlechtern solle. "Das ist gesunder Menschenverstand", erklärte der FDP-Politiker.
"Wir gehen in eine neue wackelige Phase"
Die Talkrunde war geprägt von schwammigen Antworten inklusive leerer Worthülsen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst würde den Menschen gerne so schnell wie möglich ihre Freiheit zurückgeben, ergänzte aber auch den Nebensatz "wenn es geht". Wenn Wüst wüsste, wann es wieder geht, würde er es auch gerne sagen. Nun gut, nach diesen Aussagen ist man auch nicht schlauer als vorher.
Die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx machte klar: "Wir gehen in eine neue wackelige Phase." Der Ethikrat hatte schon am 22. Dezember eine Empfehlung herausgegeben, in der er sich für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen hatte. Buyx hob hervor, dass es sich bei einer Impfpflicht um einen "extremen Eingriff" handele und dieser sehr gut begründet sein müsse. Eine Impfpflicht müsse hochrangingen Zielen dienen.
Abgesehen davon übte die Vorsitzende des Ethikrates aber auch Kritik an der bisherigen Umsetzung der Impfkampagne. Es seien viel mehr Impfangebote, bessere Beratung und Aufklärung notwendig. In einigen Regionen Deutschlands sei es immer noch zu schwer, überhaupt an einen Impftermin zu kommen.
Auch die Journalistin Helene Bubrowski wies darauf hin, dass mehr "niedrigschwellige Angebote" benötigt würden. Dadurch könne man einige Impfunwillige vermutlich noch einfacher erreichen als durch eine Pflicht. Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner hingegen könne man auch durch die Impfpflicht nicht zum Piks bewegen, denn diese hätten eben auch die Möglichkeit, sich einen gefälschten Impfpass zu besorgen oder womöglich ein Bußgeld zu bezahlen. Bubrowski äußerte auch rechtliche Bedenken. Sie befürchte, die Impfpflicht könnte das nächste Versprechen der Bundesregierung sein, das schlussendlich nicht eingehalten werden kann.
Viele Fragen, wenige Antworten bei Anne Will
Nun stellt sich nicht nur die Frage, ob eine Impfpflicht eingeführt werden soll, sondern auch in welcher Form. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese hat mit Abgeordneten der Ampel-Koalition Eckpunkte dafür vorbereitet. Demnach soll es eine Pflicht für drei Impfungen geben, die ein bis zwei Jahre gelten soll. Bei Nichteinhaltung würden Bußgelder drohen. Justizminister Buschmann brachte hingegen in der Talkrunde ein anderes Modell ins Gespräch. Er persönlich spreche sich für eine Impfpflicht ab 50 Jahren aus, da die Ungeimpften in dieser Altersgruppe die größte Belastung für das Gesundheitssystem seien.
Wüst ist da anderer Meinung. So richtig begründen, konnte er seine Meinung aber nicht. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz plädierte für eine Impfpflicht ab 18 Jahren, "weil die Personen zwischen 18 und 50 eine große Bevölkerungsgruppe sind."

Und dann ist da noch die Frage, wie die Impfpflicht ohne Impfregister überhaupt kontrolliert werden soll. Uwe Janssens mahnte, diese Aufgabe weder den Kommunen noch den Gesundheitsämtern aufzudrücken. "Die Kommunen sind jetzt schon am Ende", sagte der Mediziner. Er schlug vor, die Krankenkassen stattdessen einzubinden. Mehr Sorgen bereite ihm aber die Umsetzung der berufsbezogenen Impfpflicht, so Janssens. Er wisse noch immer nicht, was im März mit den Beschäftigten in den Kliniken passieren soll, die zu diesem Zeitpunkt nicht geimpft sind und ließ seine Verärgerung darüber am Bundesjustizminister aus.
Die Talkrunde endete schließlich mit einem unbefriedigenden Ergebnis, denn es gab schlichtweg kein Ergebnis. Viele Fragen, wenige Antworten – das lag wohl auch an der Gastgeberin selbst. Anne Will präsentierte sich erstaunlich passiv und wirkte fast schon wie ein zahnloser Tiger. Zu oft ließ sich Will von ihren Gästen abwimmeln. Die Hoffnung bleibt, dass die nun anstehende Ministerpräsidentenkonferenz etwas mehr Klarheit darüber bringt, wie sich das Land aus der Coronakrise befreien will.