Europas neue Härte Asylpakt: Die Sozialdemokraten verraten ihre Werte

Flüchtlingsboot vor kanarischen Inseln: Europas neue Härte
Flüchtlingsboot vor kanarischen Inseln: Europas neue Härte
© Javier Bauluz / DPA
Die Konservativen triumphieren: Bei den neuen Asylregeln für Europa haben sie sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Die Sozialdemokraten kapitulieren – aus Angst vor Extremisten.

Es kommt nicht so oft vor, dass sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unmittelbar nach einer Abstimmung im EU-Parlament der Presse stellt. Der Mittwoch war so ein Tag. Es ging um den Migrationspakt, zehn Gesetze, acht Jahre in der Mache, über den Europaabgeordnete gestern abstimmten. Und siehe da: Mehrheitlich sprachen sie sich für strengere Asylregeln aus. 

Ein Grund zum Feiern war das Votum vor allem für die Christdemokraten. In ihrem Wahlmanifest fordert die Europäische Volkspartei (EVP) sogar noch strengere Maßnahmen, als sie der Pakt nun vorsieht. Von Aufnahmezentren außerhalb der EU-Grenzen nach dem umstrittenen Ruanda-Modell des Vereinigten Königreiches ist die Rede. Ernsthaft? 

Besonders die Rede des zuständigen Kommissars Margaritas Schinas zeigte, worum es eigentlich geht. Er hielt eine regelrechte Wahlkampfansprache, keine Plenar-Rede. "Wir werden allen zeigen können, dass die EU bei den Themen etwas leisten kann, die den Menschen am Herzen liegen. Das sollten die Wähler vor Augen haben, wenn sie im Juni zur Wahl gehen". Wer das ‚wir‘ in seinem Statement ist, ist nicht schwer zu erraten. Das Team heißt hier nicht Europa oder EU-Kommission. Das Team heißt EVP. 

Die Angst vor dem Rechtsruck

Dabei ist es insbesondere die Angst vor einem Rechtsruck, die die meisten Parlamentarier dazu trieb, für den Migrationspakt zu stimmen. Niemand verkörperte diese Angst besser als die Sozialdemokraten. Es sei kein sehr gutes Paket, über das man abstimme, gestand die migrationspolitische Sprecherin der SPD, Birgit Sippel, ein. Und machte sogar Zweifel geltend, ob alle Elemente des Migrationspaktes mit dem gültigen Recht vereinbar seien. Und doch sprach sie sich für den Pakt aus. Nicht aus Überzeugung. Sondern aus Alternativlosigkeit. Der Pakt biete den EU-Mitgliedstaaten immerhin einen einheitlichen Rahmen im Umgang mit Migranten. Schluss mit ad hoc Lösungen. Diese Prämisse schien den meisten Sozialdemokraten gut genug, um sich auf den gefährlichen Kompromiss einzulassen.  

Dabei bringt der Migrationspakt, der sich aus einem Mosaik von zehn Gesetzen zusammensetzt, kaum neue Ansätze im Umgang mit Flucht und Migration. Im Gegenteil. Regeln, die auch jetzt schon gelten, werden hauptsächlich weiter verschärft. Da wären etwa beschleunigte Asylverfahren an den Außengrenzen, die es den Mitgliedstaaten erlauben, Schutzsuchende schnell wieder in Transit- und Herkunftsländer abzuschieben. Sogar Familien mit Kindern sollen in solchen Zentren festgehalten werden. Was nicht gesagt wird: Solche Zentren gibt es auch heute schon. Man denke an das Flüchtlingslager in Moira, 2020 durch ein Feuer fast komplett zerstört, in dem die Schutzsuchenden unter so schlechten Bedingungen lebten, dass die EU-Kommissionschefin versprach, solche Lager würde es künftig nicht mehr geben.  

Auch andere Elemente des Paktes führen bestehende Regeln lediglich fort, ob sie nun funktionieren oder nicht. Das Engagement zu schnelleren Rückführungen oder vermehrten Deals mit Drittstaaten gibt es beispielsweise seit jeher. Doch solange Drittstaaten weiter vor vollendete Tatsachen gestellt werden, nicht als Partner, sondern als Dienstleister fungieren, werden die guten Vorsätze auch unter dem neuen Pakt nicht besser fruchten.  

Letztlich legalisiert der Pakt Maßnahmen, die auch heute schon umgesetzt werden, auch wenn es für sie keine rechtliche Basis gibt: etwa die umstrittene Krisenverordnung, bei der die gängigen Asylgesetze im Falle einer "Instrumentalisierung" von Migrantinnen und Migranten einfach ausgesetzt werden. So geschehen bereits im Rahmen des EU-Türkei-Deals oder während der Covid-Pandemie. Immer wieder setzten Mitgliedstaaten in den letzten Jahren geltende Asylrechte aus. Und die EU-Kommission schaute weg.  

Die Menschen wählen das Original - nicht die Kopie

Sich den Diskurs der Rechten zu eigen machen, um ihre Wähler zu gewinnen, das ist seit Jahren das Gebot der Christdemokraten im Umgang mit den erstarkenden Rechtspopulisten. Im Falle der Migration gesellen sich nun auch Liberale und Sozialdemokraten dazu. Erfolg hatte die Devise bisher nicht. Die Wähler unterstützen in der Regel nicht die Kopie, sondern das Original.   

Beim gestrigen Votum aber wurde die immer restriktivere Politik gegen Migranten verschleiert. Man würde "Schmugglern jetzt endlich das Handwerk legen", sagte etwa EVP-Vertreter Thomas Tobé. Der Diskurs wirkt ausgehöhlt, angesichts von Regeln, die die Grundrechte von Schutzsuchenden in vielen Fällen beschneiden.  

Nun aber kann die EVP vor die Wähler treten und sagen: Die EU hat es geschafft, wir halten euch Migranten vom Leib, entlasten die Kommunen und beschützen die Festung Europa. Und die Sozialdemokraten? Die wenden sich aus Angst vor der Rechten jener Werte ab, für die sie stehen: Solidarität. Freiheit. Gleichheit. Welche Wähler sie damit gewinnen wollen, ist fraglich.