Hinter der Geschichte Wie ich mit Außenministerin Annalena Baerbock in Abu Dhabi strandete

Hinter der Geschichte: Wie ich mit Außenministerin Annalena Baerbock in Abu Dhabi strandete
Im August wollte Jan Rosenkranz mit der Außenministerin auf große Indo-Pazifik-Reise gehen. Sie kamen nicht hinaus über den Nahen Osten. Und hinterließen jede Menge Schmutz. 

Making-of heißt unser neues Format. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen und von unseren Recherchen. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.

Es erinnerte mich an eine dieser Außenwetten aus „Wetten, dass…?“: Pilot A. behauptet, dass er es schafft, binnen 24 Stunden dreimal in einem Regierungsflugzeug mit der deutschen Außenministerin an Bord in Abu Dhabi zu landen – und dabei zweimal 80.000 Liter Flugbenzin über dem Persischen Golf zu versprühen. Er hätte die Wette gewonnen. Aber das konnte ich nicht ahnen, als wir zum ersten Mal in den Sinkflug gingen und meine absurdesten zwei Tage des Jahres 2023 begannen.

13. August: Wir fliegen nach Australien, Neuseeland und die Fidschi-Inseln, wegen Fußball-WM der Frauen, Rückgabe von Kulturgütern, Eröffnung einer deutschen Botschaft – Deutschland sucht im Indo-Pazifik nach neuen, engen Partnern, für die Ministerin ist es eine wichtige Reise. Und ich will sie im Pressetross begleiten. Auf dem Weg nach Australien sollen wir nur kurz einen Tankstopp in den Vereinigten Arabischen Emiraten einlegen. Rasch aussteigen, Tee und Gepäck im VIP-Terminal, kurzer Plausch mit dem örtlichen Botschafter – und Abflug.

80.000 Liter Kerosin über dem Golf vernebelt

Eine halbe Stunde nach dem erneuten Start meldet sich der Flugkapitän über den Bordfunk. Technische Probleme, die Start- und Landeklappen lassen sich nicht einfahren, wir kehren nach Abu Dhabi zurück. Nur müssen wir zuvor das frisch getankte Flugbenzin loswerden, weil die Maschine sonst zu schwer für eine Landung wäre. Und plötzlich sieht man durch das Bullaugenfenster, wie aus einer Düse an der Tragfläche eine weiße Nebelfahne schießt. Kerosin, rechts und links, eine Tonne pro Minute, mehr als eine Stunde lang – 80.000 Liter. 

Aus der Tragfläche des Regierungsflugzeugs wird Kersoin abgelassen.
Pro Minute eine Tonne: Bevor der defekte Regierungsflieger wieder in Abu Dhabi landen darf, muss Kerosin abgelassen werden. 
© Sina Schuldt/dpa

Gut fühlt sich das nicht an. Was machen wir hier eigentlich, mehr oder weniger direkt über dem Ort, wo im Dezember die Klimakonferenz stattfinden soll? Sicher, es gibt gerade jetzt keine Alternative, aber ein paar alte Bögen für australische Ureinwohner, ein Grußwort in der neuen Botschaft auf den Fidschis – ist das den ganzen Irrsinn hier wert? Andererseits ist Diplomatie eine politische Kunstform, in der man gerade den performativen Teil ausgiebig zelebriert. Die Geste, das Zeremoniell, das persönliche Gespräch.

Die Pannenshow der Flugbereitschaft

Der ausnehmend freundliche Flugkommandant kommt zu uns nach hinten in die Holzklasse, um zu erklären und zu beruhigen. Es bestehe keine Gefahr. Und: Es handele sich um ein technisches Problem, das so noch nie vorkommen sei. 

Was hingegen öfter vorkommt, sind technische Probleme an den Regierungsflugzeugen. Was das betrifft, wirkte das zurückliegende Jahr wie eine Pannenshow.

Im Mai war ich zum Beispiel schon einmal nebenan in Doha, der Hauptstadt von Katar, mit einer Reifenpanne liegenblieben. Annalena Baerbock auch. Der Trip in die Golfregion hatte schon mit einem schlechten Omen begonnen. Noch vor dem Abflug in Berlin hatte die Maschine einen Defekt gemeldet. Alle anderen Regierungsflieger waren ausgebucht. Wenn der Kanzler auf Reisen geht, steht immer eine eigene Ersatzmaschine bereit, „Hot Spare“ genannt, unantastbar für alle anderen Regierungsmitglieder, selbst dann, wenn die in Trouble geraten. 

Ober sticht Unter. 

Reporter mit im Pannenflieger: "Baerbock ist ziemlich genervt gewesen"
Reporter Jan Rosenkranz sollte eigentlich Außenministerin Baerbock auf der Reise nach Australien begleiten. Im Video berichtet er, wiesie auf die Pannenserie des Regierungsfliegers reagierte.
stern-Reporter mit im Pannenflieger: "Baerbock ist ziemlich genervt gewesen"

Also akquirierte das Außenamt eben einen grauen Luftwaffen-Airbus. Er kommt öfter mal zum Einsatz, wenn sonst nichts mehr geht. Im vergangenen Jahr hatte er zum Beispiel eine Delegation des Finanzministers, die nach einer Panne in Washington gestrandet war, retten müssen. An diesem Vormittag hatte der Flieger, seiner Bestimmung folgend, Soldaten transportieren sollen – genauer: ukrainische Soldaten, die in Deutschland ihre Ausbildung auf Leopard-Panzern absolviert hatten und nun zurück in die Heimat wollten. Jetzt mussten die auf Ersatz aus Köln-Bonn warten. 

Ober sticht Unter. Es sollte sich rächen.

Mit Plattfuss in der Wüste

In Dschidda, Saudi-Arabien, war noch alles in Ordnung. Auch nach Doha, Katar, flog der Airbus problemlos. Doch als es zurück nach Berlin gehen sollte: Reifenpanne. Er war nicht geplatzt, aber über Nacht war so viel Luft entwichen, dass es auf das dasselbe Ergebnis hinausgelaufen war: Plattfuß.

Airport Dohar: Reifenpanne am Airbus der Außenministerin
Airport Dohar: Reifenpanne am Airbus der Außenministerin
© Luftwaffe via Twitter/dpa

Man dachte, kein Problem, so ein Flugzeug hat sicher einen Ersatzreifen dabei. Antwort: Jein. Jedenfalls nicht für so kurze Trips wie jener ursprünglich nach Polen geplante. Man dachte, aber an so einem Riesendrehkreuz wie Doha wird sich doch ein Ersatzrad auftreiben lassen. Jein, jedenfalls keines, das exakt dieser vorgeschriebenen Superspezial-Bundeswehr-Spezifikation entspricht. Es musste eingeflogen werden. Aus Köln-Bonn, wo die Flugbereitschaft der Luftwaffe ihren Stützpunkt hat, was sicher sehr sinnvoll war, als die Bundesregierung noch in Bonn ihren Sitz hatte. Egal, vom Golf aus betrachtet lag Berlin auch nicht näher. 

Ein paar Stunden warten, was soll schon sein, zumal unter der Sonne Arabiens? Stimmt. Aber nur für mitreisende Journalisten. Wer einmal erlebt hat, wie nervös das Protokoll wird, wenn sich die Abfahrtszeiten der Delegationskolonne um ein paar Minuten verschieben, bekommt einen Eindruck davon, wie eng getaktet solche Reisen sind. Zwei Hauptstädte an einem Tag sind keine Seltenheit. Größere Verzögerungen, Pannen können wochenlange detaillierteste Planungen zunichte machen, denn den Amtskollegen geht es meist genauso. 

14. August: Als das meiste Kerosin vernebelt ist, setzen wir zur zweiten Landung in Abu Dhabi an, diesmal mitten in der Nacht. Die örtliche Botschaft ist längst informiert. Dank ihrer Hilfe geht es mit dem Bus nun für ein paar Stunden in eines dieser Luxushotels, die in Singapur nicht anders aussehen als in Rio. Die Techniker versuchen, das Problem zu beheben. Die Diplomaten versuchen, die Reise zu retten. Die Journalisten berichten in die Heimat.

Abends der zweite Anlauf. Den Fehler hat man nicht gefunden, aber ein Testflug ist problemlos verlaufen. Zweite Verabschiedung am Flughafen vom deutschen Botschafter. Beim Einsteigen witzelt jemand: „Wie sagt man auf Arabisch noch mal ‚Bis gleich‘?“ Hätte er es doch gelassen.

Der Start verläuft normal, soweit man das von der Holzklasse aus beurteilen kann. Aber ich warte vergebens auf das erlösende Surren, das das Einfahren der Klappen anzeigt. Ich schaue aus dem Fenster. Kein Wunder, die Klappen sind noch immer kein bisschen eingefahren. Wenig später kommt erneut der Flugkommandant und die Außenministerin zu uns nach hinten, steht auf dem kleinen Monitor auf der Rückseite des Vordersitzes wieder: Start: Abu Dhabi. Ziel: Abu Dhabi. Vorher müssen natürlich erneut 80.000 Liter Kerosin vernebelt werden. 

Reporter mit im Pannenflieger: "Baerbock ist ziemlich genervt gewesen"
Reporter Jan Rosenkranz sollte eigentlich Außenministerin Baerbock auf der Reise nach Australien begleiten. Im Video berichtet er, wiesie auf die Pannenserie des Regierungsfliegers reagierte.
stern-Reporter mit im Pannenflieger: "Baerbock ist ziemlich genervt gewesen"

Ich war bis heute nicht in Australien. Stattdessen fuhr ich in einem Taxi nach Dubai – und allein für diesen Satz hat sich die Reise gelohnt. Nur aus dem Nachbar-Emirat sollte an diesem Tag noch ein Flug in Richtung Deutschland starten, zwar nicht nach Berlin, aber nach Hamburg immerhin. Noch in der Nacht hatte ich das Ticket gebucht. Nur sollte mir das auch nicht helfen. Der Automat weigerte sich, mich und mein Gepäck einzuchecken. Stattdessen begann er hektisch zu piepsen. Ein freundlicher Flughafenmitarbeiter begleitete mich zu einem Counter, wo man mir eröffnete, dass der Flug überbucht sei. Man hätte da aber ein schönes Hotel…  

Wie ich später erfuhr, hatte auch die Außenministerin den Plan verworfen, die Reise per Linienflug fortzusetzen. Auch sie flog nun zurück nach Deutschland. Samt offizieller Delegation. Von Dubai aus. 

Ober sticht Unter.

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