Da war sie also wieder, die politische Talkshow-Karawane, die derzeit durch die TV-Studios zieht: FDP-Chef Guido Westerwelle und SPD-Umweltminister Sigmar Gabriel, beide bereits am Sonntag bei Anne Will zu Gast, bevölkerten gestern auch das Halbrund bei Frank Plasberg. Dazu war Saarland-Sieger Oskar Lafontaine - bei Will nur zugeschaltet - ebenso geladen wie der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch und die Grüne Renate Künast.
Angesichts der routinierten Besetzung wirkte das Thema geradezu rührend um Leidenschaft bemüht: "Ausgeschlafen, Frau Merkel? Rot-Rot elektrisiert die Republik" hatten Plasbergs redaktionelle Zuspitzer als Thema vorgegeben. Die elektrisierende Wirkung der jüngsten Landtagswahlergebnisse blieb zumindest in Bezug auf die Diskussion allerdings eher Wunschdenken. Allenfalls ein paar atmosphärische Schwingungen und rhetorische Kuriositäten konnte der Moderator seinen Gästen entlocken.
Was Willy wohl gesagt hätte?
Was Willy Brandt wohl gesagt hätte, wenn er sie beide so nebeneinander sitzen gesehen hätte, "nicht als vereint kämpfende Genossen, sondern als Konkurrenten", wollte Plasberg zu Beginn von Lafontaine und Gabriel wissen - und erntete eher ausweichende Antworten. Brandt hätte wohl "bedächtig die Hände nach außen gewandt" und dann gesagt: "Na ja, mal sehen, was daraus wird", mutmaßte ein mild gestimmter Lafontaine.
Während Westerwelle die Resultate der Landtagswahlen mit ihren Rot-Rot-Optionen als "Warnschuss für die Republik" bezeichnete und Koch wiederholt vor dem "Ypsilanti-Gen der SPD" warnte, verweigerten sich Gabriel und Lafontaine allen Versuchen, einen Lagerwahlkampf zu inszenieren. "Nur weil's zusammen reicht, muss es nicht zusammen gehen", erklärte Gabriel, und Lafontaine führte unter anderem. die unterschiedlichen Positionen von Linkspartei und SPD zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr als Beleg dafür an, dass eine Koalition auf Bundesebene undenkbar sei.
Politiker wollten plötzlich über Inhalte reden
Stattdessen hatte Plasbergs Bemühen, den bisher müden Wahlkampf über das Thema Machtoptionen aufzupeppen, den bemerkenswerten Effekt, dass die Politiker plötzlich viel lieber über Inhalte reden wollten - von der Bewertung der gerade ausgelaufenen Abwrackprämie (Koch und Gabriel: pro; Künast/Westerwelle: contra) über mögliche und unmögliche Steuersenkungen bis hin zu Bildung und Europa.
Des Öfteren würgte Plasberg solche Sachthemen einfach ab, wobei er nicht immer eine gute Figur machte. Genauso wenig wie der ihm zur Seite stehende Politik-Wissenschaftler Karl-Rudolf Korte, der vorwiegend Vages und Banales von sich gab ("Ein Parteien-Mobile ist in Gang gesetzt worden von den Wählern.").
Ein Übriges taten die Einspieler, in denen pseudowissenschaftlich das "Ypsilanti-Gen" beleuchtet wurde ("Gene stellen ein Programm bereit, welches individuelle Anpassungen an sich verändernde Umweltbedingungen ermöglicht"), sowie Fotomontagen, in denen Klaus Wowereit und Andrea Nahles als SPD-Größen der Zukunft mit Lafontaine verkuppelt wurden.
Warnung vor "Schwarz-Gelber-Sockenkampagne"
Während die Protagonisten des linken Spektrums engagiert ihre Differenzen betonten und sich etwas hilflos an ihrer Verortung in der neu sortierten politischen Landschaft versuchten (Künast: "Das neue Bürgertum ist grün. links von der Mitte, aber mit einer Schnittmenge Mitte, und vor allem vorne"), beschwor Plasberg weiter "das rot-rote Gespenst". Da konnte sich der Liberale Westerwelle getrost seinerseits ein wenig Sorgen um die "Spaltung der Gesellschaft" und das "Wegbrechen der Mittelschicht" machen. Offenbar enttäuscht darüber, keine neuerliche Rote-Socken-Kampagne anzetteln zu können, verlegte er sich darauf, es absurd zu finden, dass die Linken vor der sozialen Kälte schwarz-gelber Politikvisionen warnten, und warf ihnen vor, ihrerseits eine "Schwarz-Gelbe-Socken"-Kampagne zu führen.
Ansonsten hieß es, Kurzweil aus Details zu schöpfen: So parodierte Koch, in der Union seit jeher der Abteilung Attacke zuzurechnen, erstaunlich gehässig das hessische Idiom seiner einstigen Widersacherin Andrea Ypsilanti ("Isch muss Ministerpräsidentin werden") und ironisierte eine Position Kurt Becks durch den bösen Beisatz "das war der damalige SPD-Vorsitzende". Und als der geladene Politik-Professor die Sitzordung der Gäste in Bezug auf die politischen Standorte bewerten sollte, kam es zu Kuschel-Andeutungen zwischen Künast und Gabriel und Westerwelle und Koch.
Zum Schluss hatte sich die "Hart, aber fair"-Redaktion noch ein besonders neckisches Spielchen ausgedacht: Jeder sollte sich aus den Anwesenden einen Wunsch-Vizekanzler aussuchen. Sich spreizend kürte da Lafontaine unter Berufung auf die Frauenquote Renate Künast; diese wählte sich wechselseitig mit Gabriel, und Westerwelle und Koch hatten sich auch lieb. Koalitionsaussagen dürften sich daraus nicht ableiten lassen. Eher schon brachte es zu guter Letzt ein vorgetragener Zuschauerkommentar auf den Punkt: Während die Bevölkerung schon im Fünf-Parteien-System angekommen ist, sind es die Politiker eher noch nicht.