Es ist alljährlich ein großer Spaß, am 31. August wenige Stunden vor Schließung des Transferfensters das Geschehen bei Twitter, den einschlägigen Fan-Foren und den Live-Tickern der weltweiten Sport-Webseiten zu verfolgen. Der Traffic ist auf den Seiten jedes Jahr riesig, das Tempo, mit dem Gerüchte gestreut, wilde Spekulationen angestellt werden, ist immens.
Irgendwer kennt immer jemanden, der einen kennt, der gesehen haben will, wie Spieler XY gerade einen Flieger nach Z bestiegen hat, wo er mit Sicherheit einen medizinischen Check absolvieren und danach einen Vertrag unterschreiben will. In Windeseile machen solche News die Runde.
Auf der Suche nach Hinweisen auf sich anbahnende Last-Minute-Transfers scannen Fans und Journalisten auf der Zielgeraden vor Mitternacht hektisch das Internet. Die Nervosität ist hoch, sogar manchmal so hoch, dass selbst kleine technische Pannen als Vorboten einer Knallernachricht missinterpretiert werden wie am gestrigen Morgen.
Große Nervosität bei allen Beteiligten
Auf einmal war das Profil von Mario Balotelli auf der Homepage von Manchester City kurzfristig nicht erreichbar gewesen, statt der Daten des Enfant Terribles nur eine Fehlermeldung erschienen. Sofort machten Gerüchte über seinen Abschied die Runde und veranlassten den Webmaster der Seite zu einem schnellen Dementi via Twitter und dem Hinweis, dass es sich lediglich um ein technisches Problem handelte.
Genauso harmlos löste sich auch der ebenfalls heiß diskutierte Fall auf, dass angeblich beim Öffnen der Webseite des Lokalrivalen Manchester United für den Bruchteil einer Sekunde ein Foto von Wesley Sneijder zu sehen war, dann aber blitzartig wieder verschwand.
Wer daraus nun einen bevorstehenden Wechsel des Holländers ins Old Trafford ableitete, lag letztlich genauso falsch wie ein Twitter-User, der scherzhaft postete: Ich bin mir sicher, dass Xherdan Shaqiri zu Arsenal kommen soll, damit der Club eine Startelf aufbieten kann, in der jeder Buchstabe des Alphabets vertreten ist.
Shaqiri blieb letztlich bei Basel, Balotelli in Manchester und Sneijder bei Inter. Aber Arsenal ist ein gutes Stichwort, um zum Kern dieses Artikels zu kommen. Mit wem und auf welchen Positionen haben sich die europäischen Topclubs verstärkt und was versprechen sie sich von ihren Transfers?
Die Transferaktivitäten der europäischen Topclubs
Der FC Arsenal war der aktivste Last-Minute-Shopper. Nach dem mageren Saisonstart mit dem 2:8-Debakel bei Manchester United als negativem Höhepunkt und den schwerwiegenden Abgängen von Gael Clichy, Samir Nasri (beide Man City) und Cesc Fabregas (Barca), kaufte Arsene Wenger ordentlich nach, wurde sogar seinem bisherigen Beuteschema (jung und talentiert) untreu und kaufte mit Linksverteidiger Andre Santos (Fenerbahce) und Innenverteidiger Per Mertesacker (Werder) zwei ältere, erfahrene Profis für die wacklige Abwehr - auch wenn Wenger angeblich noch im letzten Jahr Zweifel an Mertesackers Premier League-Tauglichkeit gehabt haben soll.
Santos kann mit seiner Schnelligkeit das ebenfalls bisher darbende Angriffsspiel der Gunners erheblich beleben. Und um insgesamt die Optionen im Spiel nach vorne zu vergrößern, war bereits am Vortag zu den bereits zuvor verpflichteten Gervinho (Lille) und Alex Oxlade-Chamberlain (Southampton) auch noch Chu-Young Park (Monaco) und kurz vor knapp Yossi Benayoun (Chelsea) ins Emirates Stadium geholt. "Er wird unseren Angriff weitere Qualität verleihen und eine wertvolle Verstärkung des Kaders sein, ist Wenger laut focus.de von Park überzeugt. In letzter Sekunde verpflichtete der Manager noch Mikel Arteta vom Everton. Nachdem Wenger sich zunächst eine Absage einhandelte, war Arsenal kurz vor Toreschluss doch noch erfolgreich und sicherte sich die Dienste des Spaniers für vier Jahre bei etwas über elf Millionen Euro Ablösesumme.
Die Kurve will angesichts von null Punkten aus den ersten beiden Spielen auch Tottenham Hotspur kriegen. Dazu holte man am letzten Tag zu den schon längst verpflichteten Keeper Brad Friedel (Aston Villa), den ausgeliehenen Stürmer Emmanuel Adebayor (Manchester City) noch den Mittelfeldspieler und englischen Fußballer des Jahres Scott Parker (West Ham). Lass Diarra von Real hatte Harry Redknapp auch gerne an die White Hart Lane gelockt, doch beide Seiten lagen offenbar bei den Gehaltsvorstellungen zu weit auseinander. Gerüchte, er wolle noch Kaka verpflichten, hatte Redknapp laut bbc.co.uk, ins Reich der Fabel verwiesen. Der war nie eine Option, wird der Coach zitiert.
Manchester City hat mit Samir Nasri einen absoluten Volltreffer verpflichtet. Vier Assists hatte der Ex-Arsenal-Spieler bei seinem Debüt gegen die Spurs aufgelegt und damit entscheidend zum 5:1-Erfolg der Citizens beigetragen. Ohnehin wurde Roberto Mancinis Kader auch vor dieser Saison wieder luxuriös verstärkt. Der schon erwähnte Clichy, Kun Agüero (Atletico Madrid) für satte 45 Millionen Euro, und Stefan Savic (Partizan Belgrad) für zwölf Millionen sollen Manchester in diesem Jahr in Champions League und Meisterschaft ganz nach vorne verhelfen. Achja, und dann verpflichtete City zur großen Überraschung kurz vor Toreschluss noch den ablösefreien Free-Agent und Dauerpatienten Owen Hargreaves. Böse Zungen könnten sagen: Mittlerweile holen die Neureichen nicht mehr nur Spieler, die es nicht rechtzeitig auf die Bäume schaffen, sondern auch Spieler, die gar nicht mehr auf Bäume kommen.
Champions League und nationalen Titel wollen auch Chelsea und der neue Trainer André Villas Boas gewinnen. Roman Abramovich hat dafür mal wieder ordentlich in die Tasche gegriffen und einige hoffnungsvolle junge Talente wie z.B. Romelu Lukaku (RSC Anderlecht) für 22 Millionen, Oriol Romeu (Barcelona B) für fünf Millionen, Thibaut Courtois (KRC Genk) für neun Millionen geholt, dazu noch Weltmeister Juan Manuel Mata (FC Valencia) für 26,7 Millionen losgeeist. Gerne hätte Villas Boas auch noch Luka Modric aus Tottenham bekommen und für den Kroaten dem Vernehmen nach 34 Millionen plus Florent Malouda geboten. Doch angeblich hatte Harry Redknapp abgelehnt. Er hätte lieber noch mehr Geld und dann noch Didier Drogba als Zugabe bekommen. Das war nicht zu realisieren, so dass die Blues auf Modric verzichten müssen.
Ebenfalls in letzter Minute war die Roma noch einmal auf Shopping-Tour gegangen und zog vier Spieler an Land. Nach den jungen, aufstrebenden und hoch talentierten Bojan Krkic (Barca), Jose Angel (Sporting Gijon) und Erik Lamela (River Plate), holte man auch noch Miralem Pjanic (Lyon) in die ewige Stadt und verstärkte das zentrale Mittelfeld mit Fernando Gago (Real Madrid) und den Sturm mit Pablo Osvaldo (Espanyol), der in der zurückliegenden Saison immerhin 13 Tore in 24 Spielen erzielen konnte. Für die durch den Abgang von Philippe Mexes geschwächte Defensive lieh man als Nebenmann von Gabriel Heinze dazu noch den Wolfsburger Simon Kjaer aus. Ob der Däne sich allerdings als Abwehr-Stabilisator eignet und seinem ebenfalls im Sommer neu verpflichteten Keeper Maarten Stekelenburg (Ajax) Arbeit ersparen kann, muss angesichts der in den letzten Bundesligaspielen gezeigten Leistungen Kjaers bezweifelt werden.
Aussichtsreicher erscheint da schon die Transferpolitik von Napoli zu sein. Die Süditaliener haben den erfolgreichen Kader der Vorsaison zusammenhalten können und an den entscheidenden Stellen verbreitert, um für die Doppelbelastung mit der Champions League gerüstet zu sein. Die Neuankömmlinge Miguel Britos (Bologna), Blerim Dzemaili (Parma), Marco Donadel (Fiorentina), Gökhan Inler (Udinese), Mario Santana (Fiorentina) bringen dem Team von Walter Mazzarri einen erheblichen Qualitätsschub. Und auch die Last-Minute-Verpflichtungen Flügelstürmer Goran Pandev (Inter) und der junge Innenverteidiger Ignacio Fideleff (Newell Old Boys) können sich absolut sehen lassen.
Gleiches gilt für die Sommertransfers von Juventus Turin. Die Alte Dame hat einige ihrer verdienten Männer ausrangiert und durch einen Haufen neuer ersetzt. So mussten u.a. Momo Sissoko und Felipe Melo mussten gehen, geholt wurden Andrea Pirlo (Milan) und Arturo Vidal (Leverkusen), die Trainer Antonio Conte für sein 4-2-4 mit schnellen Pässen und viel Ballbesitz geeigneter erscheinen. Auch die Außenpositionen in der Viererkette wurden neu besetzt. Die Schweizer Zange Reto Ziegler links und Stefan Lichtsteiner rechts sollen die letztjährige Achillesferse stärken. Zudem wurde Eljero Elia vom HSV geholt und mit einem Vierjahresvertrag ausgestattet. Insgesamt ein gutes Fundament für die Rückkehr der Juve auf internationales Parkett.
Nur international zu spielen, reicht Juves Erzrivalen Inter Mailand eigentlich nicht. Der Kader der Nerazzurri wurde mit Ricky Alvarez (CA Velez), Jonathan (Santos) und Luc Castaignos (Feyenoord) zwar jung, aber gleichzeitig auch gut verstärkt. Doch der Abgang von Samuel Eto'o riss ein erhebliches Qualitätsloch. Ob der einen Tag vor Ende der Transferperiode verpflichtete Diego Forlan (Atletico Madrid) und Leihgabe Mauro Zarate (Lazio) dieses stopfen können, dürfte fraglich sein. Forlan hatte mit nur acht Toren eine schwache Vorsaison bei Atletico und Zarate wurde bei Lazio ausgemustert, nachdem er in den letzten beiden Spielzeiten zusammen in 67 Serie A-Spielen gerade einmal zwölf Tore geschossen hatte. Immerhin konnte Inter den immer wieder mit der Premier League in Verbindung gebrachten Wesley Sneijder halten.
Es hatte so ausgesehen, als würde sich Milan diesmal am letzten Transfertag zurückhalten und nicht wie im letzten Jahr mit Zlatan Ibrahimovic und Robinho noch zwei Mister X aus dem Hut zaubern. Doch kurz vor Schluss vermeldete man noch die Verpflichtung von Antonio Nocerino (Palermo), der als Backup für den verletzten Mathieu Flamini geholt wurde. Mit ihm und dem vor wenigen Tagen geholten Alberto Aquilani (Liverpool) ist der Kader der Rossoneri, mit dem Massimo Allegri Titelverteidigung und Champions League in Angriff nehmen will, komplett und kann sich durchaus sehen lassen. Die ablösefreien Taye Taiwo (Marseille) und Philippe Mexès (AS Rom) verstärken die Abwehr, der ebenfalls zum Nulltarif gekommene Alberto Aquilani das zentrale Mittelfeld und für die Offensive verpflichteten die Mailander mit Stephan El Shaarawy eins der größten Talente, die der italienische Markt derzeit zu bieten hat. Scudetto, die Mailänder kommen wieder.
Einige ganz große internationale Clubs gaben zwar noch ein bisschen Füllmasse ab, hielten sich aus dem Buhlen um Neuzugänge kurz vor Erreichen der Deadline jedoch vornehm heraus. Schließlich hatten sie ihre Schäfchen bereits längst ins Trockene gebracht. Der FC Barcelona hatte für zusammen 55 Millionen Euro Außenstürmer Alexis Sanchez (Udinese Calcio) und Cesc Fabregas (Arsenal) für das zentrale Mittelfeld geholt und seinem ohnehin bereits starken Kader dadurch noch einen zusätzlichen Qualitätsschub versetzt, wie beide Neuzugänge mit ihren Toren bei der Demontage von Villarreal zum Saisonauftakt trotz ungewohntem 3-4-3-System deutlich unterstrichen. Den Gegnern in Spanien und Europa kann jetzt schon Angst und Bange werden.
Auch bei Barcas ärgstem Rivalen Real Madrid blieb es ruhig schließlich hatte die Saison mit einem 6:0-Schützenfest gegen Saragossa traumhaft begonnen. In Fábio Coentrão (Benfica) hatten sich die Königlichen einen erstklassigen Spieler geangelt, der die Defensive der Madrilenen auf der linken Abwehrseite erheblich stärken wird. Dazu hatte José Mourinho in Raphael Varane (Lens) einen 18-jährigen Perspektivspieler für die Innenverteidigung, mit Hamit Altintop (Bayern) eine vielseitig einsetzbare Alternative für das Mittelfeld, als Sturm-Backup José María Callejón (Espanyol) und den in der letzten Saison überragenden Nuri Sahin (Dortmund) geholt. Der Türke plagt sich jedoch mit Knieverletzungen herum und wird erst in einem Monat eingreifen können.
Auch Manchester United hatte sich in England den Wahnsinnstag ebenfalls in aller Ruhe angeschaut, schließlich hatte man die Planungen frühzeitig abgeschlossen und mit Mittelfeld-Allrounder Ashley Young (Aston Villa) und Abwehrspieler Phil Jones (Blackburn) wurden zudem noch zwei weitere junge, aber gleichzeitig bereits erfahrene und hoch talentierte Spieler zum ohnehin über jeden Zweifel erhabenen Kader dazugekauft. Außerdem hatte man David de Gea (Atlético Madrid) als neue Nummer eins verpflichtet. Der Junge ist ein starker Keeper, wird es aber als Nachfolger der Legende Edwin van der Sar trotzdem schwer haben.
Malte Asmus