Jetzt jammern sie wieder. Die Herren aus der Politik und Wirtschaft. Der Bundesbankchef Jens Weidmann, der bayrische Finanzminister Markus Söder, der Ökonom Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut, die Banker und Versicherer und alle anderen, die regelmäßig über die Europäische Zentralbank und ihren Chef Mario Draghi klagen. Was sich dieser irre Italiener nur einbildet. Mehr als 1000 Milliarden Euro will er in die Wirtschaft pumpen, den Banken Anleihen abkaufen und die Krise bekämpfen. Das geht doch nicht. Selbst die Kanzlerin zweifelt. Die Kritik ertönt vor allem aus Deutschland. Das hat einen einfachen Grund. Die Deutschen haben die Euro-Krise kaum gespürt. Steigende Arbeitslosigkeit? Sinkende Renten und Löhne? Nicht in Deutschland. Hier lebt es sich behaglich, die Kanzlerin verteilt Geschenke an die Rentner, immer weniger Menschen sind arbeitslos, die Steuer- und Sozialkassen quellen über. Deswegen sagen die Deutschen dem Rest von Europa. Ihr müsst es so machen wie wir. Ihr müsst sparen und Strukturreformen machen.
Das Gespenst verscheuchen
Egal, wie gut die deutschen Reformen tatsächlich waren und halfen, unstrittig ist: Viele Krisenstaaten reformieren und sparen seit Jahren, aber es hilft wenig. Griechen, Spaniern, Iren und Portugiesen sehen kleine Fortschritte, aber viele Menschen suchen weiter einen Job. Auch Frankreich und Italien schwächeln. Die Politiker erleben, dass ihre Macht bröckelt, wenn sie reformieren wollen. Der scharfe Sparkurs stärkt die Kritiker; in Frankreich verdankt die rechte Marine Le Pen ihren Aufstieg auch einem Anti-Euro-Kurs.
Weil die Deutschen kaum Krise gespürt haben, glauben sie auch, dass Mario Draghi überreagiert. Doch das stimmt nicht. Er ist einer der wenigen Staatsmänner, die tatsächlich europäisch denken und handeln. Er will nicht nur die Wirtschaft ankurbeln. Er will das Gespenst der Deflation verscheuchen.
Chancen und Risiken
Die Deflation ist das schlimmste, was einem Land zustoßen kann. Die Wirtschaft gerät in eine Abwärtsspirale; die Preise sinken, die Investitionen sinken, das Wachstum sinkt und die Hoffnung der Menschen auch. Nur eines steigt: die Arbeitslosigkeit. Eine solche Deflation kann in einer Depression enden, wie in den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, als sie die USA über fast ein Jahrzehnt lähmte. Dass die Deflation nicht nur ein Gespenst ist, sondern sehr real werden könnte, zeigt die Inflationsrate der Euro-Zone. Sie lag zuletzt bei minus 0,2 Prozent. Die Preise sinken also schon. Klar, Draghis Tun birgt Risiken. Keiner weiß, ob der Anleihekauf wirkt. Keiner weiß, ob das viele Geld auf den Finanzmärkten nicht neue Blasen erzeugt, die platzen können. Keiner weiß, ob am Ende der Steuerzahler vielleicht zahlen muss. Aber Anleihekäufe können auch helfen. Das zeigen die USA und Großbritannien, wo die Notenbanken über diesen Weg die Wirtschaft in Schwung brachte. Diese Länder wachsen stärker als die Euro-Zone.
Deutsche Jammerlappen
Dass Draghi wirklich europäisch denkt, hat er schon einmal bewiesen. Im Sommer 2012, als der Euro kurz vor seinem Aus stand. Damals kündigte er an unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen, auch damals waren vor allem die Deutschen dagegen. Sie fürchteten eine Inflation und dass sie am Ende riesige Summen zahlen müssten. Nichts davon ist eingetreten. Draghi musste seitdem keine einzige Anleihe kaufen, allein seine Worte reichten, um die Krise zu bekämpfen.
Keiner weiß, ob es wieder so läuft. Geldpolitik ist viel Psychologie. Eine Notenbank muss die Finanzmärkte und Anleger beeindrucken. Sie muss zeigen, dass sie handelt. Draghi hat das heute bewiesen. Die Deutschen wollen nicht handeln. Sie wollen warten. Und jammern.