Antonella wohnt in Rom. Sie ist jung, stilbewusst, trendy, modern, sie legt Wert auf Design und ist vermutlich auch sexy. Leider existiert Antonella nicht wirklich, sie ist eine Kunstfigur der Marktforschung und sogenannter Zielkunde des neuen Ford Fiesta. Die Marketingspezialisten von Ford hatten zu Anfang nur eine diffuse Vorstellung der künftigen Käufer. Um mehr über deren Lebensumstände zu erfahren, gingen sie vor wie Detektive. Sie schnüffelten in ganz Europa herum, befragten Tausende Männer und Frauen nach ihren Lebensgewohnheiten. Welchen Sport sie treiben, welchen Kaffee sie trinken, wie sie wohnen, welche Kleidung sie tragen und mit welchem Handy sie telefonieren. Heraus kam die virtuelle Lady mit südeuropäischem Lebensmittelpunkt. "Wir bekamen mit Antonella eine klare Idee, wer den Wagen liebt", sagt Jürgen Stackmann, Geschäftsführer für Marketing und Verkauf, "mehrheitlich sind es Frauen." In den neuen Fiesta setzen die Kölner Autobauer große Hoffnungen. Als Erster in seinem Segment soll er Menschen sowohl in Europa als auch, in leicht abgewandelter Form, in Asien und Nordamerika zum Kauf animieren.
Jahrzehnte galt dieses Modell als bieder, als schmuckloser Kleinwagen, meist gefahren von Hausfrauen und älteren Ehepaaren. Auch beim derzeitigen Fiesta der fünften Generation ist es nicht viel anders. Zwar verkauft er sich europaweit gut (407 741-mal im vergangenen Jahr), ist in Italien sogar bestes Importauto seiner Klasse, doch ein Beispiel für herausragendes Design und angesagten Lifestyle ist er nicht gerade. Genau das soll bald der Nachfolger sein. Man will ihn sogar zum Klassenprimus machen, der im besten Fall dem Mini von BMW die Kunden abjagt. Er soll "das schickste Fahrzeug in seinem Segment werden", sagt Chef-Designer Martin Smith bei einem Treffen im Ford-Designzentrum in Köln-Merkenich. Mit dabei sind Stefan Lamm, Leiter Außendesign, und Ruth Pauli, zuständig für den Innenraum. Exklusiv für den stern ziehen die Entwickler das Tuch von ihrer jüngsten Schöpfung, die jetzt auf dem Genfer Autosalon steht und im Herbst auf den Markt kommt. Zum Vorschein kommt ein schnittiger Flitzer mit schlitzäugigen Scheinwerfern, relativ großem Kühler und einem leicht athletischen Karosserieschnitt.
Der neue Fiesta soll edel wirken
Antonella hatte als Zielkundin großen Einfluss auf die Entwicklung. Das begann beim Aussehen des Autos. Wieder und wieder bekamen Testkunden verschiedene Entwürfe zu sehen, in London wie in Lissabon, in München wie in Moskau. Selbst nach China reisten die Designer. Stets wählten die Befragten die sportlichste Karosserieform aus. Eigentlich ein typisches Männerverhalten, doch die Frauen taten es ihnen gleich. "Was uns darin bestätigte, einen riesigen Sprung im Design zu wagen", sagt Stefan Lamm. Die Frauen waren es auch, die die wesentlich präziseren Angaben zu Proportionen, Platzangebot oder Gepäckraum lieferten. Aus diesen Daten entstand ein reales Modell. Ford zeigte die optisch mutige Studie "Verve" auf der IAA in Frankfurt im vergangenen September. Lamm: "90 Prozent von diesem Konzeptauto haben wir übernommen. Das passiert normalerweise nie." Smith und sein Team mussten darauf achten, dass sie mit der neuen Form einerseits die Männer nicht verschrecken und andererseits die Begehrlichkeit der Frauen wachhalten. Denn immerhin ist die Kundschaft des bisherigen Modells zu 60 Prozent weiblich. Obendrein hatte Smith eine klare Anweisung aus dem Vorstand: "Machen Sie etwas, das bei jeder Kundenbefragung als Sieger hervorgeht!"
Sie verklebten Konkurrenzmodelle wie VW Polo, Mitsubishi Colt, Renault Clio oder Peugeot 206 so, dass sie unkenntlich wurden, und stellten ihren Neuen daneben. Auch an ihm wies nichts auf die Marke hin. "Das Ergebnis war eindeutig", sagt Designer Lamm, "74 Prozent wollten mit dem Fiesta nach Hause fahren." Dass sich später darin möglichst viele wohlfühlen sollen, das war die Aufgabe von Ruth Pauli. Sie gestaltete das Interieur, wählte Stoffe, Farben und Materialien aus - und kämpfte um jeden Cent. Das übliche zähe Ringen zwischen Designern und Kaufleuten um optimale Farben, Stoffe und Anmutung auf der einen Seite und möglichst niedrige Kosten auf der anderen. Die meistgestellten Fragen der Rotstifte waren "Muss das sein?" und "Brauchen wir das?". Pauli setzte sich fast immer durch, nicht zuletzt wegen Antonella. Die entscheidet auf emotionaler Ebene über den Kauf. Und sie deckt ein breites Spektrum an Geschmacksvarianten ab. Das ist auch der Grund dafür, dass es für den kleinen Wagen eine große Auswahl an Ausstattungen und Varianten geben wird. Der neue Fiesta soll als edel verstanden werden. Deshalb orientierte man sich nach Paulis Angaben an Marken wie Dior, Chanel, Gucci und Kenzo.
Für Sie und Ihn
Tristes Grau ist out. Bei der Linie "Trend Fashion" zum Beispiel richtete sich Ruth Pauli nach dem Londoner Modedesigner Paul Smith. Die Sitze erhielten ein Streifenmuster ähnlich dem feiner englischer Anzüge. Bei der mehr technisch orientierten Toplinie "Titanium" lieferte Armani die Inspiration. "Wir wollten keinen Mix in den Ausstattungslinien, sondern eine klare Trennung", sagt sie. Der Fiesta soll der Studentin aus Stuttgart genauso gefallen wie der Lady aus London. Besonders stolz ist die Designerin auf das Armaturenbrett. Ziel war, eine angenehm weiche Oberfläche zu schaffen, die jeder gern berührt. Sie sagt, dass das mithilfe einer speziellen Produktionstechnik (Hinterschäum-Verfahren) geglückt ist. Entscheidend ist schließlich, wie die Oberfläche aussieht und sich anfühlt. Eine Ledernarbung ist Pauli zum Beispiel "zu animalisch und zu konservativ". Sie hat sich für eine entschieden, die einer Leinentextilstruktur ähnelt, weil so angeblich "Wärme und Frische rüberzubringen ist". Die Männer werden sich eher an technischen Details erfreuen, wie zum Beispiel an den serienmäßigen USB- und MP3-Anschlüssen für digitale Musikabspielgeräte. Ebenso am HMI, dem Human Machine Interface, einer Menüleiste oben auf der Mittelkonsole. Die Tasten (Radio, Telefon, Navigation und CD) wurden nach der Logik eines Mobiltelefons angeordnet: das Gewünschte drücken und mit OK bestätigen.
Eine der Vorgaben für den neuen Ford war, dass er auf keinen Fall größer werden durfte. Ergebnis: Er misst wie sein Vorgänger 3,92 Meter, wiegt jedoch rund zwei Zentner weniger. Zweite Vorgabe: geringerer Verbrauch. Ein kleiner Dieselmotor soll das möglich machen und gleichzeitig den CO2-Ausstoß auf unter 100 Gramm pro Kilometer drücken. Das schafft derzeit nur der Smart. Dritte Vorgabe: mehr Sicherheit für die Insassen. Der Fiesta hat jetzt sechs Airbags plus Knie-Airbag für den Fahrer. Und obendrein durfte er nicht viel teurer werden als das heutige Modell (Einstiegspreis circa 12.000 Euro). Optische Spielereien gibt es auch. Und zwar entlang der unteren seitlichen Fensterlinien. Es ist eine unübersehbare Chromleiste, die leicht als etwas zu dick aufgetragen ankommen kann. "Wir hatten endlose Diskussionen um dieses Teil", sagt Smith, "aber jetzt sind wir der Erste, der in dieser Klasse so etwas anbietet." Mal sehen, was die echte Antonella aus Fleisch und Blut dazu sagen wird.