Auch wenn die norddeutsche Techno-Band Scooter das Gegenteil glauben lässt, das Wort "Hype" lässt sich - wie alle Substantive - nicht steigern. Aber wäre es möglich, Clubhouse hätte sich sowas von dafür qualifiziert. Selten hat eine App in so kurzer Zeit eingeschlagen. Das Social-Audio-Netzwerk ist erst seit einer Woche in der breiten Öffentlichkeit angekommen, und dennoch - oder gerade deshalb? - ist es bereits die neue In-Plattform in Deutschland. Jeden Abend tauschen sich hier Start-up-Gründerinnen über Trends in Zeiten einer Pandemie aus, geben Influencer Einblicke in ihr Geschäftsmodell, debattieren Medienschaffende über den Tag - und Tausende hören zu.
Die Zahl der User wächst rasant. Viele schätzen die (noch) kuschelige Atmosphäre, die an die Anfangszeiten der anderen sozialen Netzwerke erinnert, bevor diese von Trollen und Hatespeech überzogen wurden. Befeuert wird die Clubhouse-Faszination auch von einer hohen Promi-Dichte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man gerade über eine Fernsehsendung debattiert - und sich der Moderator direkt in das Gespräch mit einklinkt. Näher kommt man seinen Idolen sonst nie, und dafür muss man nicht einmal vom Sofa aufstehen.
Ramelow sorgt für Clubhouse-Debatte
Neue Plattformen bieten viele Chancen, aber auch bislang unbekannte Risiken. Das musste nun Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow auf die harte Tour lernen: Am Freitagabend klinkte sich der Spitzenpolitiker, der sich erst am 21. Januar auf der App angemeldet hat, in die Talk-Runde "Trash und Feuilleton" ein und plauderte überraschend offen über die letzte Ministerpräsidentenkonferenz in der Coronakrise. Er sagte, dass er in den stundenlangen Sitzungen nebenbei "Candy Crush" spiele, nannte die Bundeskanzlerin "das Merkelchen", später sang er ein Lied. Vielleicht wollte er eine andere Seite von sich preisgeben, ein bisschen cooler wirken als in der "Tagesschau", doch das wurde ihm zum Verhängnis.
Einen Tag später fanden sich seine Äußerungen prominent in deutschen Medien wieder. Ramelow war schockiert. Vermutlich war er davon ausgegangen, die Gesprächsrunde habe privaten Charakter, zumal die Firmenrichtlinien des Netzwerks verbieten, Aufnahmen der Gespräche anzufertigen oder daraus zu zitieren, ohne die Einwilligung der Betroffenen einzuholen. Allerdings waren in dem öffentlichen Panel mehr als 1000 Gäste, wenn auch mehrheitlich stumm, zugeschaltet. So intim das Clubhouse auch wirkt, es ist nicht zu verwechseln mit einem privaten Separee im Restaurant, wo man in kleiner Runde auch mal vom Leder ziehen kann. Es ist ein öffentlicher Raum.

Clubhouse, die App der Gegensätze
Clubhouse ist derzeit auch ein Ort der Gegensätze. Die einen haben viel Freude daran, mit neuen Formaten zu experimentieren. Der Autor Peter Wittkamp veranstaltete eine Lesung und beantwortete Fragen zum Thema Zwangsneurosen, die Hamburger Kommunikationsberaterin Isa Daur redete mit dem Künstler Paul Schrader über Kunst, der Unternehmer Leander Wattig öffnet allmorgendlich einen Ruheraum, in dem nicht gesprochen wird. Diejenigen, die sich in den Räumen tummeln, wollen diese meist gar nicht mehr verlassen. FOMO nennt man dieses Phänomen, die Abkürzung steht für "Fear Of Missing Out", also die Angst, etwas Wesentliches zu verpassen. Und so wird mitunter stundenlang geredet.
Auf der anderen Seite gibt es auch jede Menge Kritik. Clubhouse streichle in erster Linie das narzisstische Ego vieler Menschen, behaupten einige. Sie vergleichen die App mit ihrer strengen Einladungspolitik - derzeit gibt es das Netzwerk nur für iPhone-User - als Äquivalent zur Promidisco. "Ich finde es wirklich wunderbar, dass Menschen, die im Lockdown schon nicht mehr wussten wohin mit sich und ihrem Ego, nun bei Clubhouse endlich einen geeigneten Zeitvertreib gefunden haben. I‘m so happy for you!", macht sich eine Nutzerin auf Twitter lustig.
Bleibt Clubhouse nach der Pandemie ein Hit?
Womöglich wissen die Clubhouse-Mitglieder selbst nicht so genau, zu welcher Seite sie sich zählen. Am vergangenen Freitag startete "Die Höhle der Löwen"-Investor Frank Thelen gemeinsam mit Internet-Erklärer Sascha Lobo und Marketing-Experte Philipp Westermeyer ein Panel mit dem verheißungsvollen Namen "Wieso Clubhouse sich nicht durchsetzen wird". In kurzer Zeit schalteten sich 5000 Gäste zu, dann war der Raum maximal voll - Interessierte landeten auf einer Warteliste. Angesichts dieses Ansturms sagte Frank Thelen am Ende, womöglich setze sich dieses Netzwerk ja doch durch.
Doch was macht die Faszination Clubhouse eigentlich aus? Anfangs sorgte vor allem die vermeintliche Exklusivität für einen Run auf die App, ist sich die Sozialpsychologin Jackie Sharon Tamblyn sicher. Zudem sei die Reduzierung auf Sprache einer der Erfolgsfaktoren: "Anders als in Zoom-Meetings oder in Video-Interviews müssen sich die Teilnehmer nicht überlegen, wie sie aussehen, und ob der Bildhintergrund aufgeräumt ist. Sie können sich ausschließlich auf die Inhalte konzentrieren."
Dass die App so schnell so groß geworden ist, dürfte daran liegen, dass sie den Nerv der Zeit trifft. Deutschland hängt in einer Lockdown-Schleife fest, die Kontakte werden immer weiter eingeschränkt. Das Bedürfnis nach Austausch mit (fremden) Menschen steigt. "Ich gehe davon aus, dass Clubhouse sich auch nach Ende der Corona-Beschränkungen durchsetzen wird", sagt Tamblyn. "Denn aus psychologischer Sicht erfüllt die Plattform essenzielle menschliche Bedürfnisse wie soziale Zugehörigkeit, Freiheit und Selbstverwirklichung. Menschen können wieder auf eine spannende Art und Weise netzwerken, lernen und sich wie im echten Leben unterhalten. Genau das fehlt vielen Menschen gerade sehr."
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