Es muss schon einiges passieren, damit Wolfgang Bosbach die Beherrschung verliert. Selbst der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla hat es nicht geschafft: "Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen!", warf dieser 2011 seinem CDU-Parteikollegen an den Kopf. Und Bosbach? Berief sich abgebrüht auf seine Gewissensfreiheit und das Grundgesetz. Nach insgesamt 23 Jahren als Abgeordneter seiner Partei weiß der 65-jährige Innenpolitiker mit Scharmützeln wie diesen umzugehen, auch Beleidigungen unaufgeregt abzuwinken.
Und dann das. Nach einer hitzigen Debatte mit Jutta Ditfurth verlässt der anerkannte Talkshow-Experte - allein 2015 bestritt er laut "Meedia"-Analyse elf Sendungen - die "Maischberger"-Diskussion am vergangenen Mittwoch. "Frau Ditfurth ist persönlich vorbehalten und von ihrer in Anführungszeichen Argumentation unerträglich, darum muss ich nicht mitmachen.", erklärt er seinen Abgang. Ditfurth nennt ihn "eine kleine Mimose" - doch der Seitenhieb geht bereits in Sandra Maischbergers Beschwichtigungen unter.
Wer ist die Frau, die einen Profi wie Bosbach aus der Bahn wirft?
Fast schon bescheiden bezeichnet sich Jutta Ditfurth auf ihrer Website als Autorin und Soziologin. Ihre Publikationen heißen etwa "Wie wird so eine links?" und "Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: die Grünen". Es ist offensichtlich: Die 65-Jährige kommt aus der Politik. Und hat sie sogar maßgeblich geprägt, war sie doch Ende der 1970er-Jahre Mitglied der Grünen Liste Hessen - einem Vorläufer der Partei Die Grünen. Als eine ihrer Mitbegründerinnen stieg sie später zur Symbolfigur des linken Flügels auf, saß von 1984 bis 1988 sogar im Bundesvorstand der Grünen.
Nach einer Wahlschlappe richtet sich die Partei allerdings neu aus - und die ehemalige Chefin gleich mit. 1991 verlässt sie die Grünen und initiiert die Ökologische Linke, aus der 2000 die Wählervereinigung ÖkoLinX-Antirassistische Liste hervorgeht, für die sie heute im Frankfurter Stadtparlament sitzt. Dementsprechend klar war ihre Position im "Maischberger"-Talk zum Thema "Gewalt in Hamburg: Warum versagt der Staat?" - Ditfurth hat am vergangenen Wochenende gegen den G20-Gipfel in Hamburg demonstriert.
Jutta Ditfurth ist unbequem und unbeugsam
Bereits als sie in Würzburg aufwächst, ist ihr elitäres Denken und Handeln zuwider. 1969, die Studentenrevolten von 1968 hallen noch nach, beginnt sie in Heidelberg zu studieren. Die damals 18-Jährige sagt sich damit auch geographisch vom Adels-Establishment los. Ihre Eltern entstammen beide adeligen Familien. Jutta Ditfurth lehnt eine Aufnahme in den Adelsverband ab und verzichtet seit Ende der 1970er Jahre auf das "von" in ihrem Namen. Nach ihrem Abschluss im Jahr 1977 arbeitet sie als Sozialwissenschaftlerin, bevor ihre politische (und später publizistische) Karriere Form annimmt.
Für ihre klare und unbeugsame Haltung ist Ditfurth auch in Talkshows berühmt und berüchtigt. Bereits 2012 rechnet sie bei "Markus Lanz" mit Bundespräsident Joachim Gauck ab ("Ich fürchte der Gauck wird uns alle vollsülzen. Ich hoffe seine Eitelkeit treibt ihn aus seiner Spur"), ein Jahr zuvor kommt es in "Hart aber fair" zu einer Auseinandersetzung mit Manager Utz Claassen ("Ihre Schleimspur ist mir hier zu heftig und zu dicke.").
Wolfang Bosbach: "eine echte Zumutung"
Für Wolfgang Bosbach war Ditfurth in der "Maischberger"-Sendung "eine echte Zumutung", wie er im Nachhinein zu "Focus Online" sagt. "Es wäre vielleicht besser gewesen, noch früher zu gehen." Sein Abgang lässt nun zwei Lesarten zu. Einerseits: Ditfurth hat selbst den abgebrühten Bosbach aus der Reserve gelockt, sein Abgang adelt die Publizistin als gescheiten Talk-Gast. Andererseits: Bosbach ist ein gestandener wie geschätzter Politiker und Talkshow-Profi, dem beim leidenschaftlichen Geplänkel auch gern mal "der Kamm schwillt", wie er sagt - nur "die permanente Mischung aus Dazwischenquatschen und Grimassenschneiden von Frau Ditfurth" muss er sich offenbar nicht geben.
Beide Szenarien sind plausibel. Geht es allerdings nach Bosbach, zieht er als Verlierer vom Platz: 2016 sitzt er gemeinsam mit Nora Illi bei "Anne Will". Der "Frauenbeauftragten" des Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS) wird IS-Propaganda vorgeworfen. Auch hier schwillt Bosbach der Kamm, sein Abgang bleibt dennoch aus. Nach der Sendung erklärt er in einem Interview: "Wer ausrastet oder gar den Saal verlässt, hat schon verloren."
