Der EU-Gipfel zur europäischen Verfassung ist gescheitert und hat die Gemeinschaft in eine schwere Krise gestürzt. Die Staats- und Regierungschefs hätten sich am Samstag in Brüssel nicht über die künftige Stimmengewichtung im Ministerrat einigen können, hieß es aus der italienischen Delegation. Im Januar soll unter irischer EU-Präsidentschaft ein Ausweg aus der Sackgasse gesucht werden, hieß es nach belgischen Angaben.
Der amtierende EU-Ratspräsident und italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi lehnte es nach Angaben seiner Verhandlungskreise ab, einen Minimalkompromiss vorzuschlagen. "Berlusconi hat eine letzte bilaterale Sitzung mit Frankreich, Deutschland und Großbritannien abgehalten, an deren Ende er entschieden hat, das Treffen zu unterbrechen", sagte ein spanischer Diplomat. Vor dem offiziellen Abbruch der Verhandlungen kamen die Gipfelteilnehmer der 25 Länder noch zu einem gemeinsamen Mittagessen zusammen.
Polnische Delegation weckte Hoffnung
Zuvor hatte die polnische Delegation neue Hoffnung auf Bewegung in den Verhandlungen genährt. Premierminister Leszek Miller wolle nach dem Mittagessen zu neuen Beratungen mit dem polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski nach Warschau fliegen, sagte ein Regierungssprecher. Außenminister Wlodimierz Cimoszewicz hätte unterdessen in Brüssel weiter verhandeln sollen.
"Europa der zwei Geschwindigkeiten"
Luxemburg schlug vor, die sechs Gründungsmitlieder der Gemeinschaft - Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg - sollten über das weitere Vorgehen in Europa beraten. Bundesaußenminister Joschka Fischer hatte bereits vor dem Gipfel gewarnt, bei einem Scheitern drohe ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Dies könnte bedeuten, dass einige Länder künftig in bestimmten Fragen eine engere Zusammenarbeit verabreden.
Polen kompromisslos
Bis zum Schluss hatte die italienische Präsidentschaft in hektischen Einzelgesprächen und mit Kompromissvorschlägen versucht, doch noch Bewegung in die Verhandlungen zu bringen. Allerdings hatte der polnische Außenminister Cimoszewicz klar gemacht, es werde keine Lösung unterschrieben, die sein Land politisch schwäche.
Schuldzuweisung
Polen trage die Hauptverantwortung für das Scheitern, sagte der Parlamentsvertreter in der Regierungskonferenz, Klaus Hänsch. "Ich hoffe, dass man bald wieder zu einem Treffen zusammenkommt und dass Spanien und Polen verstehen, dass sie eine historische Chance verpasst haben", fügte Hänsch hinzu.
Wegen des ungelösten Streits um das politische Gewicht der Mitgliedstaaten in der erweiterten Gemeinschaft kam das Scheitern nicht unerwartet. Polen und Spanien wollten auf jeden Fall am Abstimmungsmodus nach dem Nizza-Vertrag festhalten, der ihnen mehr Möglichkeiten für Blockaden bietet. Die meisten anderen Länder forderten hingegen, wie im Verfassungsentwurf vorgesehen zu doppelten Mehrheiten überzugehen. Es würde die Bevölkerungsgröße der verschiedenen EU-Staaten besser berücksichtigen.