Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat seinen Amtsnachfolger Guido Westerwelle scharf angegriffen. Er sagte dem Magazin "Der Spiegel": "Das Verhalten der Bundesregierung im Libyen-Konflikt mit der Enthaltung im Uno-Sicherheitsrat ist ein einziges Debakel, vielleicht das größte außenpolitische Debakel seit Gründung der Bundesrepublik. Die Position unseres Landes in der Welt wurde wesentlich beschädigt."
Fischer - Außenminister der rot-grünen Regierung von SPD-Kanzler Gerhard Schröder von 1998 bis 2005 - warf Westerwelle vor, die westlichen Partner vor den Kopf gestoßen zu haben, eine "eigenständige Weltpolitik" zu verfolgen und neue strategische Partnerschaften zu suchen. Die Grundkonstanten der deutschen Lage aber hätten sich gar nicht geändert: "Wir sind zu groß, um uns auf eine Rolle wie die der Schweiz zurückzuziehen; wir sind zu klein, um Weltmacht zu spielen. An unserer Verankerung als Teil des Westens festzuhalten, sollte unser höchstes Interesse sein - und vorrangig, ja unverzichtbar ist dabei die Vollendung des europäischen Einigungsprozesses."
Westerwelle reagiert auf anhaltende Kritik
Dabei hatte Außenminister Guido Westerwelle gerade am Wochenende erst auf die Kritik an seiner Libyen-Politik reagiert. Der FDP-Politiker schwenkte am Samstag hinsichtlich der Bewertung des Nato-Einsatzes gegen das Gaddafi-Regime auf die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der FDP-Führung ein. Den Libyern sei es "auch mit Hilfe des internationalen Militäreinsatzes gelungen", das Gaddafi-Regime zu stürzen, schrieb Westerwelle in einem Beitrag für die "Welt am Sonntag".
Bisher hatte Westerwelle es vermieden, den von Deutschland im UN-Sicherheitsrat nicht unterstützten Militäreinsatz positiv zu würdigen. In seiner Partei hatte dies erneuten Unmut über den Ex-Parteichef ausgelöst, der sich im Mai zum Rücktritt von der FDP-Spitze gezwungen sah. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel nannte den Außenminister orientierungs- und würdelos. Westerwelle äußerte "Respekt für das, was unsere Partner zur Erfüllung von Resolution 1973" des UN-Sicherheitsrates geleistet hätten. Bei der Abstimmung darüber hatte sich Deutschland im März überraschend enthalten und sich damit von den Nato-Verbündeten abgesetzt. Merkel rechtfertigte dies damals damit, dass sich Deutschland an militärischen Maßnahmen nicht beteiligen wolle. Mit der Resolution war die Nato ermächtigt worden, eine Flugverbotszone über Libyen zum Schutz der Bevölkerung auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.
Diskussion um die Väter des Erfolgs
Merkel äußerte nun in der "Bild am Sonntag" ebenfalls "tiefen Respekt" für den Einsatz der Nato-Staaten, verteidigte aber zugleich die deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat. "Wir stehen fest zu unseren Verbündeten und zur Nato", sagte die CDU-Politikerin. "Unsererseits sind wir mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Regime vorgegangen."
Westerwelle war aus Reihen seiner FDP vorgeworfen worden, eine klare Würdigung des militärischen Beitrags zur Entmachtung von Libyens langjährigem Machthaber Muammar Gaddafi zu vermeiden. Stattdessen überhöhe er den Beitrag der von Deutschland favorisierten Sanktionen. Am Freitag hatte sich FDP-Chef Philipp Rösler von dieser Linie abgesetzt und den am Militäreinsatz beteiligten Verbündeten "tiefen Respekt und Dankbarkeit" bezeugt. Ähnlich äußerten sich FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle und FDP-Generalsekretär Christian Lindner. "Offensichtlich hat auch die Militäraktion den Aufständischen im Kampf gegen Gaddafi geholfen", sagte Brüderle der "Wirtschaftswoche". Lindner sagte der "Berliner Zeitung", die Nato habe "Gaddafis Kriegsmaschinerie zerschlagen".
"Es ist schlicht würdelos, dass Westerwelle jetzt so tut, als ob seine damaligen Entscheidungen zum Sturz von Gaddafi geführt hätten", sagte SPD-Chef Gabriel der "Rheinischen Post". Dies sei vielmehr "dem Mut der vielen Menschen zu verdanken, die unter Einsatz ihres Lebens gegen das Gaddafi-Regime kämpfen". Zudem habe die Nato einen Sicherheitsschirm geboten. Mit der Regierung von Merkel oder ihrem "orientierungslosen Außenminister" habe der Umsturz in Libyen nichts zu tun.