Knotenpunkt mit Symbolkraft Die Explosion auf der Krim-Brücke trifft Putins Prestigeprojekt und eine wichtige Nachschublinie

Rauchwolken steigen von einem Feuer auf Kerch-Brücke auf
Rauchwolken steigen von einem Feuer auf Kerch-Brücke auf, die das russische Festland mit der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim verbindet
© AFP
Die Explosion auf der Krim-Brücke kommt für Kreml-Kriegstreiber Putin zur Unzeit. Die Verbindungsbrücke ist ein strategisch wichtiger Nachschubweg. Aber nicht nur.

Noch verweigern sich viele Fragen einer belastbaren Antwort, doch schon jetzt lässt sich festhalten: Der Brand auf der Krim-Brücke ist von großer Symbolkraft – und könnte sowohl Wladimir Putin als auch dem russischen Militär noch Probleme bereiten.

Was ist passiert? Nach einer Detonation sind massive Schäden auf der Kertsch-Brücke entstanden, die das russische Festland mit der von Moskau annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim verbindet. Teile der Autobahn liegen im Meer, auch die daneben gelegene Zugstrecke wurde beschädigt. In Folge der Explosion ist die Verbindungsbrücke in Brand geraten. Das Feuer sei mittlerweile gelöscht, teilte das russische Zivilschutzministerium mit. Der Verkehr über die Brücke wurde eingestellt. Mehr über die Ereignisse vom Samstagmorgen lesen Sie hier.

Die Explosion ereignete sich einen Tag nach Putins (traurigem) 70. Geburtstag und inmitten wachsender Kritik an seiner Kriegsführung, die zuletzt eine Reihe von verheerenden Rückschlägen für die russische Armee zur Folge hatte.

Nun die Explosion auf der Krim-Brücke. Die Ukraine hatte zwar wiederholt angekündigt, auch die besetzte Schwarzmeer-Halbinsel zurückzuerobern und einen Beschuss der Brückenanlagen in Aussicht gestellt, doch sowohl Urheber als auch Ursache des Vorfalls sind noch ungeklärt. 

Ganz gleich, ob die Explosion tatsächlich auf einen ukrainischen Angriff oder eine Sabotageaktion zurückgeht: Mit der Krim-Brücke ist auch ein Prestigeprojekt Putins in Flammen aufgegangen, das zudem strategisch von großer Bedeutung ist.

Die Krim-Brücke, ein strategischer Knotenpunkt mit Symbolkraft

Die Brücke über die Straße von Kertsch ist die einzige militärische Versorgungsroute, die das russische Festland mit der ukrainischen Halbinsel Krim verbindet. Somit kommt ihr eine Schlüsselrolle bei der Versorgung der russischen Streitkräfte in der Ukraine zu, insbesondere im Süden des Landes, wo sich die Kämpfe zuletzt intensiviert hatten.  

Vergangene Woche verstärkten die ukrainischen Streitkräfte ihre Gegenoffensiven in der Region und eroberten beträchtliche Landmengen von den russischen Besatzern zurück. Folglich hatte der russische Militärverkehr über die wichtige Verbindungsbrücke zugenommen, berichtete die "New York Times", um die Streitkräfte im umkämpften Cherson mit Panzern und Artilleriegeschossen zu versorgen. 

Vor diesem Hintergrund wähnt der Militäranalyst und pensionierte General Mick Ryan die Russen vor "einem signifikanten Problem". Die beschädigte Brücke stoppe zwar nicht die Versorgung auf der Krim, gebe es noch den Wasserweg und eine Route durch Melitopol, "aber es macht es für die Russen noch wichtiger, Melitopol zu halten", kommentierte Ryan die Ereignisse auf Twitter.

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Twitter / X integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Auch das besetzte Melitopol gilt als wichtiger Nachschubweg für die russischen Streitkräfte – und ist umkämpft. Zuletzt hatte die Ukraine einen großen Militärstützpunkt in der Stadt zerstört. Es wird spekuliert, dass die Ukraine auch hier eine größere Gegenoffensive plant. 

"Die Brücke ist ein wichtiger Kanal für die russische Versorgung in der Ukraine und eine große Quelle von Putins Prestige", ordnete unterdessen Max Seddon, Leiter des Moskau-Büros der "Financial Times", den Vorfall ein. "Dies ist ein enorm schädlicher Schlag." 

Er veröffentlichte auf Twitter eine Karte, die seiner Ansicht nach veranschaulicht, "was für eine Katastrophe der Verlust der Brücke die russischen Kriegstanstrengungmn ist". Der russischen Armee bleibe damit nur noch eine große Landverbindung, so Seddon, um Truppen in Cherson und Saporischschja zu versorgen – die sich dort angesichts der ukrainischen Gegenoffensive bereits zurückziehen. 

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Twitter / X integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

"Krim. Die Brücke. Der Anfang"

Die Besatzungsbehörden auf der Krim kündigten an, den Verkehr über Fähren und über den zuletzt in der Ukraine besetzten Landkorridor sicherzustellen. Es drohten keine Versorgungsengpässe, hieß es in der Krim-Hauptstadt Simferopol. Der Chef des Krim-Parlaments, Wladimir Konstantinow, meinte, "ukrainische Vandalen" hätten die Brücke beschädigt. 

Von ukrainischer Seite gibt es bisher kein Bekenntnis zu einem Angriff auf die Brücke, wohl aber eine Reihe an triumphierenden und hämischen Kommentaren.

  • "Krim. Die Brücke. Der Anfang", schrieb der Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, bei Twitter. "Alles Illegale muss zerstört werden, alles Gestohlene muss an die Ukraine zurück." 
  • Der ukrainische Postchef Ihor Smyljanskyj kündigte sogar den Druck einer Sondermarke von der Brücke an. "Der Morgen war noch nie so ein schöner. Zu diesem Feiertag bringen wir eine neue Marke heraus mit der Krimbrücke – oder vielmehr mit dem, was von ihr übrig ist." 

Zuvor hatte die ukrainische Post schon eine Briefmarke des zerstörten Kreuzers "Moskwa" der russischen Schwarzmeerflotte herausgebracht, die als schwerer wie symbolträchtiger Schlag gegen die Invasoren galt. An Symbolkraft dürfte der Brand der Krim-Brücke das Sinken des Flaggschiffs noch übertreffen.

Das 19 Kilometer lange Bauwerk war im Mai 2018 von Kreml-Chef Putin persönlich eingeweiht worden, der damals demonstrativ als erster in einem Lastwagen an der Spitze einer Fahrzeugkolonne über die neue Brücke fuhr. Vier Jahre zuvor hatte Russland die Krim annektiert. Im Dezember 2019 folgte dann die Einweihung der Bahnverbindung über die Brücke – ebenfalls durch Putin persönlich. 

Somit ist die Brücke auch ein Symbol der Krim-Annexion – und die Explosion ein direkter "Treffer in das Herz von Wladimir Putins Prestige", meint Andrew Roth, Moskau-Korrespondent des "Guardian". "Er (Putin) zog in den Krieg, um Kiew einzunehmen, nur um festzustellen, dass er nicht einmal die Krim schützen kann."

An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Twitter / X integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Die Führung in Moskau hatte immer betont, die Brücke sei trotz der Militäroffensive in der Ukraine sicher – wohl auch vor dem Hintergrund, dass mehrfach zu Explosionen auf der Krim mit schweren Schäden gekommen ist, darunter auf Militärstützpunkten. 

Die ukrainischen Angriffe hatten Ängste bei den Einwohnern und Touristen der Krim geschürt, die sich bis dahin nicht unmittelbar mit dem Kriegsgeschehen konfrontiert sahen. Die Bilder von panischen Strandurlaubern auf der Flucht liefen nicht zuletzt der russischen Propaganda zuwider, wonach bei der "militärischen Spezialoperation" – wie der Krieg in Russland genannt werden muss – streng nach Plan verlaufe. 

Sehen Sie hier eine stern-Analyse zu den Explosionen auf der Krim: 

Explosionen auf Krim: stern-Experte zu Folgen für Ukraine und Putin
Explosionen auf Krim: stern-Experte zu Folgen für Ukraine und Putin
Was bedeuten die Krim-Explosionen für Putin? stern-Experte erklärt den ukrainischen Kampf hinter den Linien

Wie wird Russland nun reagieren? Der Kreml hatte immer wieder betont, dass ein Angriff auf die Krim-Brücke ein klares Überschreiten der roten Linie sei und drohte für den Fall mit Angriffen auf die Kommandozentralen in Kiew.

Schon jetzt wächst der Unmut unter den kremltreuen Kriegsbefürwortern, die unter dem Eindruck mehrerer Misserfolge für Russland weitreichende Konsequenzen fordern. Präsident Putin ordnete zunächst die Einrichtung einer Kommission an, die die Hintergründe des Vorfalls aufdecken soll. 

Quellen:  "The Guardian", CNN, "New York Times", BBC, mit Material der Nachrichtenagenturen DPA und AFP