Gasversorgung Warum sollte Wladimir Putin aufhören, den Westen in Unsicherheit zu wiegen?

Wladimir Putin Russland Präsident
Russlands Präsident Wladimir Putin: Virtuose an der Desinformationsfront
© Mikhail Kllimentyew/Sputnik / AFP
So wie es aussieht, wird wieder russisches Gas nach Deutschland fließen. Die Frage ist nur: wie lange? Und wieviel? Das bange Zittern ums Gas dürfte Kremlchef Wladimir Putin gefallen – Unberechenbarkeit ist seine effektivste Waffe.

Das Wort "Desinformation" stammt ursprünglich aus der Sowjetunion, es war der Geheimdienst KGB, der Anfang der 60er-Jahre erstmalig eine "Desinformazija"-Einheit gründete. Im Grunde geht es dabei darum, möglichst viele, gerne auch widersprüchliche Informationen über ein Thema in die Welt zu setzen. Ziel ist es, Verwirrung und Streit in der Zielgruppe zu stiften. Kaum eine Regierung beherrscht diese Kunst so virtuos wie die in Moskau, also allen voran: Wladimir Putin. Der frühere KGB-Mann und Kremlchef hat die Irreführung zur Staatsräson erhoben, wie das bange Warten auf Gaslieferungen zeigt.

Billiggas für Russlands Vasallen

Eigentlich war Russland jahrzehntelang ein äußerst treuer Energiepartner, selbst zu kältesten Kalte-Krieg-Zeiten strömte verlässlich Öl und Gas aus dem Osten nach Europa. Doch Mitte der 2000er begann die Führung in Moskau von sich selbst als "Energiesupermacht" zu träumen (O-Ton des Putin-Vertrauten Igor Schuwalow) und seine Superkraft auch politisch einzusetzen. Ergebenen Vasallen wie Weißrussland genehmigte der Staatskonzern Gazprom satte Rabatte, widerborstigen Regimen wie in der Ukraine wurde der Hahn abgedreht.

Grundsätzlich hat sich daran in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten nicht viel geändert. Außer, dass Russland mittlerweile offen Krieg in der Ukraine führt und Präsident Wladimir Putin seine Rohstoffe offen als Waffe einsetzt. Und auch nicht nur gegen ungehorsame Nachbarn, sondern gegen alle Staaten, die sich gegen den Krieg stellen. Zunächst verlangte Moskau Rubel statt der üblichen Euro für seine Gas-Lieferung und drehte allen Kunden, die sich dem Währungstausch verweigerten, den Hahn ab. Mitte Juni dann schickte Gazprom nur noch 40 Prozent der vereinbarten Gasmenge durch Nord Stream 1 nach Deutschland.

Die Turbine des Anstoßes

Als offizieller Grund wurde eine Turbine genannt, die in Kanada überholt wurde, aber wegen den Sanktionen nicht an Ort und Stelle zurück gelangen durfte. Ohne dieses Triebwerk fließe eben weniger Gas durch die Pipeline, hieß es von russischer Seite. So gut wie alle West-Beteiligten, etwa Hersteller Siemens und die deutsche Bundesregierung, halten die Turbinen-Ausrede für einen Vorwand, um den Druck zu erhöhen. Putin legte jetzt noch einmal nach und sagte, sollte Russland das Gerät nicht zurückerhalten, werde die Durchlasskapazität Ende Juli nochmals deutlich zu fallen. "Dann gibt es nur 30 Millionen Kubikmeter am Tag" – statt der theoretisch möglichen 170 Millionen Kubikmeter.

Scheinheilig verbindet der Kremlchef seine unverhohlene Drohung mit dem Verweis auf die ungenutzte Pipeline Nord Stream 2. "Wir haben noch eine fertige Trasse - das ist Nord Stream 2. Die können wir in Betrieb nehmen", sagte Putin laut der Nachrichtenagentur Tass. Zu Recht ist in der Bundesregierung die Rede von einem "plumpen Erpressungsversuch". "Das Thema Nord Stream 2 ist aus gutem Grund erledigt - und dieser Grund sitzt im Kreml. Mehr gibt es zu Putins neuerlicher Showeinlage gar nicht zu sagen", sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler.

Wo ist SGT-A65?

Theoretisch hängt nun also alles an einem Stück Technik mit den Namen SGT-A65. Wo es sich derzeit befindet, ist unklar, genauso wie der Umstand, ob nach Rückkehr der Turbine tatsächlich mehr Gas in deutschen Speichern ankommen wird. "Gazprom erfüllt seine Verpflichtungen, hat sie stets erfüllt und ist gewillt, weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen", sagte der russische Präsident kurz vor der geplanten Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 1. Doch was er sagt und was dann passiert sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

Vermutlich wird die Pipeline in den kommenden Tagen wie geplant ans Netz gehen, voraussichtlich mit der bereits angekündigten Kapazität von 40 Prozent. Anschließend könnte auch die Turbine SGT-A65 einsatzfähig sein und möglicherweise liefert Gazprom dann die zugesagten Energiemengen. Die Frage ist bloß für wie lange? Zwei Wochen? Anderthalb Monate? Ein halbes Jahr? Und wann "fällt" die nächste Turbine "aus"? Oder ein anderes Pipelineteil? Ersatzteile sind wegen den Sanktionen ohnehin nur schwer aufzutreiben. Und wer sagt denn, dass die Kanadier, indirekt Kriegsgegner, das Triebwerk überhaupt ordentlich gewartet haben?

Sicher ist nur: Es muss nicht einmal irgendetwas funktionieren. Weder beim Gas noch in anderen Bereichen, Unberechenbarkeit ist Putins effektivste Waffe. Er wird auf Vertragstreue pochen und gleichzeitig Details zu seinen Gunsten "interpretieren". Wie bei der Forderung, die Rechnung möge doch künftig bitte in Rubel statt in Euro beglichen werden. Er und seine Getreuen in den Moskauer Behörden und Energieunternehmen können nach Belieben den Gashahn auf- und zudrehen und dabei zusehen, wie Europa vor einer möglichen Versorgungskrise zittert. Es hilft nichts, Deutschland und der Westen müssen so schnell wie irgend möglich runter von der "Droge Russengas".