Joe Biden ist ein Risiko eingegangen, wie es amerikanische Präsidenten selten gewagt haben. Auch seine Vorgänger reisten in Kriegsgebiete, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump zum Beispiel in den Irak und nach Afghanistan. Sie alle vertrauten den amerikanischen Truppen vor Ort ihre Sicherheit an. Auf die konnten Joe Biden und seine Sicherheitsberater in der Ukraine nicht zählen, die Planungen für diesen Besuch dauerten Monate.
Und doch drängte Joe Biden zu diesem Besuch zum ersten Jahrestag des Krieges in der Ukraine.
Er reist in das Land in einem für ihn selbst entscheidenden Moment des Krieges, zu Hause und im Ausland. Einige Länder drängen schon die Ukraine dazu, mit Russland zu verhandeln, auch wenn das die Aufgabe von Gebieten bedeuten würde. In Deutschland spricht eine seltsame Allianz von Sarah Wagenknecht bis Alice Schwarzer immer lauter von der Aufnahme von Friedensverhandlungen. Und in den USA fordert der neue, republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, ein Ende des "Blankoschecks" für die Hilfsgelder an die Ukraine. Die Amerikaner scheinen immer kriegsmüder, nur noch 48 Prozent sind dafür, Waffen in die Ukraine zu liefern. Im Mai waren es noch 60 Prozent. Der rechte Flügel der Republikaner droht schon damit, keiner weiteren Hilfe mehr zuzustimmen.
Joe Biden beweist in Kiew Mut und Entschlossenheit
Noch allerdings hat Biden die Unterstützung der Mehrheit der Republikaner. Senator Lindsey Graham, ein republikanisches Schwergewicht, lobte Biden kürzlich sogar für seine Ukraine-Politik: "Er hat unsere nationalen Interessen in diesem Kampf gut zusammengebracht und klar gemacht, dass es gut für die Welt ist, wenn Russland keinen Erfolg hat", sagte er. Und schob die versteckte Drohung hinterher: "Das wird einer der entscheidenden Momente seiner Präsidentschaft."
Biden ist lange genug im Geschäft, er weiß um die Macht der Symbolik. Die Bilder aus Kiew zeigen einen starken amerikanischen Präsidenten, der jedes Risiko eingeht, um die westliche Allianz zu stärken. Diese Entschlossenheit hilft ihm wahrscheinlich in der Heimat, der Besuch in Kiew liefert die Bilder, die den Amerikanern klar machen sollen, warum es im amerikanischen Interesse ist, die Ukraine zu unterstützen.
Hier gibt Joe Biden wahrscheinlich seinem republikanischen Gegner Lindsey Graham recht: Es ist einer der entscheidenden Momente seiner Präsidentschaft.