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Recherche zu Kriegsverbrechen Diese illegalen Waffen setzt Russland offenbar im Ukraine-Krieg ein

Menschen überqueren zerstörte Brücke bei Irpin
Ukrainische Soldaten helfen einer Person beim Überqueren einer zerstörten Brücke bei der Stadt Irpin, nord-westlich von Kiew
© Aris Messinis / AFP
Streumunition, biologische Waffen und Sprenggeschosse ab einem bestimmten Gewicht – all diese Waffen haben eines gemein: Laut humanitärem Völkerrecht dürfen sie nicht in Kriegen eingesetzt werden. Das interessiert Russland aber offenbar kaum.

In Kriegen gelten Regeln. Und Russland ist bekannt dafür, diese zu brechen. Angriffe auf Zivilisten und die zivile Infrastruktur, Folter, Vergewatigungen, Hinrichtungen: Die Liste der russischen Gräueltaten ist lang. Um die Welt gingen brisante Bilder, etwa von Leichen auf den Straßen des Kiewer Vororts Butscha. Verbrechen wurden auch in den Vororten Irpin und Borodjanka dokumentiert (eine detallierte Dokumentation finden Sie hier). Jetzt wurde ein erster russischer Soldat wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig – aber es markiert den Beginn einer Aufarbeitung zahlreicher Verbrechen seit der russischen Invasion im Februar.

Kriegsverbrechen

Begeht eine Konfliktpartei ein Kriegsverbrechen, verstößt sie gegen das Kriegsrecht. Dieses ist wiederum Teil des Völkerrechts, das bereits 1899 und 1907 in den Haager Konventionen festgeschrieben und nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1949 durch die Genfer Konvention weiterentwickelt wurde. Demnach ist es unter anderem verboten, Zivilisten und Kriegsgefangene vorsätzlich zu foltern und zu töten. Im humanitären Völkerrecht ist auch festgeschrieben, welche Waffen eingeschränkt genutzt werden dürfen und welche verboten sind.

Menschenrechtsorganisationen aber auch UN- und EU-Ermittler sind an der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen beteiligt. In Deutschland ist unter anderem die Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen (ZVBK), die beim Bundeskriminalamt angesiedelt ist, damit beschäftigt, Zeugenaussagen sowie Bild- und Videomaterial auszuwerten. Vor Ort gehen auch Journalisten Hinweisen auf Kriegsverbrechen nach. Der britische "Guardian" hat sich mit den von Russland eingesetzten Waffen beschäftigt. Das Ergebnis: Einige werden illegal eingesetzt. Ein Überblick:

FAB-250

Nach Recherchen der britischen Journalisten warfen russische Streitkräfte in der Nacht zum ersten März mehrere 250 Kilo schwere Bomben über Borodjanka nördlich von Kiew ab. Diese sogenannten FAB-250 Bomben stammen noch aus Sowjetzeiten und sollen eigentlich nur zum Angriff militärischer Ziele, feindlicher Befestigungen und Bunker eingesetzt werden. In der 13.000 Seelen großen Siedlung Borodjanka fanden sich aber keine derartigen Ziele. Stattdessen trafen die Bomben fünf Wohnhäuser. Nach dem russischen Truppenabzug aus der Region hinterließen die Invasoren zerstörte Gebäude und zahlreiche Tote. Es ist davon auszugehen, dass Zivilisten durch die Bombenanschläge ums Leben kamen.

FAB-250-Bomben
Sukhoi Su-34-Kampfflugzeuge setzen hochexplosive FAB-250-Bomben während einer Aufführung ab. Bei der FAB-250 handelt es sich um eine ungenaue, aus der Luft abgeworfene Bombe, die größtenteils von der ehemaligen Sowjetunion in ihrem Krieg in Afghanistan und von Russland in Syrien eingesetzt wurde
© Sergei Bobylev / Picture Alliance

Nach Informationen des "Guardian" setzte Russland die FAB-250-Bomben auch in Butscha und Hostomel ein. Acht Gebäude sollen mithilfe dieser Waffe zerstört und Hunderte Menschen getötet worden sein. Die FAB-250-Bomben hatte Russland bereits 2015 im Syrien-Krieg eingesetzt. Die zerstörten Häuser ähneln laut "Guardian" jenen in in Butscha, Borodjanka und Hostomel.

Fléchettes

Besonders heimtückisch sind Fléchettes. Der "Guardian" berichtete bereits im April unter Berufung auf Pathologen und Gerichtsmediziner vor Ort von winzigen Metallpfeilen in den Schädeln und Torsos von Dutzenden Opfern. Die winzigen Metallspitzen, sogenannte Fléchettes, wurden bereits in den Weltkriegen und im Vietnamkrieg eingesetzt und gelten als besonders brutal. Dringen sie in den Körper ein, verändern sie durch die Wucht beim Aufprall ihre Form oder brechen auseinander. Es entstehen gleich zwei Projektile mit jeweils einem Wundkanal, der dem Opfer Schäden zufügt. Allerdings fallen sie nicht unter die Genfer Konvention und sind weiterhin erlaubt. Problematisch wird es allerdings, wenn die Pfleilmunition in städtischen Gebieten eingesetzt wird und zivilie Opfer fordert.

Streumunition

Nach Recherchen des investigativen Netzwerks Bellingcat, wurden nach dem russischen Truppenabzug aus der Region Kiew Hinweise auf Streumunition entdeckt. Dabei handelt es sich um Granaten oder Bomben, die selbst kleinere Munition freisetzen. Diese wurde auf den Straßen, in zivilen Einrichtungen und bei zahlreichen Leichen entdeckt. In mehr als 100 Ländern wird diese Waffe gemäß der Genfer Konvention, als Streumunition bezeichnet. Ausnahmen bilden Russland, die USA und die Ukraine. Laut Genfer Konvention ist der Einsatz von Streumunition verboten. Problematisch auch in diesem Fall: Russland hat die Waffe in ziviler Umgebung eingesetzt – obwohl das Land seit Kriegsbeginn bestreitet, Zivilisten anzugreifen.

Streumunition ist dazu gedacht, sich weiträumig zu verteilen. Allerdings explodiert nicht jede Bombe, was ein zusätzliches Risiko für Zivilisten bedeutet. Bilder von Autos, die der "Guardian" veröffentlicht hat und die den Angaben zufolge von Experten geprüft wurden, weisen die für Streubomben charakteristische Löcher auf. Ermittler vor Ort bestätigten dem britischen Blatt, dass zahlreiche Zivilisten in Borodjanka durch Streubomben ums Leben kamen.

Welche Waffen sind verboten?

So grausam es klingt: In Kriegen sterben Zivilisten – die Toleranz bei Kollateralschäden ist relativ hoch. Das Völkerrecht dient allerdings dazu, das in Konflikten verursachte Leid zu mindern. Damit wird auch der Einsatz von Waffen reglementiert. In den ersten Verträgen, die 1868 abgeschlossen wurden, wurde etwa der Einsatz von Sprenggeschossen von weniger als 400 Gramm festgehalten. Seit 1925 ist die Verwendung von Giftgasen und bakteriologischen Waffen laut Genfer Protokoll geächtet. Dieses wurde Anfang der 1970er Jahre erweitert. Gemäß dem Bio- und Chemiewaffenübereinkommen ist die Herstellung, der Erwerb, die Lagerung und der Einsatz solcher Waffen verboten. Sie müssen vernichtet werden.

Seit 1980 dürfen zudem keine Waffen eingesetzt werden, die durch Splitter verwunden und mittels Röntgenstrahlen nicht mehr im menschlichen Körper nachzuweisen sind. Damit können auch Brandwaffen, Landminen und Sprengfallen nur noch eingeschränkt verwendet werden. 2008 folgte schließlich ein Übereinkommen über Streumunition, das 107 Staaten ratifizierten. Atomwaffen sind trotz ihrer Zerstörungskraft völkerrechtlich nicht verboten. Allerdings hat der Internationale Gerichtshof deren Einsatz zum Verstoß gegen die "allgemeinen Grundsätze und Bestimmungen des humanitären Völkerrechts" erklärt.

Quellen: "The Guardian", "Der Spiegel", Internationales Komitee vom Roten Kreuz,

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