Kroatien "Geiselhaft" wegen Gotovina

Zum Volksheld wurde Ante Gotovina, als er 1995 die Krajina zurückeroberte. Ausgerechnet der vom UN-Tribunal gesuchte Ex-General ist nun der Grund, warum die EU die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien ausgesetzt hat.

Die Staaten des westlichen Balkans werden mittelfristig der Europäischen Union beitreten, das steht außer Frage. Für Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Serbien-Montenegro, Mazedonien und Albanien ist die Tür offen - das haben die Staats- und Regierungschefs im Juni 2003 auf einem Balkangipfel deutlich gemacht. Und das Versprechen hat in der krisengeschüttelten Region bereits einiges bewirkt. Der Balkan ist zwar noch nicht wirklich befriedet, aber spürbar stabiler geworden.

Und das ist auch der Europäischen Union zu verdanken. Selbst in Belgrad zog in den vergangenen Jahren die Einsicht ein, dass es für Serbien keine Alternative zur Europäischen Union gibt. Das hat Außenminister Vuk Draskovic erst am Dienstag bei einem Besuch in Brüssel deutlich gemacht. Kroatien ist das Land, das auf dem Weg in die EU am weitesten fortgeschritten ist. Am 21. Februar 2003 beantragte das Land den EU-Beitritt.

Pressestimmen

"Der Standard", Wien: (...) "Zagrebs proeuropäische Regierung kann sich nur langsam von den Machtstrukturen im Geheimdienst befreien, wo nationalistische Kader aus der autoritären Tudjman-Ära dominieren. Vielleicht ist der Schlag ins Gesicht aus Brüssel sogar ein Befreiungsschlag, der es Sanader ermöglicht, das Netzwerk im Geheimdienst zu zerreißen." (...)

"The Guardian", London: "Die Entscheidung ist unausweichlich - und richtig. Sie wird die Regierung in Zagreb enttäuschen, die auf grünes Licht für den Beginn der Beitrittsverhandlungen gehofft hatte. Aber sie muss sich allein die Schuld geben. (...) Kroatiens Regierungschef Ivo Sanader hat davor gewarnt, dass die Verbindung der Erweiterung mit Gotovina eine anti-europäische Rückwirkung erzeugen könnte. Wenn dies so ist, dann soll es so sein. Die Mitgliedschaft in der EU erfordert die Beachtung fundamentaler Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. (...) Kroatien muss sich seiner Vergangenheit stellen, bevor es sich einer europäischen Zukunft erfreuen kann."

Herber Rückschlag für Zagreb

Ministerpräsident Ivo Sanader hatte selbstbewusst das Ziel ausgegeben, die Mitgliedschaft bis 2007 zu erreichen. Dieses Vorhaben erlitt am Mittwoch einen herben Rückschlag. Die Regierung in Zagreb wurde von ihrer eigenen Geschichte eingeholt. Der Krieg ist zehn Jahre her, geheilt sind die Wunden noch nicht. Denn ausgerechnet ein vom UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien gesuchter Exgeneral ist der Grund, warum die EU den für Donnerstag geplanten Beginn von Beitrittsverhandlungen ausgesetzt hat.

Es ist das erste Mal, dass die EU in so spektakulärer Weise einen wichtigen Termin platzen lässt. Der EU liegen nach Auskunft von Diplomaten hinreichende Beweise vor, dass die Regierung in Zagreb den gesuchten General Ante Gotovina deckt. Brüssel stützt sich dabei vor allem auf Informationen von UN-Chefanklägerin Carla del Ponte. Diplomaten betonen aber, dass Del Ponte nicht die einzige Quelle ist. Sanader indes dementiert beharrlich, dass seine Regierung den Aufenthaltsort Gotovinas kenne.

Möglich scheint, dass sich der General in den kroatischen Teil Bosniens abgesetzt hat. So genau weiß aber offenbar niemand, wo sich der heute 49-Jährige aufhält. Neben der kroatischen besitzt Gotovina auch die französische Staatsbürgerschaft. Einst Mitglied der französischen Fremdenlegion trat er 1990 in die kroatische Armee ein. 1992 wurde er zunächst zum Brigadegeneral, 1994 zum Generalmajor ernannt. Zum Volksheld wurde er, als er 1995 die Krajina zurückeroberte.

Davon unbeeindruckt klagte das Haager UN-Tribunal Gotovina 2001 wegen Kriegsverbrechen an. Gotovina soll für den Tod von 150 Serben und die Vertreibung von 150.000 Menschen während der kroatischen Offensive verantwortlich sein. Ebenfalls 2001 unterzeichnete Kroatien ein EU-Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, ein erster Schritt des Landes auf dem Weg einer Mitgliedschaft in der Union. Vier Jahre später blockiert der Exgeneral eine weitere Annäherung.

"Frage der Fairness"

Drei Stunden lang, viel länger als erwartet, ging es in der Brüsseler Ministerrunde teilweise hoch her. Als Sloweniens Außenminister Dimtrij Rupel erregt rief: "Lasst uns keine neue Mauer zwischen Kroatien und der EU errichten", fuhr Asselborn dazwischen: "Von einer Mauer kann gar keine Rede sein." Als "Frage der Fairness" bezeichnete Österreichs Außenministerin Ursula Plassnik das von ihr geforderte Festhalten am Verhandlungstermin, für das sich auch Ungarn, Slowenien und die Slowakei stark machten.

Doch die Gegenargumente - vor allem von Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark und Schweden ins Feld geführt - überwogen. Dabei ging es nicht nur darum, dass Del Ponte detailliert dargelegt hatte, dass Gotovina "in Reichweite" der kroatischen Behörden ist oder zumindest war. Auch die Geheimdienste mehrerer EU-Staaten hatten ihren Regierungen signalisiert, Gotovina sei keineswegs unauffindbar. Sanaders Vorschlag, eine EU-Beobachtermission nach Kroatien zu entsenden, sei keine Lösung. Immer wieder machten vor allem Briten, Finnen und Dänen darauf aufmerksam, es gehe nicht nur um Gotovina, sondern auch um dessen "Unterstützernetzwerk".

Mit ihrer Entscheidung hatte die EU kaum eine Wahl. Die Staats- und Regierungschefs hatten im Dezember beschlossen, die Verhandlungen mit Kroatien aufzunehmen, insofern das Land uneingeschränkt mit dem Haager Tribunal zusammenarbeitet und für die Auslieferung Gotovinas sorgt. Seitdem war klar, dass die Gespräche nicht beginnen können, bevor der General festgenommen ist.

Signal an andere Balkan-Staaten

Dass die EU an dieser Linie festhält, sehen viele als richtiges Zeichen an die anderen Länder des westlichen Balkans, vor allem Bosnien-Herzegowina und Serbien-Montenegro. Denn dort werden die beiden meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher vermutet, der frühere Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und der frühere bosnisch-serbische General Ratko Mladic.

Kaum vorstellbar wäre, wenn die EU mit diesen Ländern verhandeln würde, ohne dass beide nach Den Haag überstellt wären. Und was für Bosnien und Serbien gilt, muss auch für Kroatien gelten - so argumentiert die EU. Die Regierung in Zagreb wird nun alles daran setzen müssen, Gotovina ausfindig zu machen und nach Den Haag zu überstellen. Erst dann ist die Tür zur EU wieder offen.

AP
Alexander Ratz/AP