Großbritannien Liz Truss patzt im Rennen um die Johnson-Nachfolge. Nur scheint es niemanden zu kümmern

Liz Truss, Außenministerin von Großbritannien und Bewerberin für den Tory-Parteivorsitz
Liz Truss, Außenministerin von Großbritannien und Bewerberin für den Tory-Parteivorsitz
© Joe Giddens / AFP
Sie will britische Premierministerin werden – und sie hat einen Lauf: Selbst "widerwärtige" Aussagen und unangenehme Kehrtwenden im Wahlkampf bringen Liz Truss offenbar nicht ins Stolpern. 

Was soll sie noch aufhalten? Diese Frage scheint sich einer Antwort zu verweigern, nicht zuletzt für Rishi Sunak. 

Sunak, 42, früherer Finanzminister von Großbritannien, will der nächste Premierminister des Vereinigten Königreichs werden. Mit seinem Rücktritt aus dem Kabinett von Boris Johnson hatte er dessen skandalgeplagter Amtszeit vielleicht den entscheidenden Schlag verpasst. Nun will er der neue Hausherr der 10 Downing Street werden. Wäre da nicht noch eine weitere Interessentin an der Immobilie.

Liz Truss, 47, amtierende Außenministerin und Rivalin von Sunak, bietet ebenfalls mit. Und beinahe gewinnt man den Eindruck, dass es praktisch völlig egal ist, ob sich die Mitbewerberin verzockt. Es läuft, so oder so.

  • Truss liegt in den Umfragen unter Konservativen weit vorn, also letztlich bei den schätzungsweise 160.000 bis 200.000 Tory-Mitliedern, jenen überschaubaren 0,3 Prozent der gesamten britischen Wählerschaft, die über den nächsten Parteivorsitz und damit neuen Premierminister abstimmen.
  • Die konservativen Medien sind ihr wohlgesonnen, besonders die "Daily Mail" oder der "Daily Telegraph", die tagtäglich Hunderttausende Leser erreichen, favorisieren sie derzeit.
  • Und nicht zuletzt haben sich schon zahlreiche (Ex-)Kabinettsmitglieder Johnsons hinter ihr versammelt, jüngst Ex-Gesundheitsminister Sajid Javid, der einst selbst im Rennen um den Parteivorsitz war. 

Eigentlich darf sie sich nur keine Patzer leisten, so scheint es jedenfalls, um als Siegerin durchs Ziel zu gehen, etwa auf Wahlkampfveranstaltungen oder in den TV-Duellen, die Truss und Sunak derzeit vor der Nation austragen.

Tja.

Zuletzt hat die Favoritin auf das Amt dann doch Federn lassen müssen, ist mit "widerwärtigen" Aussagen aufgefallen und hat eine Kehrtwende im Wahlkampf vollziehen müssen, nachdem sie für ihre Vorschläge scharfe Kritik einstecken musste.

Liz Truss bleibt Favoritin im Rennen um Johnson-Nachfolge

Die Beziehungen zwischen Schottland und der britischen Regierung sind ohnehin angespannt. Nach abfälligen Äußerungen von Truss über die schottische Regierungschefin dürfen sie mindestens als belastet gelten. "Das Beste ist, Nicola Sturgeon zu ignorieren", hatte Truss bei einer Wahlkampfveranstaltung der Tory-Partei gesagt und der Regierungschefin vorgeworfen, sich mit ihren Forderungen nach einer Unabhängigkeit Schottlands "aufmerksamkeitsheischend" zu verhalten. 

Sturgeons Stellvertreter John Swinney nannte Truss' Äußerungen "völlig und absolut unannehmbar". Die Menschen in Schottland seien "über die widerwärtigen Äußerungen von Truss absolut entsetzt". Sturgeon genieße viel mehr demokratische Legitimität als Truss, sollte sie Premierministerin werden. Swinney bezog sich damit auf den Umstand, dass nur ein Bruchteil der gesamten Wählerschaft über den neuen Vorsitz der Partei und damit über das Amt des Premierministers entscheiden wird.

Für Ärger sorgten auch Truss' Pläne, die Gehälter von Angestellten im öffentlichen Dienst mit Sitz außerhalb von Londons zu kürzen, weil es im öffentlichen Sektor "Verschwendung" gebe. Nach kollektiver Kritik von Parteimitgliedern, Experten und Gewerkschaften kassierte sie ihren Vorschlag. Sie hatte offenbar nicht bedacht, dass auch Polizisten, Krankenschwestern und Lehrer weniger verdienen würden – bei steigenden Lebenshaltungskosten.

Für die Kehrtwende musste sich Truss auch in einem TV-Duell am Donnerstagabend rechtfertigen. Zwar wiederholte sie dabei ihren Vorwurf, ihre Pläne seien von Medien falsch wiedergegeben worden. Allerdings räumte sie auch ein, das Vorhaben nach "Bedenken" nicht weiter verfolgen zu wollen. "Es war nicht die richtige Maßnahme", so Truss auf Nachfrage. Aber ein Punktsieg für Kontrahent Sunak: Eine klare Mehrheit der Zuschauer im Studio, eingeladen waren Mitglieder der konservativen Tory-Party, hob bei einer Abstimmung zum Ende der Sendung mehrheitlich die Hand für ihn. 

Nur: Das alles scheint Truss (noch) nicht zu schaden.

In der konservativen Wählerschaft liegt sie immer noch um Längen vor ihrem Kontrahenten. In einer Umfrage von "Convervative Home" vom Donnerstag gaben 58 Prozent der Befragten an, für Truss stimmen zu wollen, lediglich 26 Prozent sprachen sich für Sunak aus. Zwei Tage zuvor sah auch eine Erhebung von "YouGov" Truss (60 Prozent) weit vor Sunak (26 Prozent).

Bis zum 2. September können die Mitglieder der Tory-Partei noch per Briefwahl oder Online ihre Stimmen abgeben, das Ergebnis soll drei Tage später bekannt gegeben werden. Geschlagen geben will sich Sunak jedenfalls nicht. "Ich kämpfe für etwas, an das ich wirklich glaube", sagte er beim TV-Duell, er wolle bei dieser Wahl weiterhin um jede Stimme kämpfen. Und veröffentlichte auf Twitter zahlreiche Clips vom Schlagabtausch, der zu seinen Gunsten ausging. Er will Liz Truss aufhalten, so viel ist gewiss.