Lukaschenko setzt weiter auf Gewalt Weißrusslands Wahl ohne Wahl

Nach der Präsidentenwahl in Weißrussland sinkt die Hoffnung auf demokratische Reformen. Sieben von neun Gegenkandidaten und hunderte Demonstranten sind festgenommen worden.

"Wir stürmen das Regierungsviertel", lautet die knappe SMS. Dann bricht der Kontakt ab. Auch am Montag noch ist das Schicksal der jungen Frau ungewiss, die am Sonntagabend in der weißrussischen Hauptstadt Minsk "gegen Wahlfälschungen und die Willkürherrschaft des Präsidenten" demonstriert hat. Möglicherweise gehört sie zu den hunderten Festgenommenen, über die unabhängige Beobachter am Montagmorgen berichten. In der Nacht nach der Präsidentenwahl war die Lage in Minsk eskaliert. Der seit 16 Jahren in Weißrussland mit eiserner Faust regierende Alexander Lukaschenko war seinem Ruf als "letzter Diktator Europas" einmal mehr gerecht geworden.

"Sieben von neun Oppositionskandidaten sind inhaftiert", sagt ein leitender Redakteur der unabhängigen Nachrichtenagentur Belapan im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd. Andere Quellen berichten, dass die wichtigsten Lukaschenko-Herausforderer - Wladimir Nekljajew, Andrej Sannikow, Witali Rymaschewski und Nikolai Statkjewitsch - vom Geheimdienst KGB an unbekannte Orte verschleppt worden seien. Nekljajew und einige seiner Gefolgsleute waren am Sonntagabend krankenhausreif geprügelt worden. Rymaschewski erlitt Kopfverletzungen, als die aufgebrachte Menge versuchte, die Zentrale Wahlkommission im Regierungsviertel in Minsk zu stürmen. Spezialeinheiten des Innenministeriums lösten die Kundgebung schließlich unter massivem Gewalteinsatz auf.

Rund 20.000 Demonstranten waren am Sonntagabend ins Zentrum von Minsk geströmt, um gegen das in ihren Augen eklatant gefälschte Ergebnis der Präsidentenwahl zu protestieren. Die regimetreue Wahlkommission hatte dem Amtsinhaber 79,67 Prozent der Stimmen zugesprochen. Unabhängige und oppositionsnahe Demoskopen ermittelten dagegen Zahlen zwischen 30 und 40 Prozent für Lukaschenko. Er hätte demnach in eine Stichwahl gegen Nekljajew gehen müssen, der diesen Umfragen zufolge auf 10 bis 15 Prozent kam.

"Weißrussland ist noch lange nicht am Ziel"

Aus Kreisen der Wahlbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verlautete noch vor der ersten offiziellen Stellungnahme, der Wahlkampf habe deutliche Fortschritte gegenüber der als unfair und unfrei kritisierten Abstimmung 2006 offenbart. Doch dann erteilte einer der Leiter der OSZE-Mission, Tony Lloyd, der Wahl eine heftige Mängelrüge: die Stimmenauszählung sei nicht transparent gewesen und die gewaltsame Auflösung einer Oppositionskundgebung am Wahlabend sowie die Verhaftung von sieben Kandidaten und mehreren hundert Demonstranten dabei nicht akzeptabel. "Das Volk Weißrusslands hat Besseres verdient", sagte Lloyd. Der deutsche OSZE-Beobachter Georg Schirmbeck hatte sich zuvor in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" noch positiver geäußert, aber auch da schon eingeschränkt: "Weißrussland ist noch lange nicht am Ziel."

Die Europäische Union hatte im Vorfeld der Wahl angekündigt, ihre weitere Politik gegenüber Weißrussland von der Einhaltung demokratischer Standards bei der Präsidentenwahl abhängig zu machen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hatte den Urnengang noch am Wochenende zu "einem wichtigen Gradmesser für die künftige Ausrichtung des Landes" erklärt. Nach der Eskalation am Wahlabend äußerte er sich besorgt. Das Vorgehen der Staatsmacht sei "nicht akzeptabel", sagte er. Deutlich schärfer verurteilte der Präsident des Europaparlaments, der Pole Jerzy Buzek, den Gewalteinsatz. Die "feigen Attacken werfen das schlechtestmögliche Licht auf die Präsidentenwahl", sagte Buzek noch in der Nacht zum Montag.

Nach Jahren der Isolation und der Konfrontation hatten sich Minsk und Brüssel in den vergangenen Monaten vorsichtig angenähert. Nachdem Lukaschenko im Streit um Energiepreise und den Gastransit seinen Rückhalt in Moskau verloren zu haben schien, zeichnete sich eine Öffnung zum Westen ab. Bei einem Besuch in Minsk stellten Bundesaußenminister Westerwelle und sein polnischer Amtskollege Radoslaw Sikorski Lukaschenko vor wenigen Wochen Finanzhilfen in Aussicht, sollte es demokratische Fortschritte in Weißrussland geben. Um der EU seine Demokratiefähigkeit zu signalisieren, gewährte Lukaschenko seinen Herausforderern im Wahlkampf ungekannte, wenn auch kontrollierte Freiheiten. So durften die Kandidaten mehrfach unzensiert in den Massenmedien des Landes auftreten. Die Wahlkommissionen aber blieben zu 99,75 Prozent mit Vertretern der Staatsmacht besetzt.

Kurz vor der Präsidentenwahl kittete Lukaschenko zudem sein Zerwürfnis mit dem Kreml. In einem Gespräch mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew einigten sich beide Seiten hinter verschlossenen Türen auf die künftige Zusammenarbeit. Diese Übereinkunft interpretierte Lukaschenko allem Anschein nach als Freibrief für das harte Vorgehen am Wahltag. Ohne die Furcht, sein Wahlsieg könnte vom Kreml nicht anerkannt werden, schwand augenscheinlich der Druck, dem Westen entgegenzukommen. Forderungen der Europäischen Union nach einer Abschaffung der Todesstrafe in Weißrussland wies Lukaschenko zurück. Unter diesen Vorzeichen sehen Beobachter keine Chance für die Opposition, die ihre Demonstrationen in Minsk fortsetzen will, Veränderungen durchzusetzen.

dapd
Ulrich Krökel, DAPD