Bundespräsident Christian Wulff hat sich entschieden gegen Gedankenspiele über einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gewandt. "Großbritannien ist und bleibt ein großer Gewinn", sagte Wulff am Samstag während eines Besuches in der omanischen Hauptstadt Maskat.
Der Bundespräsident fügte hinzu: "Wir sollten wissen, was Europa bedeutet und nie darüber spekulieren, Europa zu verkleinern. Unser Weg in die Welt führt über dieses Europa. Auch große Probleme muss man gemeinsam lösen." Er hoffe, dass dies weiter Konsens bleibe.
Wulff mahnte weiter, die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich, Italien und England seien "tragende Säulen in der EU". Europa habe immer verstanden, aus einer Krise eine Chance zu machen. "Diese Hoffnung gebe ich nicht auf", unterstrich Wulff. Er hoffe auch, dass die britischen Bedenken zu überwinden seien. Man solle jedenfalls in der jetzigen Situation sensibel mit der britischen Regierung kommunizieren.
"Wir sind eine große Familie in Europa, mit gegenseitiger Verantwortung. Wir Deutschen werden uns dem nie entziehen", betonte der Präsident. Deutschland und Europa seien zwei Seiten einer Medaille.
EU-Politiker nähren Spekulationen über Briten-Austritt
Zuvor hatte der designierte Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), ein Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union ins Spiel gebracht. "Ich habe Zweifel, ob Großbritannien langfristig in der EU bleibt", sagte Schulz der "Bild am Sonntag." Noch nie sei Großbritannien in der EU so isoliert gewesen. Beim Euro-Krisengipfel in Brüssel habe der britische Premierminister David Cameron "ein gigantisches Eigentor" geschossen.
Die EU-Gegner im eigenen Land würden jetzt Druck auf Cameron ausüben, ganz aus der EU auszusteigen, meinte Schulz, der derzeit noch Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament ist. Einen Austritt Großbritanniens halte er indes für verkraftbar: "Die EU kann notfalls ohne Großbritannien, aber Großbritannien hätte größere Schwierigkeiten ohne die EU."
Kritik an der britischen Weigerung, einer Fiskalunion beizutreten, übte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Deutschen Bundestag, Gunther Krichbaum. Auch er brachte einen Austritt Londons ins Gespräch. Der Vertrag von Lissabon lasse "ausdrücklich alle Möglichkeiten offen, auch den Austritt eines Landes". Die Briten müssten sich nun entscheiden, ob sie für oder gegen Europa seien.
Wirtschaft lobt Gipfelbeschlüsse
In Wirtschaftskreisen sind die Beschlüsse des Brüsseler Euro-Krisengipfels auf ein positives Echo gestoßen. "Es ist der erste der europäischen Krisengipfel, nach dem die Finanzmärkte nicht sagen werden: Zu wenig und zu spät", sagte Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer der "Passauer Neuen Presse". Es sei auch der erste Gipfel gewesen, der nicht aktuelles Krisenmanagement betrieben, sondern nach vorne geschaut habe.
"Die neue Fiskalarchitektur stellt einen Qualitätssprung dar", lobte Mayer, schränkte aber ein: "Die weniger gute Nachricht ist, dass völlig unklar ist, wie der Weg bis dahin aussieht."
Auch der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz sprach von einem Weg in die richtige Richtung. Die Länder müssten jetzt nicht nur auf einen soliden Kurs der Haushaltskonsolidierung einschwenken, sondern auch ihre Wirtschaftskraft mit durchgreifenden Reformen stärken, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates dem "Südkurier".
Schäuble nach EU-Gipfel optimistisch
Mit den aktuellen Beschlüssen hat die Euro-Zone Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zufolge gute Chancen, die Schuldenkrise zu bewältigen. Er sei sicher, dass mit den vereinbarten, weitreichenden Maßnahmen zur institutionellen Reform der Europäischen Währungsunion die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen sei, schrieb Schäuble in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin "Focus". Wenn die Europäer es schafften, gemeinsam zu handeln, könne die Globalisierung in ihrem Sinne beeinflusst werden und so auch gemeinsame, verbindende Werte verteidigt werden. "Leider kommt dieser überragende Aspekt - der Euro als Ausprägung der europäischen Integration - in den täglichen Diskussionen über Rettungsschirme, Renditen und Ratings oftmals zu kurz."
Der EU-Gipfel hatte am Freitag einen beispiellosen neuen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin vereinbart. Weil Großbritannien diesen allerdings nicht mitträgt, erreichten Deutschland und Frankreich ihr Ziel bei dem Spitzentreffen in Brüssel nur zum Teil.
Beim neuen Euro-Pakt sind die 17 Euroländer an Bord, hinzu kommen bis zu 9 weitere Nicht-Euroländer. Der Vertrag soll Anfang März unterschrieben werden. Zudem soll der ständige Rettungsmechanismus ESM vorgezogen, allerdings nicht aufgestockt werden. Damit soll die Schuldenpolitik der Vergangenheit beendet werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) setzte bei dem zweitägigen Krisentreffen mehrere Kernforderungen wie eine Verankerung von Schuldenbremsen in den Eurostaaten und automatische Sanktionen gegen Defizitsünder durch. Sie sprach von einem Durchbruch.
Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte das Ergebnis als geschichtsträchtig. "Natürlich ist es bedauerlich, dass nicht alle Länder mitmachen", räumte Westerwelle in Lissabon nach einem Treffen mit seinem portugiesischen Amtskollegen Paulo Portas ein. Jeder in Europa solle aber wissen, dass "wir an die Zukunft Europas glauben und dass wir an der Zukunft Europas arbeiten".