Schock für die Bundeswehr am neunten Jahrestag des Kriegsbeginns in Afghanistan: Ein Selbstmordattentäter der Taliban hat am Donnerstag in der Unruheprovinz Baghlan einen deutschen Soldaten in den Tod gerissen und sechs weitere teils schwer verletzt. Damit stieg die Zahl der toten Bundeswehrsoldaten seit Beginn des Einsatzes auf 44. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem "feigen Anschlag". Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ließ aber keinen Zweifel an der Notwendigkeit des Einsatzes.
Bei dem Getöteten handelt es sich um einen 26-jährigen Oberfeldwebel vom Fallschirmjägerbataillon 313 aus dem niedersächsischen Seedorf, wie das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam am Abend mitteilte. Die Angehörigen seien informiert worden. Drei der Verwundeten würden noch im Feldlazarett in Masar-i-Scharif behandelt. Es bestehe aber keine Lebensgefahr. Die anderen drei seien wieder bei ihren Einheiten.
44 tote Bundeswehrsoldaten in Afghanistan
Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes Anfang 2002 sind 44 Bundeswehrsoldaten ums Leben gekommen.
Die schwersten Fälle:
6. März 2002: Zwei deutsche und drei dänische Soldaten sterben in Kabul beim Entschärfen einer Flugabwehrrakete.
21. Dezember 2002: Sieben deutsche Soldaten sterben bei einem Hubschrauberabsturz in der afghanischen Hauptstadt.
29. Mai 2003: Ein Soldat stirbt, als ein Fahrzeug in Kabul auf eine Mine fährt.
7. Juni 2003: Bei einem Attentat eines Selbstmordkommandos auf einen deutschen Militärbus werden vier Bundeswehrsoldaten getötet.
25. Juni 2005: Zwei Bundeswehrsoldaten sterben bei einer Munitionsexplosion in Rustaq.
14. November 2005: Ein Soldat stirbt, als ein Geländewagen in Kabul nahe einer UN-Einrichtung von einem Selbstmordattentäter angegriffen wird.
19. Mai 2007: Bei einem Selbstmordanschlag auf einem belebten Markt in Kundus werden drei Bundeswehrsoldaten getötet.
6. August 2008: Drei Soldaten werden bei Kundus durch einen Selbstmordanschlag verletzt. Einer von ihnen stirbt an den Spätfolgen.
27. August 2008: Nahe Kundus fährt ein Bundeswehrfahrzeug in eine Sprengfalle. Ein Soldat erliegt seinen Verletzungen.
20. Oktober 2008: Bei einem Selbstmordanschlag bei Kundus sterben zwei Bundeswehrsoldaten sowie fünf Kinder.
29. April 2009: Zwei Anschläge nahe Kundus binnen weniger Stunden. Erstmals stirbt ein deutscher Soldat bei einem direkten Feuergefecht mit den Taliban.
23. Juni 2009: Im Rahmen einer gemeinsamen Operation deutscher und afghanischer Sicherheitskräfte gerät die Bundeswehr sechs Kilometer südwestlich von Kundus in ein Feuergefecht, drei Soldaten sterben.
2. April 2010: Die Bundeswehr wird beim Räumen von Sprengfallen bei Kundus von Taliban angegriffen und in mehr als zehnstündige Kämpfe verwickelt. Drei Soldaten fallen.
15. April 2010: In der südlichen Nachbarprovinz von Kundus wird nahe Baghlan eine Patrouille angegriffen. Vier Soldaten sterben.
7. Oktober 2010: Bei einem Selbstmordanschlag auf die deutsche ISAF-Einheit nördlich des Regionalen Wiederaufbauteams in Pol-e Khomri in der Provinz Baghlan stirbt ein Soldat.
Die Bundeswehrpatrouille hatte den Auftrag, eine Zufahrtsstraße in der Nähe der Provinzhauptstadt Puli Khumri zu sichern, als sie von dem Selbstmordattentäter angegriffen wurde. Nach Angaben des Provinzgouverneurs zündete der Täter den an seinem Körper befestigten Sprengstoff gleich neben dem deutschen Konvoi. Die radikal-islamischen Taliban bekannten sich zu der Tat und erklärten, der Attentäter habe acht ausländische Soldaten mit in den Tod gerissen. Angaben der Aufständischen sind in der Regel aber stark übertrieben.
Nach dem Anschlag wurde die Patrouille mit Mörsern und Handfeuerwaffen angegriffen. Das Gefecht zog sich über mehrere Stunden hin. Erst bei Einbruch der Dunkelheit endeten die Kämpfe.
"Dieser barbarische Akt richtet sich nicht nur gegen uns"
Keine zwei Stunden nach dem Anschlag informierte Guttenberg in einer Bundestagssitzung zum Thema Versorgung von verwundeten und traumatisierten Soldaten über die Attacke. Er sprach von einer sehr traurigen Nachricht, verteidigte aber gleichzeitig den Einsatz am Hindukusch. Er diene auch der Sicherheit in Deutschland.
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte, der Anschlag erfülle ihn mit tiefster Trauer. "Dieser barbarische Akt richtet sich nicht nur gegen uns, er richtet sich auch gegen die große Mehrheit der Afghanen, die eine friedliche, auf Ausgleich und Versöhnung gerichtete Politik für ihr Land will." Auch Vertreter der anderen Fraktionen äußerten sich entsetzt. Linksfraktionschef Gregor Gysi forderte einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
Karsai fordert Taliban zum Ende der Gewalt auf
Zum wiederholten Mal nutzten die Taliban einen symbolträchtigen Tag für eine Attacke. Die beiden letzten tödlichen Angriffe im April fanden am Karfreitag - einem der höchsten christlichen Feiertage - und während eines Besuchs Guttenbergs im Einsatzgebiet statt. Insgesamt wurden dabei sieben Soldaten getötet. Guttenberg hatte mehrfach gesagt, dass er noch im Sommer mit weiteren Toten rechne. Auf der anderen Seite gab es aber auch die Hoffnung, dass sich die Sicherheitslage nach den Parlamentswahlen im September verbessern würde.
Schon im kommenden Jahr will die internationale Schutztruppe Isaf die ersten Provinzen an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben. Bis 2014 soll das komplette Land wieder in der Sicherheitsverantwortung der Einheimischen sein.
Der afghanische Präsident Hamid Karsai rief am Donnerstag einen "Hohen Friedensrat" ins Leben und forderte die Taliban eindringlich zum Ende der Gewalt auf. "Die Menschen in jedem Dorf und in jedem Distrikt hoffen darauf, dass durch Ihren Einsatz ein dauerhafter Frieden in diesem Land erreicht werden kann", sagte Karsai in Kabul vor den 70 Mitgliedern des Gremiums.
Der Friedensrat soll unabhängig von der Regierung agieren und Gespräche mit den Aufständischen vorantreiben. Karsai hatte die Mitglieder des Rates in der vergangenen Woche ernannt. Darunter sind zwei Ex-Präsidenten, Stammesführer sowie frühere Angehörige des Ende 2001 gestürzten Taliban-Regimes.
Seit genau neun Jahren kämpft eine internationale Truppe in Afghanistan gegen die aufständischen Taliban. Der Angriff am 7. Oktober 2001 war eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September in New York und Washington. Rund 120.000 Soldaten gehören heute zur Internationalen Schutztruppe Isaf, 47 Länder sind an dem Einsatz beteiligt. Deutschland ist mit 4800 Soldaten der drittgrößte Truppensteller nach den USA und Großbritannien.